„Magie“ im christlichen Mittelalter

Bis zum 2. Juni 2024 zeigt das Landesmuseum Württemberg die Große Mitmachausstellung Die kleine Hexe. Magisches finden Sie nicht nur in dieser Sonderausstellung, sondern auch in unseren Schausammlungen Wahre Schätze und LegendäreMeisterWerke. Mit diesem Blogbeitrag wollen wir Ihnen einen kleinen Einblick in mittelalterliche Vorstellungen von magischen Kräften geben.

Unheil abwehrende Kreaturen und Gift neutralisierende Materialien

Das Mittelalter war trotz der alles durchdringenden Macht der christlichen Kirche, die offiziell Magie als Häresie ablehnte, geprägt von magischen Vorstellungen und Ritualen. So waren Praktiken wie die Nutzung von Zaubersprüchen, die Anrufung okkulter Kräfte, um zu heilen oder das Tragen von Amuletten mit Schutzfunktion weit verbreitet und wurden teils mit christlichen Vorstellungen verbunden. Unterschieden wurde zwischen „weißer“, „natürlicher“ Magie und „schwarzer“, „dämonischer“ Magie, wobei die Übergänge fließend waren. Als „schwarze“ Magie wurde beispielsweise die Beschwörung böser Geister gedeutet, die einem Menschen schaden (und dadurch häufig einem anderen nutzen) sollten. Die „weiße“ Magie machte sich dagegen „natürliche“, positiv wirksame okkulte Energien wie etwa übersinnliche Heilkräfte zunutze. Auch die Astrologie, die Deutung von Zusammenhängen zwischen astronomischen Ereignissen wie Gestirnkonstellationen und irdischen Vorgängen, wurde im Spätmittelalter intensiv betrieben und war als eine der sieben freien Künste hochgeschätzt.

Abb. 1: „Weyßkunig lernet die Swartzkunst“, Holzschnitt von Hans Burgkmair d. Ä., 1510/15, Druck Wien 1775

Dass die Magie im Spätmittelalter zu den Wissensgebieten gehörte, in denen ein angehender Regent ausgebildet werden sollte, zeigt sehr schön das autobiographisch geprägte, unvollendet gebliebene Buch „Der Weißkunig“ Kaiser Maximilians I. (1459–1519). Im Kapitel „Wie der Jung Weyß kunig, lernet die Swartzkunst“ arbeitete Maximilian die spätmittelalterliche Vorstellung von Magie, die geprägt war vom Streit zwischen „weißer“ und „schwarzer“ Magie, literarisch auf. Der junge „Weißkunig“ will alle Facetten dieser „Kunst“ kennenlernen, um dann das Gute zu behalten und das Schlechte zu meiden, wobei Gott selbstverständlich die oberste Instanz ist. Der begleitende Holzschnitt zeigt den Jungen mit einem Lehrer, der ihn mittels eines Buches in die magischen Künste, darunter die Alchemie, einführt. Links von ihm verweisen eine Hexe und ein Dämon, der seine Kralle ausstreckt, auf dunkle Mächte. Rechts wachen Vertreter einer anderen übernatürlichen Kraft, des christlichen Glaubens, ein Mönch und ein Engel.

 

Antike Motive christlich umgedeutet

In den im Mittelalter präsenten magischen Vorstellungen lebten teils Traditionen vorausgehender Kulturen fort. So waren beispielsweise an den Portalen mittelalterlicher Kirchen, gleichsam an der Grenze zwischen irdischem und himmlischem Bereich, oft mächtige Beschläge in Gestalt von Löwenköpfen mit einem Ring im Maul angebracht.

Abb. 2: Türzieher aus Kloster Blaubeuren, wohl Schwaben, 1. Hälfte 12. Jahrhundert

Als Behüter des Eingangs lassen sich ähnliche Löwenköpfe bis zu altorientalischen Palast- und Tempelanlagen zurückverfolgen und auch in der griechischen und römischen Antike wurde das Motiv vielfach verwendet. Im christlichen Mittelalter lassen sich Löwen-Türzieher ab der Karolingerzeit nachweisen. Die aus der Antike bekannte Schutzfunktion wurde dabei um weitere Bedeutungen ergänzt. So sollten die wehrhaft wirkenden Tiere nicht nur Unheil abwenden und vor Entweihung des heiligen Raumes warnen, sondern der Löwe verkörperte zudem Christus und seine Macht. Auch in weltlichen Angelegenheiten wurden mit Löwen-Türziehern übernatürliche Kräfte verbunden: Da der Löwe als Symbol von Gerechtigkeit und Gerichtsbarkeit galt, wurden den Türziehern auch eine Funktion im Rechtsleben zugeschrieben. Durch Berührungen des Rings wurden Rechtsgeschäfte, wie etwa die Übertragung von Grundbesitz, bekräftigt.

 

Gebändigte Dämonen im Kirchenraum

Nicht nur an Kirchentüren wurden dämonische Kreaturen platziert, auch in den Gotteshäusern begegneten vor allem im 12. und 13. Jahrhundert an verschiedenen Stellen Bestien, die christlich ausgedeutet wurden.

Abb. 3: Drachenleuchter, Hildesheim, 1. Hälfte 13. Jahrhundert

So verkörperten beispielsweise Drachen die Bedrohung des Menschen durch seine Sünden und verwiesen auf die zu befürchtenden Höllenqualen. An Kerzenleuchtern, die auf dem Altar aufgestellt waren, wurden Drachen als durch das Licht Christi gebändigte Bestien gedeutet. Bei einem motivisch eher ungewöhnlichen Drachenleuchter in der Sammlung des Landesmuseums Württemberg wird das Motiv der Überwindung des Bösen durch das Licht Gottes noch um eine weitere christliche Vorstellung ergänzt. Im Maul des Drachens erkennen wir einen betenden Ritter mit Kettenhemd und Helm. Fast scheint der Drache den tapferen Ritter zu verschlingen, doch rettet ihn seine Frömmigkeit vor der Bestie. Die Darstellung erinnert an die alttestamentliche Geschichte von Jonas, der durch die Gnade Gottes vom Wal wieder ausgespien wurde.

Wirkmächtige Materialien und ihre Einsatzmöglichkeiten

Der Glaube an der Natur innewohnende Kräfte äußerte sich im Mittelalter unter anderem darin, dass bestimmten, meist seltenen Materialien besondere Wirkmächte zugeschrieben wurden. Diese Wirksamkeit wollte man sich auf unterschiedliche Art und Weise zunutze machen. So wurden Gegenstände, denen aufgrund ihrer Materialität Schutzfunktion zugeschrieben wurde, beispielsweise als Amulette getragen.

Abb. 4: Hl. Jakobus, Pilgerandenken aus Gagat, Spanien, mittleres 15. Jahrhundert

Die kleine Statuette aus Gagat, die den Schutzpatron der Pilger, den heiligen Jakobus, darstellt, war ursprünglich als Standfigur gearbeitet. Gagat, auch Pechkohle genannt, ist fossiles Holz, im Übergang von Braun- zur Steinkohle. Mit dem für seinen Glanz und die einfache Bearbeitungsmöglichkeit geschätzten Material wurden heilsame und unheilabwehrende Eigenschaften verbunden. An der kleinen Statuette zeugen nachträglich angebrachte Bohrlöcher von der Umarbeitung zu einem am Gewand anzuheftenden Pilgerzeichen beziehungsweise Schmuckstück. Damit vereinigte die Figur die christliche Vorstellung des schützenden Heiligen und die „natürliche Magie“ des besonderen Materials Gagat, das durch das körpernahe Tragen eine besonders intensive Wirksamkeit erhalten sollte.

Abb. 5: Doppelbecher aus Maserholz, Süddeutschland, mittleres 15. Jahrhundert

Eine andere Form der Nutzbarmachung von wirkkräftigen Materialien dokumentieren Trinkgefäße, die aus vermeintlich Gift abweisenden oder anzeigenden Stoffen angefertigt wurden. Über die Kunstkammer der Herzöge von Württemberg gingen mehrere mittelalterliche Pokale aus Maserholz in die Sammlung des Landesmuseums ein, die als Doppelbecher geformt sind. Das durch seine besondere Maserung gekennzeichnete Holz, Ergebnis einer Wucherung des Stammes, wurde im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit nicht allein wegen seiner Struktur als kostbar empfunden. Es war insbesondere aufgrund seiner angeblich entgiftenden Wirkung sehr geschätzt, galt als unvergänglich und sollte darüber hinaus dem Wein einen guten Geschmack verleihen.

 

Bildangaben:
Abb. 1: Universität Heidelberg
Abb. 2-5: Landesmuseum Württemberg, Stuttgart. Foto: P. Frankenstein / H. Zwietasch / J. Leliveldt, CC BY-SA 4.0

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