Vor einem Jahr hat ein Team aus fünf Registrarinnen und zwei Werkstudentinnen am LMW begonnen, die Auslagerung der Glas- und Zinn-Objekte der kunst- und kulturgeschichtlichen Sammlung vorzubereiten.
Der Grund: Das Depot-Gebäude soll abgerissen werden, die Objekte werden in einem Interimsdepot untergebracht.
Zu diesen Beständen gehört auch eine ganz besondere Sammlung – in unserem Rückblick auf das Internationale Jahr des Glases 2022 erwähnten wir sie bereits: Ein Mann aus Laupheim hatte über Jahre farbige Glasvasen des 20. Jahrhunderts gesammelt. Seine Erben boten die über 1.000 Objekte zählende Kollektion vor einigen Jahren dem LMW als Schenkung an.
Für den Sammler stand in erster Linie die Farbe der Vasen im Vordergrund. Wie ein Kaleidoskop bietet die Sammlung einen spektakulären Überblick über die Glasgestaltung im 20. Jahrhundert.
In diesem Beitrag lest ihr, wie unser Team diese und über 8.000 weitere Glas- und Zinn-Objekte in Rekordzeit bearbeitet hat!
Die To Dos
Die Glas- und Zinn-Objekte markieren den Auftakt eines umfassenden Umzugsprojektes, bei dem ein ganzer Depotstandort mit Möbeln, Skulpturen, Gemälden und Kunsthandwerk aufgelöst werden soll. Mit Unterstützung der Depotverwaltung, der Restaurierung und den Sammlungsleiterinnen erfasste unser Team Schrank um Schrank jedes Glas- und Zinn-Objekt ganz genau:
Eine Erfassung bedeutet, dass alle wichtigen Informationen zum Objekt in die Sammlungsdatenbank IMDASpro eingetragen werden: die Inventarnummer, die Sammlung zu der das Objekt gehört (Kunst- und Kulturgeschichte? Archäologie? Populär- und Alltagskultur?), ein beschreibender Titel sowie eine längere Objektbeschreibung. Außerdem das Material und die Technik, die Objektgeschichte, welche Personen oder Körperschaften zum Objekt gehören (zum Beispiel Künstler*innen, Firmen oder Voreigentümer*innen), Maße und sogar das Gewicht des Objekts. In der Regel befindet sich zu jedem Objekt bereits ein Datensatz in IMDASpro. Manchmal kommt es jedoch vor, dass ein neuer Datensatz angelegt werden muss.
Darüber hinaus fertigte das Team von jedem einzelnen Objekt mehrere Fotos an, die dann mit dem Datensatz verknüpft wurden. In einem weiteren Schritt wurden die Einträge im Inventarbuch abgeglichen: Stimmt die Inventarnummer wirklich? Sind alle Informationen, die analog vorliegen, im Datensatz übernommen worden?
So sind nach einem Jahr 940 Zinngefäße, 4.600 Zinnfiguren und rund 4.000 Glasobjekte, darunter vor allem Hohlgläser, aber auch Glasmalereien, Fragmente und Fenster, durch die Hände unseres Teams gegangen!
Arbeiten in Astronautinnen-Anzügen
Von diesen gut 9.500 Objekten ist unsere „kleine“ Laupheimer Sammlung mit 1.000 Vasen also nur die Spitze des Eisbergs: Diese Sammlung war leider noch gar nicht erfasst, die Vasen müssen also alle eine Inventarnummer erhalten, mit dieser beschriftet, fotografiert, vermessen, einen Datensatz in IMDASpro erhalten und beschrieben werden.
Für dieses Vorhaben bekam das Team Unterstützung durch die Volontärin der Kunst- und Kulturgeschichte Judith Thomann. An eine Sache musste sich das neue Teammitglied aber erst gewöhnen: Aufgrund der hohen Schadstoffbelastung im Depot müssen wir mit einem Ganzkörperschutzanzug arbeiten. Auf dem Rücken tragen wir einen Akku betriebenen Filter, der über einen Schlauch die gefilterte Luft in eine Haube bläst.
Lila, blau, rot – konvex, konisch, Trapez?
Durch seine gute Formbarkeit in heißem Zustand bietet Glas sehr viele Gestaltungsmöglichkeiten. Diese brachten unser Team bei der Objektbeschreibung unserer Vasen aber manchmal ganz schön ins Schwitzen: Eine konische Vase mit der Grundform eines … Parallelogramms? Ein Gefäßkorpus in der Form eines … Kaffeefilters? Nein, eines umgedrehten Trapezes mit konvexer Basis? Manchmal ist es gar nicht so leicht, eine verständliche und griffige Objektbeschreibung zu verfassen!
Die Bandbreite von Verarbeitungstechniken und Qualitätsstufen in der Laupheimer Sammlung ist enorm: Eingestochene Luftblasennetze, Pressglas und eingeschmolzene Glasstückchen sind nur ein paar der vielen Techniken, die angewandt wurden. Manche Vasen haben Sammlerwert, andere sind Alltagsgegenstände der 1940er bis 1960er Jahre.
Die Vasen der Laupheimer Sammlung kommen keineswegs nur einfarbig daher – viele Objekte haben zwei oder mehr Farben! Glas wird durch das Einschmelzen von Metallen gefärbt, Kupferoxid oder Gold ergeben zum Beispiel verschiedene Rottöne. Dabei gibt es unterschiedliche Färbetechniken: Eine ist das Wälzen des noch heißen Glaspostens in fein gemahlenem Glaspulver, wie in diesem Video des Corning Museum of Glass gezeigt wird:
(Video courtesy of Corning Museum of Glass, www.cmog.org)
Mysteriöse Aufkleber
Schon vor der Erfassung der Vasen-Sammlung fiel uns auf: Der Sammler hatte ein System. Woher wir das wissen? Unter einigen Vasen klebten bunte Aufkleber mit Nummern. Offenbar hatte er seiner Kollektion bereits eine Struktur gegeben, sie vielleicht sogar schon in irgendeiner Form inventarisiert.
Leider liegen uns zu den Nummern keine Informationen vor, daher sehen wir sie uns ganz genau an: Häufig haben die Aufkleber dieselbe Farbe wie die Vase – hat das eine Bedeutung oder sollten sie optisch nicht stören? Warum hat nur ein Teil der Objekte eine Nummer, hat der Sammler seine Inventarisierung abgebrochen? Oder haben die Nummern vielleicht etwas mit der Aufstellung der Vasen im Haus des Sammlers zu tun? Bisher können wir nur spekulieren. Wir freuen uns aber schon darauf, ein Gesamtbild zeichnen und dem Geheimnis der Zahlen auf den Grund gehen zu können!
Apropos Aufkleber – auch einige Hersteller-Etiketten kleben auf den Vasen. Für unser Team sind sie eine wichtige Hilfe bei der Verortung und Datierung der Objekte. Der „Informationsgehalt“ der Label unterscheidet sich jedoch stark: Anhand der Gestaltung mancher „Made in Italy“-Aufkleber kann man sogar auf bestimmte Glashersteller schließen.
Andere Label verweisen gar nicht auf den Hersteller, sondern auf einen Verkäufer oder Verleger. Das Verlagswesen ist im Glasbereich schon jahrhundertealt: Die regionalen Glashütten ließen ihre Produkte über Verleger weit über die Landesgrenzen hinaus handeln – eine Leistung, zu der die Kleinbetriebe neben der Produktion oftmals nicht in der Lage gewesen wären.
Die Verkäufer und Verleger des 20. Jahrhunderts wollten mit ihrem Aufkleber eine eigene Marke schaffen, die für Qualität steht, obwohl das eigentliche Produkt nicht von ihnen selbst gefertigt wurde. Auch mit bekannten Namen lässt sich gut Werbung machen! Im 20. Jahrhundert steht beim Glas der angewandten Kunst zunehmend der oder die Designer*in, weniger die ausführende Person am Glasofen im Vordergrund. Dementsprechend stehen nun die Designer*innen auf den Produkt-Etiketten: Ein Beispiel ist der schwedische Designer Bo Borgström, der in den 1960er Jahren für die Glasfirma Åseda Glasprodukte entwarf. Seine Serie „Bambu“ (schwed. „Bambus“) ist in unserer Laupheimer Sammlung gleich mit drei Vasen in verschiedenen Farben und Größen vertreten.
Habe ich das nicht schon einmal gesehen?
… und dennoch, bei der Vorbereitung dieses Blog-Beitrags kamen uns „nur“ drei Bambus-Vasen irgendwie zu wenig vor. Sind diese Vasen nicht viel häufiger in unserer Sammlung vorhanden? Und in der Tat, ein paar Bambus-„Zwillinge“ haben wir gefunden: Einige stammen laut Etikett aus Italien, andere konnten noch nicht verortet werden und sind den Bambus-Vasen von Åseda nur sehr ähnlich.
Während sich zum Beispiel Gläser des 18. Jahrhunderts gut aufgrund ihrer Formgestaltung und ihrer gemalten und geschnittenen Motive verorten lassen, liegt der Fall beim Glas des 20. Jahrhunderts anders: Das Design ist international geworden! Formen und Gestaltungstechniken wurden vielfach zitiert, weiterentwickelt, manchmal auch abgeschaut.
Trotz aller Herausforderungen bei der Erfassung der Objekte war und ist es aber immer wieder eine Freude, einen Depot-Schrank zu öffnen und von der intensiven Farbenpracht unserer Vasen-Kollektion begrüßt zu werden! Dem Laupheimer Sammler wird es vermutlich ähnlich gegangen sein.
Wenn euch nun auch das Glas-Fieber gepackt hat: In Mannheim hat mit dem Peter & Traudl Engelhornhaus ein neues Museum eröffnet, das Glaskunst des 20. Jahrhunderts und der Gegenwart zeigt!
Doch auch altes Glas kann in allen Farben des Regenbogens funkeln und leuchten: Überzeugt euch selbst in unseren Google Arts & Culture-Stories über Antikes Glas und Diamantriss-Gläser von Renaissance bis Rokoko.
In mehrfacher Hinsicht verrückt!
In mehrfacher Hinsicht interessant!
Vielen Dank für den Artikel!
Ganz herzlichen Dank – es ist auch wirklich eine spannende Arbeit! Beste Grüße, Judith Thomann
Bravo liebe Judith und liebe Verena!!! Sehr schöner Beitrag 🙂
schöne Grüße Katharina