Bärenkult und Mischwesen der Altsteinzeit

Bis zum 2. Juni 2024 zeigt das Landesmuseum Württemberg die Große Mitmachausstellung „Die kleine Hexe“. Magisches finden Sie nicht nur in dieser Sonderausstellung, sondern auch in unseren Schausammlungen Wahre Schätze und Legendäre MeisterWerke. In diesem Blogbeitrag möchten wir Ihnen einen kurzen Einblick in das Leben in der jüngeren Altsteinzeit geben und zwar anhand von Gegenständen, die auf uns heute mystisch wirken und die auch für die Menschen damals vielleicht von besonderer Bedeutung waren. Aspekte möglicher kultischer Rituale sind uns durch die eiszeitliche Kunst überliefert. Die Interpretation dieser Kunstobjekte im Zusammenhang mit deren Fundort, weiteren Funden, aber auch mit Forschungen an anderen Fundstellen und in anderen Kulturen erlauben heute eine Diskussion über Bärenkult und Schamanismus in der jüngeren Altsteinzeit.

Leben in der jüngeren Altsteinzeit

Abb. 1: Steinschläger

Die jüngere Altsteinzeit ist der Zeitraum von etwa 43.000 bis 12.000 Jahren vor heute. Während der damals herrschenden Eiszeit waren die Winter lang und kalt, die Sommer trocken, kurz und kühler als heute. Die Menschen jagten, sammelten und stellten Werkzeuge sowie Kunstgegenstände her. Die Überreste dieser Objekte geben uns heute einen Einblick in den eiszeitlichen Alltag. Doch welche Objekte sind es, und warum sind sie laut Aussagen von Wissenschaftler*innen mit kultischen Ritualen in der jüngeren Altsteinzeit zu verbinden?

 

 

Bärenkult in der jüngeren Altsteinzeit?

Abb.2: Bär aus dem Geißenklösterle

In der eiszeitlichen Steppenlandschaft beobachteten und jagten die Menschen Tiere um Nahrung und Rohstoffe zu erhalten. Ein beeindruckendes und bedrohliches Tier war der Höhlenbär. Aufgerichtet konnte er bis zu 3,50 Meter groß werden. Trotz seiner Größe und der von ihm ausgehenden Gefahr haben die Menschen auch Höhlenbären gejagt, vor allem während die Tiere ihre Winterruhe gehalten haben. Der Höhlenbär diente aber nicht nur als Fleisch-, Fell- und Lederquelle, sondern auch als Vorbild für die Eiszeitkunst. Ein Beispiel dafür ist die kleine Bärenfigur aus dem Geißenklösterle, einer Höhle im Achtal bei Blaubeuren. Sie wurde vor etwa 40.000 Jahren, zu Beginn der jüngeren Altsteinzeit, hergestellt. Die ca. 5 Zentimeter große Figur aus Mammutelfenbein zeigt die besondere Wertschätzung des Höhlenbären durch einen Eiszeitkünstler. Obwohl sie nicht vollständig erhalten ist, handelt es sich eindeutig um eine aufrechte Bärendarstellung.

Es gibt verschiedene wissenschaftliche Interpretationen dieser Figur. Eine davon bringt den Bärenkult, der in späteren Kulturen zu finden ist, mit den eiszeitlichen Gesellschaften in Verbindung. Nach dieser Interpretation fühlten sich die Menschen schuldig, die Ordnung der Natur durch das Töten der Tiere zerstört zu haben. Deshalb versuchten sie, diese durch verschiedene Rituale wiederherzustellen. Ein Blick auf die Darstellungen von Bären in anderen, uns näherstehenden Kulturen (z.B. bei den Inuit im nördlichen Nordamerika und auf Grönland) zeigt, dass diesen dort auch eine friedliche und spielerische Seite innewohnte. In dem Fall könnte die Figur auch als tanzender Bär interpretiert werden.

Mischwesen und Schamanismus?

Abb. 3: Adorant aus dem Geißenklösterle. Vorderansicht

Wir fragen uns heute: Gab es in der jüngeren Altsteinzeit schon ähnliche Rituale und was könnte dabei passiert sein? Leider können wir beide Fragen nicht eindeutig beantworten. In der Eiszeitkunst gibt es noch einen weiteren Aspekt, die Abbildung von Mischwesen, der uns zu verschiedenen Interpretationen anregt. Der Löwenmensch vom Hohlenstein-Stadel, der kleine Löwenmensch vom Vogelherd, beide aus dem Lonetal, und der Adorant (der Betende) vom bereits erwähnten Geißenklösterle sind Objekte von der Schwäbischen Alb, die etwa 40.000 Jahre alt sind und Mischwesen mit tierischen und menschlichen Attributen darstellen. Sie könnten also die Verwandlung eines Menschen in ein Tier thematisieren. Solche Darstellungen werden oft mit Schamanismus in Verbindung gebracht. Sind sie ein Hinweis auf die Existenz von Schamanen? Menschen also, die in Tiergewändern in Trance verschiedene kultische und rituelle Praktiken ausübten und die zum Wohle der Gemeinschaft die Geister anriefen?

Abb. 4: Rückseite des Adorantes aus dem Geißenklösterle

Zusätzlich ist das Halbrelief des Adoranten auf der Schmal- und der Rückseite mit Kerben und Punkten verziert. Diese werden oft als Mondkalender gedeutet. In Verbindung mit der Darstellung des Löwenmenschen auf der Vorderseite diente das Objekt möglicherweise als Kalender für schamanische Rituale.

In jedem Fall deutet die Kombination von menschlichen und tierischen Elementen in den Figuren bereits auf eine Vorstellungswelt außerhalb des tatsächlich Beobachtbaren in der jüngeren Altsteinzeit hin.

Neugierig auf die Welt der Eiszeitkunst und ihre Geheimnisse?

Die Originalfiguren des Bären und des Adoranten aus dem Geißenklösterle sind in der Schausammlung im 2. Stock des Landesmuseum Württemberg im Alten Schloss zu besichtigen. Bis zum 5. Mai können Sie aber auch Kopien und Nachbildungen der beiden Kunstwerke anfassen und zwar in der Sonderausstellung „Urformen. Eiszeitkunst zum Anfassen“ im Ständesaal des Landesmuseums in Stuttgart. Dort gibt es die Möglichkeit, tiefer in die Welt und das Leben der Eiszeitkünstler und ihrer Objekte einzutauchen.

 

Bildangaben:

Abb. 1: Benoit Clarys, Louvain-la-Neuve / Belgien
Abb. 2: Landesmuseum Württemberg, Stuttgart. Foto: Hendrik Zwietasch, CC BY-SA 4.0
Abb. 3: Landesmuseum Württemberg, Stuttgart. Foto: Hendrik Zwietasch, CC BY-SA 4.0
Abb. 4: Landesmuseum Württemberg, Stuttgart. Foto: Hendrik Zwietasch, CC BY-SA 4.0

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