Innovativ durch abkupfern! Die württembergische Gewerbeförderung am Ende des 19. Jahrhunderts

Ferdinand von Steinbeis, vermutlich umgeben von Objekten des Musterlagers © Haus der Wirtschaft, Stuttgart.

Wer im 19. Jahrhundert die neuesten Innovationen bei handwerklichen Produkten, Maschinen oder Produktionsmethoden begutachten wollte, der musste eine der großen Industrieausstellungen besuchen.

Weil das den meisten Handwerkern und Kleinunternehmern in Württemberg finanziell nicht möglich war, kaufte der württembergische Staat, vertreten durch das Musterlager, in der ganzen Welt Neuheiten aller Art. Diese Auswahl stellte das Musterlager in Württemberg aus. Handwerker und Unternehmer konnten begutachten und ausleihen, was für sie von Interesse war.
Ferdinand von Steinbeis, Direktor der Zentralstelle für Gewerbe und Handel und Vorgesetzter des Musterlagers, wollte so die württembergischen Betriebe wettbewerbsfähig machen und das Gewerbe stärken.

Beglichen wurden die Anschaffungskosten zumeist durch die Staatskasse, teils auch von Unternehmern, die ihre Objekte dem Musterlager kostenlos zur Verfügung stellten – sicherlich nicht ohne Hintergedanken.

Eine Feuerwehrspritze „Made in Württemberg“?

Die noch heute bekannte Firma Magirus aus Ulm kaufte 1853 in London und Paris Feuerwehrgerätschaften wie Leitern, Helme oder Spritzen, die dem Musterlager zu Ausstellungszwecken zur Verfügung gestellt wurden und nach der Ausleihe zurück an Magirus gingen. Dabei leiteten Magirus wohl weniger vaterländische Gesinnung als vielmehr wirtschaftliche Interessen. Denn für sein ausgestelltes Modell einer französischen Spritze auf zweirädrigem Gestell hatte das Ulmer Unternehmen das württembergische Patent erhalten. Die Werbewirksamkeit war hier ein sicherlich nicht zu vernachlässigender Grund für die Bereitschaft zur Ausstellung. Schließlich entstanden in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts landauf landab Freiwillige Feuerwehren, die ausgestattet sein wollten.

Auszug aus den Inventaren des Landesgewerbemuseums, , Bd. II, S. 134. Von C.D. Magirus in Ulm

Die Produktpalette: praktisch und modern

Ob Feuerwehrspritzen oder Schmuckkästchen, die Einkäufe des Musterlagers waren thematisch breit gefächert. Für die frühe Fotografie, die sogenannte Daguerreotypie, erkaufte das Musterlager eine ganze Reihe von Rahmen im Wert zwischen 13 Kreuzern und 1 Gulden 6 Kreuzer. Deutlich größer in den Ausmaßen war die komplette Dreschmaschine, die 1854 in New York erworben wurde und mit einer ausführlichen Beschreibung versehen nach Württemberg kam. Für das vor allem agrarisch geprägte Land war dies eine innovative Maschine mit großem Nutzen, der Preis von $ 45 bzw. 112 Gulden 30 Kreuzer für die meisten Kleinbauern dagegen schier unbezahlbar. Bei durchschnittlichen Tageslöhnen von 42 Kreuzern bei Taglöhnern, 52 Kreuzern bei Handwerkern und 1 Gulden 2 Kreuzern bei Fabrikarbeitern wird die Dimension der anfallenden Kosten begreiflich.

Eine große Nachfrage erfuhren Werkzeuge aller Art. Schraubzwingen, Schraubendreher, Hobel oder Bohrer wurden in den verschiedensten Ausführungen im Auslande erworben und im Inland ausgestellt. Dazu zählten auch speziellere Gerätschaften wie eine Hebewinde für schwere Wägen, eine kleine Handmühle zum Mahlen von Getreide oder ein Butterfass, das stolze 25 Gulden kostete.

Dass Württemberg einen großen Schwerpunkt auf der Textilverarbeitung hatte, zeigen die vielen kleinen und großen Anschaffungen im Bereich der Weberei-Gerätschaften. Schiffchen und Spulen wurden in den verschiedensten Ausführungen erworben und zur Anschauung verliehen, ebenso ganze Webstühle.

Weber und ihre Werkzeuge

Es darf auch exotisch sein

Im Jahr 1851 erwarb ein Dr. Royle in Indien Produkte, die er in 188 Einmachgläsern an das Musterlager übergab. Neben Reis, Weizen, Hafer und Sojabohnen umfasste die Lieferung auch Gewürze wie Pfeffer, Ingwer, Koriander, Zimt, Schwarzer Kümmel und Lorbeer oder Werkstoffe wie Gummi, Harze und Terpentin. Als besonders Highlight können wohl Cannabis und Hanfsamen gelten. Welchen Zweck das Musterlager mit der Übernahme dieser Produkte verfolgte, bleibt verborgen. Viel Interesse scheint nicht bestanden zu haben. Die Verweise auf die Seiten der Ausleihbücher, in denen peinlichst genau vermerkt wurde, wer wann was ausgeliehen hatte und zurückbrachte, fehlen hier fast vollständig. Was 1862 nicht bereits entsorgt wurde, verschwand 1885 oder wurde 1898 als wertlos gestrichen.

Veränderte Interessen: Das Musterlager räumt auf

Was sich großer Nachfrage erfreute, wurde auch schnell verkauft. Die verbliebenen Gegenstände wurden im Laufe der Zeit überprüft und dabei ihre Sinnhaftigkeit neu bewertet. Bei der Teilung des Landesgewerbemuseums 1906 wurden manche Gegenstände der Abteilung Technik übergeben. 1909 wurden viele der vorhanden Gegenstände entweder entsorgt oder an andere Institutionen wie das Deutsche Museum in München, das Lindenmuseum oder an staatliche Werkstätten übergeben sowie an private Interessenten verkauft. Eine Sichtung 1935 führte erneut zu Entsorgungen sowie Versteigerungen einiger Produkte. Als nach dem zweiten Weltkrieg überprüft wurde, was noch im Lager war, erhielten wenige Inventare den Stempel „vorhanden“.

Die stark geschrumpften Bestände sowie die Art der gekauften Gegenstände verdeutlichen, dass die Intention des Musterlagers der kurzfristige Erwerb von praktischen Anschauungsobjekten für die Gewerbetreibenden in Württemberg und nicht die Sammlung und Erhaltung bedeutender Industriegüter war. Gewerbeförderung durch abkupfern – eine gängige und erfolgreiche Praxis schon vor 150 Jahren.

 

Abbildung im Header:
Eine Seltenheit: Zeichnung eines Ausstellungsraumes in den Inventarbüchern des Musterlagers, Bd. II, S. 220

1 Kommentar zu “Innovativ durch abkupfern! Die württembergische Gewerbeförderung am Ende des 19. Jahrhunderts”

  1. Das Bild der Weberwerkstatt ist aus „30 Werkstätten von Handwerkern“. Wenn man sich die Bilder genauer anschauen will, wird man vom deutschen Bibliotheks- und Museumswesen wieder einmal schwer enttäuscht. Die DDB findet zwar Digitalisate sowohl aus Berlin als auch vom Landesmuseum Württemberg, denen aber vor allem gemein ist, dass die Grafikdateien viel zu klein sind und durch eine Schutzrechtsberühmung auch noch mit einer falschen CC-Lizenz ausgestattet sind. Da wurde viel Zeit auch noch doppelt verschwendet, ohne ein sinnvolles Ergebnis zu erhalten.

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