Willkomm und Prosit – Trinkrituale und Herrschaftsrepräsentation bei Hof

Wenn am 23. November 2022 im Innenhof des Alten Schlosses der Weihnachtsmarkt stimmungsvoll eröffnet wird, denken wir Kuratorinnen an ein anderes Arrangement zum Alkoholkonsum an diesem Ort, das mindestens ebenso beeindruckend war.

Im Juni des Jahres 1473 besuchte Kaiser Friedrich III. (reg. 1440−1493) Württemberg. Einer seiner Begleiter zeigte sich in seiner Reisebeschreibung besonders beeindruckt von einem Weinbrunnen, den Graf Ulrich der Vielgeliebte (reg. 1433–1480) extra im Hof des Schlosses errichten lassen hatte. Aus acht Röhren floss morgens Weißwein und nachmittags Rotwein „und iederman“ – also auch die Untertanen – „der hat zu drinken gnung.“ Die geladenen Gäste mussten sich nicht mit dem Wein aus dem Weinbrunnen zufriedengeben. Sie waren zu einem Festessen in „einer großen weiten Stube“ – gemeint ist die Dürnitz – geladen, wo sie ihrem Rang entsprechend an Tischen speisten und „reichlich kostbares Silbergeschirr“ präsentiert wurde. Für die höfischen Feiernden wurden neben dem hiesigen Neckarwein auch edle Weine aus dem Mittelmeerraum ausgeschenkt. Offensichtlich war bei der Vorbereitung des Empfangs des Kaisers Wert daraufgelegt worden, dem hohen Gast angemessen Ehre zu erweisen und gleichzeitig den Anspruch der Württemberger deutlich zu machen, zu den führenden Dynastien des Reichs zu gehören.

Mächtig prächtige Höhepunkte höfischen Lebens

Die Festbeschreibung von 1473 benennt wichtige Elemente höfischer Festivitäten des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit. Feste waren zentrale gesellschaftliche und politische Ereignisse. Regierungsantritte, Hochzeiten oder Taufen wurden aufwendig als mehrtägige Festivitäten mit vielen Gästen aus nah und fern inszeniert. Neben Festmählern mit erlesenen Speisen und Getränken umfassten sie ein umfangreiches Programm aus Turnieren, Motto-Umzügen, Jagden, Gottesdiensten, Theateraufführungen, Tanz und Feuerwerken. Die enorme Prachtentfaltung war Statussymbol des Adels. Der gastgebende Hof zeigte seinen Rang und seinen Reichtum, demonstrierte damit seine Macht und ließ sich als freigiebig feiern.

Krönungsmahl anlässlich der Krönung Kaiser Matthias‘ (reg. 1612–1619), Theodor de Bry (1561–1623), Frankfurt a. M., 1612, Leihgabe der Universitäts- und Landesbibliothek Darmstadt, Signatur: M 1083

Das prestigeträchtigste Fest im Mittelalter war die Kaiserkrönung: eine mehrtägige Veranstaltung mit standardisiertem Ablauf. Ein in der Ausstellung präsentierter Kupferstich zeigt das Festmahl, das 1612 anlässlich der Krönung von Matthias II. im Römer, dem Frankfurter Rathaus, stattfand: Die Tafel des Kaisers steht zentral und erhöht. Die Kurfürsten speisen an seitlich aufgestellten Tafeln. Dies ist jedoch nicht der einzige Hinweis auf die strenge Hierarchie. An den Wänden befinden sich sogenannte Tresore, gestufte Präsentationsmöbel, auf denen prunkvolle Kannen und Trinkgefäße aus Edelmetallen und anderen kostbaren Materialien präsentiert werden. Ritter durften zwei Stufen befüllen, Grafen drei und vier Stufen und Herzöge fünf Stufen. Dieser Aufbau wird vom kaiserlichen Tresor überragt, der sechs Stufen zur Verfügung hat.

„Tresor“ mit verschiedensten kostbaren Trinkgefäßen in der Großen Sonderausstellung „Berauschend. 10.000 Jahre Bier und Wein“

Auch bei anderen höfischen Festivitäten war diese Art der Zuschaustellung von Reichtum und Stand ein elementarer Bestandteil. Nur ein Teil der präsentierten Gefäße wurde im Rahmen des Festmahles genutzt. Die meisten, darunter auch reine Schaugefäße, dienten der glanzvollen optischen Umrahmung der Tafel. Teils wurde für Festivitäten sogar Tafelgeschirr bei befreundeten Höfen ausgeliehen – der Überbietungsdruck scheint, ähnlich wie bei heutigen Hochzeiten, hoch gewesen zu sein.

Das Fest als Bühne

Doppelbecher bestehen aus zwei Trinkgefäßen…

Auch das Trinkzeremoniell am Hof unterlag festen Regeln. Das Trinken von Wein nahm bei den Festessen eine wichtige Stellung ein. Zu Beginn des Mahles wurden Handwaschbecken, Kannen und Handtücher hereingetragen. Darauf folgten die Schenken mit Wein und Wasserkannen. Erst danach wurden die Speisen aufgeboten. Nach dem Händewaschen und dem Ablegen der Hüte wurde dem Fürsten der erste Trunk in einem prächtigen, mit einem Deckel geschützten Pokal gereicht. Dieser Moment wurde teils von akustischen Zeichen wie Salutschüssen begleitet und damit auch der Öffentlichkeit außerhalb des Festsaales signalisiert. Trinksprüche begleiteten das Ritual. Bei jedem Trunk des Fürsten mussten sich alle Gäste erheben und stehen bleiben, bis die Gläser wieder abgesetzt wurden.

… ideal für einen besonderen Willkommenstrunk!

Ein zentrales Element solcher Feiern war überdies das demonstrative gemeinsame Trinken. Im Mittelalter wurde oftmals sogar aus einem Gefäß getrunken; später wurde das Zutrinken aus eigenen Gläsern oder Pokalen zum Tischritual. Vorkoster stellten die Sicherheit der Getränke sicher. Aus dieser Zeit stammt auch die Sitte des „Anstoßens“, bei dem sich der Inhalt zweier Pokale miteinander vermischen konnte – ein Schutz vor Vergiftungen. Bis heute gilt das Zuprosten als Ausdruck eines friedlichen Miteinanders und wird zur Bekräftigung von Beziehungen genutzt.

Festbankett im Stuttgarter Schloss, 1579 © Kunstsammlungen der Veste Coburg als Dauerleihgabe der Oberfrankenstiftung Bayreuth

Wein im Überfluss

Weinbrunnenarrangement in der Ausstellung

Der demonstrative Konsum und die prunkvollen Trinkgefäße an der höfischen Tafel waren gesellschaftlich hoch gestellten Personen, vor allem Adligen, vorbehalten. Doch auch die breite Bevölkerung sollte an den Festivitäten teilhaben. Dazu dienten Weinbrunnen, aus denen Wein für alle spendiert wurde. Zumindest während der Feierlichkeiten durften sich die Untertanen ans Schlaraffenland erinnert fühlen. Der Herrscher ließ sich als guter Regent und Garant des Glückes feiern.

Noch heute gibt es in Baden-Württemberg eine ganze Reihe von Festen, bei denen das Motiv des glückverheißenden Weinbrunnens im Zentrum steht. So wird etwa beim jährlichen Weinbrunnenfest in Weil der Stadt ein üppig geschmückter Brunnen auf dem Marktplatz temporär als Ort des Weinausschanks genutzt. Beim Weinbrunnenfest in Vellberg bei Schwäbisch Hall fließt der Wein sogar tatsächlich aus dem extra dafür präparierten Marktbrunnen.

In der kalten Jahreszeit müsst ihr allerdings ins Alte Schloss kommen, um unseren (zugegebenermaßen virtuellen) Weinbrunnen erleben zu können. Oder erspäht Ihr auf dem diesjährigen Weihnachtsmarkt einen Brunnen, an dem Glühwein und alkoholfreier Punsch für alle spendiert wird (Tipps werden dankbar entgegengenommen)? Aber keine Sorge: Ihr könnt bei uns im Landesmuseum nicht nur in Gedanken leckere Getränke genießen. Die heutige Dürnitz bietet – anders als früher – einen offenen Ort für alle, die sich bei einem heißen oder kalten Getränk begegnen und austauschen möchten.

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