Vom Auktionshaus ins Museum – oder: Wie Grafiken und Porzellan persönliche Geschichten erzählen können

„zum ersten… zum zweiten…und zum dritten! Die Objekte Nr. 32, 566, 577, 918 und das Konvolut Nr. 1107 gehen an das Landesmuseum Württemberg!“ – so etwas in die Richtung muss der Auktionator oder die Auktionatorin gerufen haben, als zwei Porzellankannen, drei Tassen samt Unterschalen und ein Konvolut an Grafiken Anfang Dezember 2022 in den Besitz des LMW übergingen – zumindest spielt es sich so in meiner Vorstellung ab.

Gleich in den ersten Monaten meines Volontariats durfte ich einen Objektankauf von Besichtigung und Begutachtung bis zum Einbringen in die Vitrine begleiten und erhielt so Antworten auf verschiedene Fragen zum Sammlungsmanagement, die mir im Hinterkopf herumschwirrten: Welche Objekte finden Eingang in die Sammlung eines Museums? Wo finden die Kurator*innen diese Objekte und wie werden sie auf diese aufmerksam? Was passiert, wenn die erworbenen Stücke im Museum eintreffen?

Aus dem Sammler*innennachlass ins Auktionshaus

Für mich begann das Projekt Objektankauf in dem Moment, als ich Anfang Dezember 2022 die Türschwelle des Auktionshauses Metz in Heidelberg überschritt und eintrat in ein überwältigendes Sammelsurium an verschiedensten Kunstgegenständen. Tatsächlich jedoch wurde der Stein bereits eine Weile zuvor ins Rollen gebracht: Die Tochter eines württembergischen Sammlers setzte sich nach dessen Tod hinsichtlich seines Nachlasses mit dem Landesmuseum in Verbindung. Schließlich kamen die Objekte jedoch ins Auktionshaus Metz in Heidelberg – die jeweiligen Kuratorinnen waren somit bereits vorinformiert und wussten, dass hier interessante Objekte versteigert werden würden. Eben diese Stücke durfte ich gemeinsam mit unserem Abteilungsleiter Dr. Matthias Ohm vor Ort in Augenschein nehmen. Mit im Gepäck hatten wir die „Wunschliste“ zweier Kolleginnen und hielten nach den entsprechenden Objekten Ausschau und nahmen sie in Augenschein.

Während dies beim Porzellan recht einfach war, gestaltete es sich bei den Grafiken etwas schwieriger: Einer der gewünschten Drucke, ein Flugblatt zur „Großen Theurung“ 1816/17, befand sich in einem Konvolut, das gebündelt angeboten wurde. Nun hieß es also: Die Sammelmappe sichten, die restlichen Grafiken identifizieren und der Kuratorin am Telefon beschreiben, was abgebildet war, um so abzustimmen, ob sich der Inhalt des Grafik-Bündels für unsere Sammlung eignete. Und ja, das Konvolut mit der Losnummer 1107 mit insgesamt elf verschiedenen Grafiken war geeignet und sollte, sofern das Museum bei der Auktion erfolgreich war, in die Sammlung des Landesmuseums einziehen!

Nachdem das LMW schriftlich sein Vorangebot für die ausgesuchten Objekte abgegeben hatte, blieb uns nur noch, zu warten und zu hoffen…

Das Museum hat zugeschlagen!

Flugblatt in einem Schutzumschlag, der von einer behandschuhten Hand vorsichtig geöffnet wird

Abb. 1: Vorsicht ist geboten beim Umgang mit den Grafiken!

Und schließlich kam nur wenig später die Nachricht: Das Hoffen hatte sich gelohnt, das Museum erhielt für zwei Porzellankannen, drei Tassen samt Unterschalen und dem besagten Konvolut den Zuschlag! In Auktionssprache heißt das: Der Auktionator oder die Auktionatorin hatte das abgegebene Gebot angenommen, hinzu kam aber noch die Verkaufsprovision, das sogenannte Aufgeld.

Nachdem die freudig erwarteten Stücke endlich ihren Weg aus der Kurpfalz in die schwäbische Hauptstadt geschafft hatten und bei der Restaurierung im Landesmuseum angeliefert wurden, hieß es: Inventarisieren! Hierfür werden den neu erworbenen Objekten zuallererst Inventarnummern zugeordnet, die dann mit den Grundinformationen zu den Objekten in das Inventarbuch eingetragen werden.

Im nächsten Schritt folgte dann die Bestandsaufnahme und die Objekte wurden auf Herz und Nieren geprüft: Sie wurden vermessen, Material und Technik bestimmt und alle möglichen Informationen zu den Stücken zusammengetragen. Für die Inventarisierung erhielt ich zunächst eine kurze Einführung zum Handling der Objekte – denn das Porzellan will nicht zerbrochen, das Papier der Grafiken nicht durch einen unachtsamen Handgriff eingerissen werden. Hierzu zählt nicht nur das Tragen von Handschuhen im Umgang mit den Objekten: In der Nähe der Stücke machte ich meine Notizen nur mit Bleistift, der im Schadensfalle wieder entfernbar ist. Die dünnen Blätter hob ich zur Sicherheit vorsichtig lieber mit einem Blatt Papier an, statt sie direkt mit den Fingern zu greifen.

Ein seltenes Flugblatt – Ungeheure Erleichterung und Freude angesichts des Erntesegens 1817

Das Flugblatt zum Gedenken an das „Jahr ohne Sommer“ gibt einen spannenden Einblick in die Lebens- und Gefühlswelt des 19. Jahrhunderts. Umso mehr, da es sich hierbei um ein äußerst selten erhaltenes Exemplar handelt. Das Flugblatt erinnert an die Not der Menschen während des „Jahrs ohne Sommer“ 1816, an die katastrophalen Missernten, Lebensmittel-Preissteigerungen und die daraus folgende Hungersnot 1817. Unter der Grafik befindet sich ein Text, der auf diese und weitere Ereignisse Bezug nimmt. Gleichzeitig zeugt diese kurze Abhandlung jedoch ebenso wie die Grafik selbst von dem als Gottes Geschenk empfundenen Erntesegen 1817 – das kollektive Aufatmen wird hier geradezu spürbar. Die Erleichterung und Euphorie der württembergischen Bevölkerung werden in der handkolorierten Grafik sowohl bildlich an der Darstellung vom Auge Gottes als auch schriftlich anhand zahlreicher Dankgebete deutlich.

Druckgrafik: Bunt kolorierte Darstellung eines Erntewagens, jubelnde Menge und beschriftete Schilder, die Gott preisen

Abb. 2: Flugblatt zum Gedenken an das „Jahr ohne Sommer“ 1816 und den Erntesegen 1817.

Gebrauchsschriftgut und was es zu bieten hat: Ein Einblick in das Leben von Jacob und Friedrich

Das Konvolut hielt jedoch auch noch so manch anderes interessantes Blatt bereit: Neben einem reich illustrierten Flugblatt auf den Frieden von Lunéville fanden sich hier unter anderem auch zwei Gesellenzeugnisse aus dem ersten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts – eines des Seilerhandwerks aus Heilbronn sowie eines der Stuttgarter Zimmererinnung.

Druck: Formular mit handgeschriebenen Beschreibungen des Äußeren des Gesellen

Abb. 4: Heilbronner Exemplar eines Gesellenzeugnis von 1807.

Wer sich hier nun aber ein langweiliges, bürokratisches Schriftstück vorstellt, täuscht sich! In dem formularhaften Vordruck fand ich so manche Information, die ohne dieses Objekt der Nachwelt wohl auch nicht erhalten geblieben wäre. Woher hätte man sonst auch wissen sollen, dass ein gewisser Jacob Heugel aus Maulbronn im Alter von 20 Jahren braune Haare und braune Augenbrauen, eine hohe Stirn und einen kleinen Mund hatte? Oder dass der sieben Jahre ältere Friedrich, Gesell des Heilbronner Seilerhandwerks, 5 Schuh 5 Zoll (=ca. 160cm) groß war und über rote Lippen, weiße Zähne und ganz allgemein über ein „angenehm Angesicht“ verfügte?

 

 

Dieses vermeintlich so verwaltungstechnische Gebrauchsschriftgut lässt die Geschichte mit wenigen Worten lebendig werden und die Menschen der Vergangenheit vor dem inneren Auge Gestalt annehmen – Menschen, die uns sonst vermutlich unbekannt geblieben wären.

Von klassizistischen Kannen und unbekannten Seen

Bewaffnet mit Vergrößerungsglas und Maßstab nahm ich auch das neu erworbene Porzellan näher unter die Lupe: Wie hoch ist das Objekt mit und ohne Deckel, einzeln oder auf der Untertasse platziert? Wo befinden sich Kratzer, Abplatzungen oder gar Risse? Welche Marken finden sich auf dem Boden des Objekts, die aus dem Monogramm des jeweiligen württembergischen Herrschers bestehen und so auf die Schaffensperiode der Ludwigsburger Porzellanmanufaktur verweisen? Leider verfügte jedoch keines der Stücke über konkrete Malerzeichen (mehr über das Ludwigsburger Porzellan und Malerzeichen kann man hier erfahren). Also musste der Kontext des Porzellans anderweitig in Erfahrung gebracht werden. Bei dieser ausgeweiteten Recherche war ich auf der Suche nach in Form und stilistischer Aufmachung vergleichbaren Stücken, die Hinweise auf die Schaffensperiode des Ludwigsburger Porzellans gaben.

Goldene Kanne mit einer Darstellung eines Schlosses mit See und Bäumen am Bauch der Kanne.

Abb.5: Rückseite einer Empire-Teekanne im Vollgold-Fond mit idyllischer Darstellung des Ludwigsburger Schlosses.

So ließ sich beispielsweise eine mit flächendeckendem Goldfond verzierte Kanne anhand der klassizistischen Formgebung recht schnell einer ungefähren Zeitspanne zuordnen. Sowohl Wahl des Dekors als auch Form entsprachen ganz dem vorherrschenden napoleonischen Stil des Empire – zu eben jener Zeit, also um 1800 herum, orientierte sich auch die Ludwigsburger Porzellanmanufakur personell und stilistisch nach Frankreich. Nun galt es noch, die auf den Schauseiten abgebildeten Ansichten näher zu bestimmen. Selbst weder Stuttgarterin noch Schwäbin, waren mir die dargestellten Gebäude unbekannt, während Kuratorin und Restauratorin einhelliger Meinung waren: Das muss Schloss Monrepos sein! Auch die Rückansicht war mit Schloss Ludwigsburg schnell identifiziert. Nur der abgebildete, pittoresk anmutende See vor dem Gebäude irritierte. Ein kurzer Abstecher in die Geschichte des Ludwigsburger Schlosses und der Anblick eines zeitgenössischen Kupferstichs ergab: Der „Große See“ existierte tatsächlich und wurde nicht hinzugedichtet, um etwa das Landschaftsidyll zu vervollkommnen!

Beide Ansichten ermöglichten die Bestimmung eines „terminus postquem“, also die frühestmögliche Datierung des Objekts. Die auf der Rückansicht links abgebildete Emichsburg wurde 1802 fertiggestellt, Schloss Monrepos wurde jedoch erst 1804 im klassizistischen Stil umgebaut.

Als die Objekte nun also von allen Seiten vermessen, geprüft und beschrieben, die Objekte fotografiert und die Daten in der Museumsdatenbank IMDAS gesichert worden waren, gingen die Stücke erneut auf Reise. Gut verpackt kamen sie nun in das Keramikmuseum in Schloss Ludwigsburg, einer Außenstelle des Landesmuseums. Ein Teil der Objekte kam in das Depot, der Rest erhielt einen Platz in den Museumsvitrinen, wo nun unter anderem eine neu erworbene Kanne mit Blumenmotiv und verschiedene Ansichtstassen bestaunt werden können.

DIY: Ein persönlicher Gruß

Weiß-goldene Tasse und Untertasse mit handgeschriebener Widmung

Abb. 6: DIY im 19. Jahrhundert: personalisierte Andenkentasse als Geschenk der Amalie von Bissingen an ihren „theuren Gross-Onkel“.

Eine Begleiterscheinung von Corona waren Mußestunden zuhause, die gefüllt werden wollten – und somit erfasste ein neuer DIY-Trend (DIY=Do it yourself) das Internet: Zuhause, und dann auch vermehrt in DIY-Läden, wurde fleißig altes und neues Porzellan bemalt, betupft und anderweitig verziert. Moment, das ist nicht ganz richtig. Bereits Ende des 18. Jahrhunderts kam die heimische Porzellanmalerei in Mode! In Württemberg spielte Königin Charlotte Augusta Mathilde (1766–1828), Tochter des englischen Königs Georg III. und zweite Ehefrau von König Friedrich I. für die Beliebtheit der Porzellanmalerei eine wichtige Rolle (zu den selbst gestalteten Werken der britisch-hannoverschen Prinzessin kann man hier mehr erfahren)! Aber auch Amateur*innen bezogen nun Rohmaterialien wie Porzellan und Farben von den Manufakturen und verzierten das Geschirr in den eigenen vier Wänden. So auch eine gewisse Amalie von Bissingen, die im Jahr 1818 ein Set aus Tasse und zugehöriger Unterschale bemalte und ihrem „theuren Gross-Onkel“ widmete. Nicht nur heute sind individuelle Geschenke bei Vielen besonders beliebt; im 19. Jahrhundert waren solche Andenkentassen mit Landschaftsansichten und/oder persönlichen Widmungen beliebte Sammelobjekte und „Zeichen inniger Freundschaft“ – wie auf einer ebenfalls ersteigerten Tasse in Camaieumalerei explizit zu lesen ist!

Selbstbemalte Tasse stehend vor einem Bildschirm mit Anzeige der inventarisierten Objekte

Abb. 7: .. und DIY-Projekt im 21. Jahrhundert.

Amalies kleines Kunstwerk ließ mich nicht los. Das Objekt gelangte nicht nur aus Sammler*innenhand über ein Auktionshaus in das Landesmuseum und schließlich in eine Vitrine im Keramikmuseum Schloss Ludwigsburg, sondern begleitete mich gedanklich auch nach Hause. So kam es, dass Amalie, eine Frau, die zu Beginn des 19. Jahrhunderts lebte, mich zu einem eigenen DIY-Projekt inspirierte. Ergebnis dieses Projekts ist eine selbst bemalte Tasse mit einer Abbildung, die ihrerseits von der Stuttgarter Kunstkammer inspiriert wurde.

Es heißt, aus der Geschichte soll man Lehren für die Gegenwart ziehen: Angesichts des Erhaltungszustands von Amalies bemaltem Porzellan heißt das für mich erst einmal, meine Tasse nicht in die Spülmaschine zu stellen, um sie vor Abnutzungsspuren zu verschonen. Aber mal schauen, wie meine Tasse in knapp 100 Jahren aussehen wird! Erst einmal darf sie aber weiter auf meinem Arbeitsschreibtisch stehen und auf den nächsten Kaffee für das nächste Inventarisierungsprojekt warten…

 

 

 

Abbildungsnachweis und Nutzungsbedingungen

Abb. 1: Landesmuseum Württemberg, Vivien Schiefer (CC BY SA 4.0)
Abb. 2: Inv. Nr. 2022-57. Landesmuseum Württemberg, J. Leliveldt (gemeinfrei / Public Domain Mark 1.0)
Abb. 3: Inv. Nr. 2022-49. Landesmuseum Württemberg, J. Leliveldt (gemeinfrei / Public Domain Mark 1.0)
Abb. 4: Inv. Nr. 2022-50. Landesmuseum Württemberg, J. Leliveldt (gemeinfrei / Public Domain Mark 1.0)
Abb. 5: Inv. Nr. 2022-43. Landesmuseum Württemberg,  J. Leliveldt, A. Lohmann (CC BY SA 4.0)
Abb. 6: Inv. Nr. 2022-44 a-b. Landesmuseum Württemberg, J. Leliveldt, A. Lohmann (CC BY SA 4.0)
Abb. 7: Landesmuseum Württemberg, Vivien Schiefer (CC BY SA 4.0)

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