Stuttgart goes international… Oder wie süddeutsche Klöppelspitze plötzlich die Welt eroberte

Derzeit widmet sich die Abteilung Kunst- und Kulturgeschichte in unterschiedlichen Teilprojekten der Erforschung der Sammlungen des ehemaligen Stuttgarter Landesgewerbemuseums. Über 4.000 Objekte konnten im Rahmen des Förderprojektes LGM-Online erfasst und digital veröffentlicht werden. Auch an der Erschließung der zugehörigen Quellen und Inventare wird seit zwei Jahren kontinuierlich gearbeitet. Zu den Sammlungen des ehemaligen Stuttgarter Landesgewerbemuseums gehörte auch eine umfangreiche Textilsammlung. Neben Geweben und Druckstoffen bilden darin auch Spitzen einen besonders interessanten Bereich. Im Rahmen meines Praktikums hatte ich die Möglichkeit, mich mit den Spitzen etwas ausführlicher zu beschäftigen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Im Textildepot werden die empfindlichen Spitzen bei optimalen konservatorischen Bedingungen gelagert.

Viele Stücke der Spitzensammlung stammen von Textilkünstlerinnen, die im Umkreis des Deutschen Werkbunds oder dem Bauhaus tätig waren und den Anspruch verfolgten auch im Kunsthandwerk eine ganz neue Abstraktion zu verwirklichen. In den 1920er Jahren schloss sich an den Jugendstil und das Art Déco plötzlich eine gänzlich neue Kunstepoche an – sie brach mit allem Bekannten und folgte auf einmal abstrakten geometrischen Formen, anstatt wie zuvor Vorbildern aus der Natur. Kunst und Kunsthandwerk sollten wieder zu etwas Allumfassenden vereinigt werden. Ein neuer Stil der künstlerischen Avantgarde war auf dem Vorzug – und fand auch in Stuttgart eine Heimat.
An der dortigen Kunstgewerbeschule, die zu dieser Zeit Bernhard Pankok (1872–1943) unterstand, befand sich ab 1913 auch die „Frauenabteilung mit Stickerei-, Spitzenklöppelei- und Batikwerkstatt“, die von Professorin Laura Eberhard und später zusätzlich von Professor Pankok geleitet wurde. In der sogenannten „Textilklasse“ lernten die ausschließlich weiblichen Schülerinnen die „feminin“ konnotierten Handarbeiten. Der Entwurf, also das Design – nicht die Herstellung – von Klöppelspitze bildete dabei einen Schwerpunkt. Grund war der Ansporn, Klöppelspitzen wieder beliebter zu machen durch neue moderne Formen und so das württembergische Kunsthandwerk wiederzubeleben.

Klöppeln ist eine heute kaum noch bekannte Herstellungsart von Spitzen. Dabei werden Fäden, die an einzelne Klöppeln – längliche Stäbchen, die wie Fadenspulen funktionieren – befestigt sind, je nach Muster verzwirbelt, übereinandergelegt, angeordnet und dem Muster entsprechend mit Stecknadeln festgesteckt. So entstehen nach und nach aus den einzelnen Zwirnen eine Reihenfolge und dadurch ein Muster.

Klöppelkissen mit Spitze, (Foto: Norbert Kaiser, CC-BY-SA 2.5)

In der Kunstgewerbeschule in Stuttgart ging es in der „Fachabteilung für Höhere kunstgewerbliche Frauenarbeit“ darum, die Muster zu entwerfen, die dann nachgeklöppelt werden konnten. Bei der Erstellung eines Musters wurde das Design zuerst aufgemalt und anschließend, um die Umsetzbarkeit zu überprüfen, eine Probe geklöppelt. Wenn diese funktionierte, konnte das fertige Muster als „Klöppelbrief“ zum Nachklöppeln verkauft werden.
Auch zwei jungen Frauen, die die Schule in Stuttgart besuchten – Elfriede Freiin von Hügel (1897-1981) und Margret Gminder (1901–1999) – folgten bei ihren Entwürfen dabei dem Geist ihrer Zeit. Sie verarbeiteten in ihren Mustern vor allem geometrische Formen. Dabei übersetzten sie Gesehenes, wie Architektur oder Blumen, in abstrakte Zeichnungen. Diese ergänzten sie mit Auslassungen und Überlappungen. Gerade Margret Gminder arbeitete dabei oft auch mit eigentlich für Spitzen untypischen Asymmetrien und unterschiedlich verdichteten Flächen.

Klöppelspitze Margret Gminder, 1926, Inv.Nr. G 26,252 (Landesmuseum Württemberg, Bildarchiv, CC-BY-SA)

Die beiden Künstlerinnen wurden schließlich sehr erfolgreich. Elfriede Freiin von Hügel hatte inzwischen ihr eigenes Geschäft in der Hegelstraße 4a in Stuttgart, Margret Gminder durfte bei der Weltausstellung 1929 in Barcelona ihre Spitzen im Namen der deutschen Textilindustrie präsentieren. Im Textil- und Kleidungsindustriepalast waren neben Spitzen von Freiin von Hügel und Gminder auch Kreationen von Leni Matthaei (1873–1981) vertreten, die bereits zehn Jahre zuvor zu Stuttgarts Spitzenkünstlerinnen gehörte.
Der Erfolg von Margret Gminder, Elfriede von Hügel und Leni Matthaei hielt an, so dass eines Tages ein Schreiben aus Barcelona bei ihnen eintraf, mit der Benachrichtigung, dass sie für ihre Spitzen bei der Weltausstellung mit einer Goldmedaille geehrt werden würden.
Leider ist heute nicht mehr bekannt, für welche Spitzen sie diese Auszeichnung erhielten.

Im Landesmuseum sind Spitzen der Künstlerinnen erhalten, die das frühere Landesgewerbeamt für seine Mustersammlungen angekauft hatte. Diese Institution sollte der wirtschaftlichen Entwicklung Württembergs dienen, indem sie die neusten Produktentwicklungen aus dem In- und Ausland ankaufte, ausstellte und verlieh. Zum Thema Klöppelspitzen gab es zudem vom Amt veranstaltete Wettbewerbe – an dem die oben genannten Entwerferinnen immer wieder Preise gewannen. Ein Teil des Bestandes kam in den 1960er Jahren bei Auflösung des Landesgewerbeamt in den Besitz des heutigen Landesmuseums – so auch einige Spitzenproben von Elfriede Freiin von Hügel, Margret Gminder und Leni Matthaei.

Links: Elfriede Freiin von Hügel, Taschentuch mit Klöppeleinfassung, 1926, Inv.Nr. G 26,106 (Landesmuseum Württemberg, Bildarchiv, CC-BY-SA).

Rechts: Leni Matthaei, Abstraktes Spitzendreieck, 1926, Inv.Nr. G 26,202 (Landesmuseum Württemberg, Bildarchiv, CC-BY-SA).

Im Rahmen meines Praktikums bekam ich einen tieferen Einblick in die Spitzensammlung. Die Spitzen werden gerade digitalisiert und kamen so wieder in das Blickfeld von Dr. Maaike van Rijn und Bettina Beisenkötter – erstere die verantwortliche Kuratorin, zweitere die Restauratorin für Kostüm und Textil – und so schließlich in meine Hände, die ich mich während meines Praktikums, mit der Materie rund um die moderne Spitze des frühen 20. Jahrhunderts beschäftigen durfte. Dabei blieb mir ein Satz Maaike van Rijns im Gedächtnis: „Mich fasziniert an Spitzen, dass an ihnen der Stil der Zeit so sichtbar wird“.
Nach wie vor stellt die kunst- und kulturhistorische Forschung zu textilen Künsten ein Desiderat dar. Hier tragen immer wieder Einzelne, auch zum Beispiel die engagierten Mitglieder*innen des Deutschen Klöppelverbands e.V. dazu bei, dass bekannt wird, dass und welche Frauen in einem Zweig, der in der Kunstwelt oft noch übersehen wird, Höchstleistungen erbracht haben.

2 Kommentare zu “Stuttgart goes international… Oder wie süddeutsche Klöppelspitze plötzlich die Welt eroberte”

  1. Liebe Frau Müller,
    das ist ein sehr guter Artikel. Kommt doch wieder die Bauhaus-Zeit mit der aktuellen Publikation des Deutschen Klöppelverbandes 2023 diesem Thema näher.
    Leider ist Ihnen ein Fehler im Text unterlaufen. Margret Gminder hatte nie ein eigenes Klöppelgeschäft. Das Spitzengeschäft in Stuttgart in der Hegelstraße wurde von Elfriede Freiin von Hügel bis 1958 betrieben. Könnten Sie das noch bitte berichtigen?
    Freundliche Grüße
    Maria Steur

    1. Sehr geehrte Frau Steur,
      vielen Dank für Ihren Hinweis! Die Redaktion hat die Änderung vorgenommen.

      Herzliche Grüße,
      Ihr Team vom Landesmuseum Württemberg

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