Über die Faszination für Neues und ein Lever-Service für den württembergischen Hof

Im Zuge meines dreimonatigen Praktikums im Landesmuseum Württemberg, das im Mai startete, habe ich bereits etliche Eindrücke gewonnen, neue Erfahrungen gemacht und so manche Herausforderung bewältigt. Doch vor allem habe ich unglaublich viel Neues kennen und verstehen gelernt. Als Studentin der Kunstgeschichte war ich bisher vor allem mit Objekten der Malerei, Skulptur und Architektur konfrontiert, die von weltberühmten Künstlern wie Dürer, Michelangelo oder Le Corbusier geschaffen wurden. Dadurch ist mir so einiges entgangen – was ich im Landesmuseum schnell feststellen sollte. In den vergangenen Wochen habe ich immer wieder meine Komfortzone überwunden und mich mit den verschiedensten, mir vorher kaum bekannten Themen, Gattungen und Objekten auseinandergesetzt. So durfte ich beispielsweise eine Woche lang in die Welt der Münzen und Medaillen eintauchen, mich in ein fiktionales Ausstellungskonzept über den Astronom Johannes Kepler hineindenken und in Archiven die Provenienz ausgewählter Objekte untersuchen.

Lederkoffer mit 37-teiligem Service für Herzog Carl Eugen, von Gottlieb Satzger und Johann Georg Klosse, um 1755/57; Foto: Landesmuseum Württemberg, P. Frankenstein / H. Zwietasch, CC BY-SA 4.0

Auch in dieser Woche bekam ich Einsicht in ein mir vorher kaum vertrautes Sammlungsgebiet: das Kunsthandwerk. Ich durfte mich intensiv mit dem 37-teiligen Service für Herzog Carl Eugen beschäftigen, das in der Schausammlung LegendäreMeisterwerke ausgestellt ist. Schnell merkte ich, dass das Service ideal für eine erste Beschäftigung mit Objekten des Kunsthandwerks war. Nicht nur ist es besonders prächtig und kunstvoll gearbeitet, sondern es schafft auch den Anlass, sich mit den Grundlagen der Herstellung und Nutzung eines vielteiligen Prunkservice sowie der württembergischen Hofkultur des 18. Jahrhunderts auseinanderzusetzen. Es ist kaum verwunderlich, dass die vielteilige Garnitur in ihrem edlen Futteral noch heute eine Faszination auf ihre Beschauer*innen ausübt und sich sogar zeitgenössische Künstlerinnen wie Sinje Dillenkofer mit dem Innenleben von Objekten wie diesem auseinandersetzen.

Nun aber zum Objekt selbst. Bei der Luxusgarnitur, die in der Mitte des 18. Jahrhunderts von mehreren Augsburger Goldschmieden gefertigt wurde, handelt es sich um eine raffinierte Kombination aus Toilette-Service und Speisegerät. So finden sich unter den 37 Utensilien aus vergoldetem Silber beispielsweise ein Spiegel, ein Pinsel, zwei gläserne Flakons, sowie die aus Wasserkanne und Becken bestehende Lavabogarnitur. Ergänzt werden die genannten Bestandteile für die Toilette durch eine reduzierte Form des Tafelgeschirrs – Becher, Teller, Besteck, Dosen unterschiedlicher Größe, zwei Leuchter samt Dochtschere und eine Tischglocke – und ein Kaffee- und Teeservice. Alle Utensilien sind platzsparend aber äußerst dekorativ in einem mit rotem Samt ausgekleideten Lederkoffer untergebracht und konnten dadurch problemlos auf Reisen mitgeführt werden. Nur wenige Bestandteile des Ensembles fehlen, worauf die leeren Fächer im Koffer schließen lassen. Sie waren vermutlich für Porzellantassen bestimmt, was anhand einer Reproduktion des frühen 20. Jahrhunderts festgestellt werden kann.
Der Koffer enthält alles für das Lever – eine Zeremonie der gehobenen Gesellschaft, die die morgendliche Toilette, bestehend aus erfrischen, schminken, frisieren und pudern, mit einer Morgensuppe aus der Eculle genannten Deckelschüssel, oder einer Tasse Kaffee oder Tee verband. Das Lever im Schlafzimmer war keinesfalls eine private Angelegenheit, sondern wurde zusätzlich für das Empfangen von Gästen genutzt, was den repräsentativen Schaucharakter des Services erklärt. Alle Teile sind von übergreifendem Dekor, weshalb das Service durch eine bemerkenswerte Einheitlichkeit ausgezeichnet wird.

Herzog Carl Eugen in der Karlsschule, Jakob Friedrich Weckerlin, 1780er Jahre; Foto: Landesmuseum Württemberg, P. Frankenstein / H. Zwietasch, CC BY-SA 4.0

Das prunkvolle Service wurde in der Regierungszeit von Herzog Carl Eugen (reg. 1774-1793) für den württembergischen Hof angeschafft. Aufgrund der Bestandteile des Services kann davon ausgegangen werden, dass es für eine Frau zusammengestellt wurde. Die erste Besitzerin des Prunkgeräts ist allerdings nicht bekannt. Nach dem Tod der württembergischen Herzogin Elisabeth Friederike Sophie im Jahr 1780 schenkte Carl Eugen es seiner damaligen Mätresse Franziska von Hohenheim zum Geburtstag, die ihn später morganatisch heiraten sollte. Es ist nur eines von mehreren persönlichen Festtagsüberraschungen des Herzogs, von denen Franziska von Hohenheim in ihrem Tagebuch berichtet. Auf rotem Samt und Spitzen fand es – ohne den Koffer – im Toilette-Zimmer des Palais Hohenheim in Stuttgart Aufstellung.

Franziska von Hohenheim umgeben von Karlsschülern, Jakob Friedrich Weckerlin, 1780er Jahre; Foto: Landesmuseum Württemberg, P. Frankenstein / H. Zwietasch, CC BY-SA 4.0

Hergestellt wurden die kostbaren Garnituren von Gottlieb Satzger (um 1709-1783), Johann Georg Klosse (gest. 1766) und anderen um 1755-1757 in Augsburg, was an den Beschau- und Meisterzeichen auf den Einzelteilen ablesbar ist. Augsburg galt spätestens ab dem Mittelalter als Zentrum der deutschen Gold- und Silberschmiedekunst. Besondere Zunftregeln begünstigten die Ausführung von Großaufträgen sowie den Silberhandel, weshalb auch die württembergischen Herzöge ihren Bedarf an silbernem Tafelgeschirr dort deckten. Die Lever-Service galten als Augsburger Spezialität und wurden unter der Leitung von Silberhändlern in Zusammenarbeit von spezialisierten Goldschmieden, Glas- und Porzellanhändlern, Futteralmachern, Tapezierern und Schlossern hergestellt.

 

Meisterzeichen Gottlieb Satzgers (um 1709-1783) auf der Fußschale des Services für Carl Eugen; Foto: Landesmuseum Württemberg, Moritz Paysan, CC BY-SA 4.0

Diese zusammengetragenen Informationen über die mehrteilige Prunkgarnitur für Carl Eugen beleuchten nur schlaglichtartig die vielen Kontexte des Silberservices, jedoch verdeutlichen sie anschaulich, wie vielgestaltig die Geschichten rund um Objekte unterschiedlichster Art ausfallen können. Ich jedenfalls habe während meines Praktikums bisher vor allem eines gelernt: Immer offen gegenüber den Werken zu bleiben!

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