Mein erster Leihvorgang. Ein Erfahrungsbericht

Leihvorgänge sind fester Bestandteil der Museumsarbeit, egal ob regional oder international. Über das Fachliche hinaus vernetzen sie Museen und Wissenschaftler*innen miteinander. Als das Stadtmuseum Sachsenheim eine Leihanfrage an das Landesmuseum Württemberg stellte, durfte ich als wissenschaftliche Volontärin diese Gelegenheit nutzen und die Anfrage von der ersten Sekunde an betreuen – vom Eingang der Anfrage bis zum Einbringen der Exponate in die Vitrine.

First things first – was wird geliehen?

Diese Württembergische Zinnmedaille von 1817 setzt der „Großen Theuerung“ buchstäblich ein Mahnmal. Ein identisches Stück befindet sich in unserer Online-Sammlung.

Die Anfrage des Stadtmuseums war eher offen gehalten: Eine Ausstellung zum Thema Klimaflucht sei von April bis September 2022 geplant – hat das Landesmuseum Württemberg thematisch passende Objekte, die es ausleihen würde?

Manchmal wissen potenzielle Leihnehmer von Anfang an, welche Exponate sie in ihrer Ausstellung zeigen möchten. In diesem Fall war mein erster Dienstgang aber ein digitaler – und zwar in unsere Museumsdatenbank Imdas Pro: Hier fanden sich schnell einige Objekte des Münzkabinetts, die Katastrophen im Zusammenhang mit Klimaveränderungen thematisieren.

Für Württemberg waren insbesondere Medaillen zum „Jahr ohne Sommer“ einschlägig: Durch den Ausbruch des indonesischen Vulkans Tambora kam es 1816 weltweit zu erheblichen Klimaveränderungen, die in Europa zu Ernteausfällen, Hungersnöten und Massen-Auswanderungen führten. Besonders hart traf es die Schweiz und das junge Königreich Württemberg. Medaillen der Zeit dokumentieren die horrenden Lebensmittel-Preise, extreme Wetterphänomene und das Elend der Menschen. Manche preisen auch das Ende der Not ab 1817, wie etwa eine besonders schöne Dosen-Medaille aus dem Bestand des Münzkabinetts: Im Inneren befinden sich insgesamt 18 Papierplättchen, die die Schrecken von 1816 und die segensreichen Ernten im Jahr 1817 in Württemberg darstellen.

Aus einer Liste möglicher Leihgaben wählte die Leiterin des Stadtmuseums Sachsenheim Dr. Claudia Papp drei Medaillen auf das Jahr ohne Sommer aus, darunter unsere Dosen-Medaille, und stellte eine konkrete Leihanfrage für diese Objekte an die Direktion des Landesmuseums.

Freud und Leid liegen nah beieinander: Diese Papiereinlagen einer Schraubmedaille zeigen die Folgen des „Jahrs ohne Sommer“ 1816 in Württemberg – sowohl die Unwetter als auch segensreiche, gute Ernten im Folgejahr.

Entscheidung über das Ob und Wie

Eine Leihgabe müssen am Landesmuseum Württemberg drei Parteien befürworten: Die Direktion, die jeweilige Sammlungsleitung und der oder die zuständige*n Restaurator*innen.

Die „Rolle“ der Sammlungsleitung durfte ich dieses Mal unter Anleitung des zuständigen Kurators Dr. Matthias Ohm übernehmen. Was also hat man als Kurator bei einem Leihvorgang zu tun? Zum einen Versicherungswerte bestimmen. Ganz konkret habe ich Angebote und Auktionsergebnisse für Medaillen, die unseren potenziellen Leihgaben in Alter, Material, Motiv und Thematik ähnlich sind, über Portale wie coinarchives.com recherchiert und Mittelwerte gebildet. Zum anderen hat sich die Sammlungsleitung – wie im Übrigen auch die Direktion und die Restaurierung – die Frage zu stellen: Kann das Landesmuseum Württemberg den Verleih dieser Objekte verantworten und wenn ja, unter welchen Bedingungen?

Auch diese Medaille auf die Hungersnot nach dem „Jahr ohne Sommer“ hat sich auf den Weg nach Sachsenheim gemacht.

Für uns ist besonders wichtig, dass das Objekt keinen Schaden nimmt – weder beim Transport noch während der Präsentation. Hier arbeitet die Sammlungsleitung eng mit der Restaurierung zusammen: Bei der Begutachtung der aus Zinn gefertigten Medaillen fand unser Metall-Restaurator Moritz Paysan keine Anhaltspunkte, die gegen eine Ausleihe sprechen würden. Die Untersuchung der Papiereinlage der Dosenmedaille durch unsere Restauratorin Elisabeth Krebs ergab jedoch, dass ein schon etwas löchriges Plättchen vor einem Transport mit Japanpapier gefestigt werde müsse. Außerdem dürften die lichtempfindlichen Papierstückchen in Sachsenheim maximal 50 Lux ausgesetzt und nur auf einer säurefreien Unterlage präsentiert werden, damit die Farben nicht verbleichen und das Papier nicht angegriffen wird.

Doch unter Einhaltung dieser und weiterer Schutz-Maßnahmen für die Objekte sprach nichts gegen eine Ausleihe und alle Parteien – Sammlungsleitung, Restaurierung und Direktion – befürworteten das weitere Voranschreiten des Leihvorgangs.

Vorbereitungen – bald geht’s los!

Ist die Entscheidung für eine Leihgabe im Landesmuseum gefallen, bereitet der oder die zuständige Registar*in, in unserem Fall Chris Gebel, den Leihvertrag vor und beauftragt die Versicherung der Objekte. Auch der Objekttransport an den Ausstellungsort, den in der Regel zwei Mitarbeiter*innen des Landesmuseums durchführen, muss geplant werden: Frau Krebs und Herr Paysan verpackten die Medaillen umsichtig und mit viel Fingerspitzengefühl in einem Transportköfferchen. Da Herr Dr. Ohm und ich den Transport durchführen würden, erhielt ich in der Restaurierungswerkstatt eine kleine Einweisung in das richtige Entpacken der Medaillen und das Objekt-Handling.

In der Zwischenzeit hatte ich regelmäßig Informationen und Zwischenstände an Frau Dr. Papp in Sachsenheim übermittelt, damit man sich auf die Objekt-Anforderungen einstellen konnte. Nachdem der Vertrag von unserer Direktorin Prof. Dr. Astrid Pellengahr unterschrieben und der Transporttermin vereinbart war, konnte es endlich losgehen!

Auf nach Sachsenheim!

Die Exponate werden zurechtgerückt.

Nach kurzer Anreise im Museum in Sachsenheim angekommen, erwartete uns bereits Frau Dr. Papp. Der Ausstellungsaufbau lief auf Hochtouren, es war also keine Zeit zu verlieren. Nachdem alle Papiere unterschrieben und die Vitrine vorbereitet war, kam der große Moment: Ich durfte die Medaillen selbst aus dem Transportkoffer nehmen und in die Vitrine einbringen. Beim Platzieren der Exponate stellen sich auch gestalterische Fragen: Sind Text und Objekt auf einer Höhe, sind die Abstände gleich, kann das Publikum alles gut erkennen? Damit man buchstäblich beide Seiten der Medaillen kennt und auch die jeweilige Rückseite sichtbar ist, haben wir die durchsichtigen Acrylglas-Präsenter, auf denen die Medaillen platziert wurden, auf Spiegel gestellt.

Das Platzieren der Papierplättchen ist echte Sisyphusarbeit…

Bei der Dosen-Medaille lief es ein wenig anders: Hier erübrigte sich die Spiegel-Lösung, da man die beiden zusammengeschraubten Teile nebeneinander zeigen kann. Die Papierplättchen wurden dagegen von mir mit einem Feinhaar-Pinsel, den unsere Restauratorin Frau Krebs dem Transportkoffer beigelegt hatte, vorsichtig auf der säurefreien Unterlage platziert. Das über 200 Jahre alte Papier sollte auf keinen Fall gebogen werden, für das Anheben und Bewegen der Plättchen war der Pinsel unverzichtbar.

Neben der Wanderausstellung „Klimaflucht“ der Deutschen Klima-Stiftung zeigt das Stadtmuseum Sachsenheim noch bis zum 11. September 2022 seine Sonderpräsentation mit regionalen Beispielen zum Thema. Kommt doch unsere Objekte in Sachsenheim besuchen!

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