Ein sommerlicher Julitag: die Bürofenster sind weit geöffnet und hin und wieder weht sogar ein laues Lüftchen hinein. Im Augenwinkel nehme ich vom Schreibtisch aus wahr, dass der Ärmel des Seidenkleides, das auf der Figurine in einer Ecke meines Büros steht und auf die Inventarisierung und den anschließenden Transport ins Depot wartet, sich sacht im Wind wiegt.
Fast sieht es aus, als hätte sich der Arm bewegt, als stünde dort kein Kleid auf einer Schneiderpuppe, sondern eine lebendige Person…
Ach, wäre sie mal lebendig!
Was würde das Kleid wohl erzählen, wenn es sprechen könnte? Hat die junge Frau, die es getragen hat, selbst bestimmt, wie es aussehen soll? Hat sie sich auf einen bestimmten Tag gefreut, an dem sie es erstmals ausführen würde? War es ihr Lieblingskleid oder nur eines von vielen in ihrer reichen Garderobe? Wann genau wurde es hergestellt? Zu welchem Anlass?
Bei dem cremefarbigen Seidenkleid handelt es sich um den neuesten Zugang unserer Mode- und Kostümsammlung, das diesen Frühling seinen Weg in das Landesmuseum gefunden hat. Es stammt aus einer Stuttgarter Privatsammlung und wurde uns als Schenkung überlassen.
Die modehistorischen Fakten sind schnell zusammengefasst: cremefarbenes Seidensatinkleid, erstes Viertel 20. Jahrhundert, Oberteil aus zweilagigem Tüll, Spitzenbesatz an der Taille, Rock aus Seidensatin, Unterrock stark zerschlissen, Gürtelband aus gleicher Spitze wie Taillenbesatz. Es soll um 1912 entstanden sein und entspricht damit der typischen Abendgarderobe der damaligen Zeit.
Was uns aber vor allem neugierig gemacht hat, ist das innenliegende Taillenband: „Bacharach Hoflieferant“ ist dort neben einem Wappen eingestickt und ein angeheftetes handschriftliches Etikett vermerkt zusätzlich „No 2227 / Prinzess Wied / 14513“.
Einer Prinzessin Wied muss es also gehört haben! Aber welcher?
Meine Kollegin, die Volontärin Verena Schäfer, ist den Spuren der möglichen Trägerin des Kleides mit detektivischem Spürsinn nachgegangen: Nach Auskunft des Schenkers gehörte das Kleid Elisabeth zu Wied (1843–1916) der durch Heirat späteren Königin von Rumänien. Dies erschien uns jedoch sehr unwahrscheinlich, da die zum Zeitpunkt der Herstellung des Kleides ca. 70-jährige Dame einem Foto von ca. 1899 zufolge nicht die Figur für die sehr schmale Taille des Kleides hatte. Wie außerdem wäre das Kleid – es wurde in den 1980er Jahren auf einer Auktion in Stuttgart erworben – hier in die Region gekommen? Elisabeth zu Wied hatte ihr Leben überwiegend in Rumänien verbracht.
Aber zum Glück kommen noch andere Wied-Prinzessinnen als Trägerin des Kleides in Betracht!
So zum Beispiel Pauline von Württemberg (1877–1965, durch Heirat Fürstin zu Wied), die Tochter von König Wilhelm II. von Württemberg. Sie lebte mit ihrem Mann Friedrich Hermann zu Wied (1872–1945) zunächst in Berlin, 1907 übersiedelten sie in die Residenz Neuwied, weil Friedrich nach dem Tod seines Vaters Wilhelm Adolph Maximilian sechster Fürst zu Wied geworden war. Als Witwe kehrte sie wieder in die württembergische Heimat zurück.
Zum Zeitpunkt, auf den wir das Kleid datiert haben, war sie Mitte dreißig und macht auf historischen Fotos durchaus den Eindruck, als könnte ihr das Kleid mit der schlanken Taille gepasst haben.
Ist also „unsere“ württembergische Prinzessin Pauline die Trägerin des Kleides gewesen?
Vieles spricht dafür, aber abschließend zu hundert Prozent bestätigen könnten wir das nur, wenn es noch konkretere Hinweise gäbe. Und da wir es als (Kunst-) Historiker schon ganz genau nehmen müssen, wird der Inventar-Eintrag in der Objektdatenbank ergänzt um den Hinweis: „weitere Mögliche Trägerinnen:
Elisabeth Wilhelmine Auguste Friederike Marie Louise (Elisabeth) von Wied (1883-1938), Luise Wilhelmine Friederike Auguste Alexandrine Marie Elisabeth (Luise) von Wied (1880-1965) oder Sophie von Schönburg-Waldenburg (1885-1936)“.
Aber auch bei diesen Frauen scheint es uns fraglich, wie und warum ein Kleid aus ihrer Garderobe nach Stuttgart gekommen sein sollte. Es wird also höchstwahrscheinlich doch ein Kleid aus dem Besitz von Prinzessin Pauline von Württemberg, Fürstin zu Wied (1877–1965), der Tochter König Wilhelm II. von Württemberg sein.
Und wie das Kleid so da steht und sich im Hintergrund des Fensters das starke Gemäuer des Alten Schlosses in Stuttgart erhebt, beschleicht einen doch das (unwissenschaftliche!) Gefühl, dass da eine Verbindung besteht zwischen dem Schloss und dem Kleid… Es muss Pauline von Württemberg gehört haben…
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