Wird ein Kunstwerk untersucht, so geschieht dies zunächst mit ganz gewöhnlichem, sichtbarem Licht. Es wird mit einer Tageslichtlampe angestrahlt und mit einer kleinen Handlampe aus verschiedenen Positionen mit Streiflicht abgeleuchtet. So eine Untersuchung zeigt allerdings manchmal nicht alles, was wir gerne wissen würden, denn viele interessante Details liegen unter der Oberfläche. An diesem Punkt wird von der Oberflächenuntersuchung zu den sogenannten Tiefenuntersuchungen übergegangen.
Vorsicht, Physik!
Ein Verfahren, das uns dafür zur Verfügung steht ist die Untersuchung mittels infraroter Strahlung. Diese befindet sich im elektromagnetischen Spektrum zwischen dem sichtbaren Licht und der Mikrowellenstrahlung und ist euch vielleicht schon einmal in Form von Wärmelampen begegnet. Das menschliche Auge kann Strahlung im Infrarotbereich auf Grund des Wellenlängenbereichs von 780 nm – 1 mm nicht mehr wahrnehmen. Richten wir also einen Infrarotstrahler auf ein Gemälde, sehen wir erst mal gar nichts. Um trotzdem eine Auswertung vornehmen zu können, brauchen wir eine spezielle Kamera, die mehr „sehen“ kann als wir.
Durch ihre physikalischen Eigenschaften dringt die infrarote Strahlung weiter in den Aufbau eines Objektes ein als das sichtbare Licht. Letzteres wird in der Regel an der Oberfläche eines Gegenstandes teilweise absorbiert und teilweise reflektiert, woraus sich das für unsere Augen sichtbare Bild ergibt. Im Gegensatz dazu durchdringt Infrarotstrahlung mehrere Schichten aus denen beispielsweise ein Gemälde aufgebaut ist und wird erst viel tiefer im Gefüge absorbiert und reflektiert.
Wenn Künstler Reue zeigen…
Um eine Bildkomposition vorzubereiten, brachten Künstler oftmals Zeichnungen auf den bereits grundierten Bildträgern (wie Leinwand oder Holztafel) auf, die sogenannten Unterzeichnungen. Da aber anschließend die Farbschichten der Malerei darüber gelegt wurden, sind diese Linien für uns heute nicht mehr ohne Weiteres sichtbar. Trotzdem ist es möglich, sie mit Hilfe von Infrarotstrahlen sichtbar zu machen, da diese bis zur Unterzeichnung dringen können. Das Resultat können wir dann an der Kamera oder einem angeschlossenen Computer betrachten.
Die Unterzeichnung ist ein wichtiger Schritt im Werkprozess von Künstlern und veranschaulicht deren Arbeitsweise. Es wurden nicht nur die Umrisslinien vorgezeichnet, sondern auch Schraffuren zur Modellierung von Licht und Schatten. Besonders interessant können auch sogenannte „Pentimenti“ oder „Reuezüge“ sein. Ein solches Pentiment liegt beispielsweise vor, wenn wir sehen können, dass eine Hand in einer anderen Geste vorgezeichnet wurde als sie dann schlussendlich gemalt wurde. Am Lichtensterner Retabel gibt es ein paar schöne Beispiele für solche kleinen Kompositionsänderungen.
Des Schwertes Schneide…
Auf der sogenannten Werktagsseite des linken Drehflügels ist im unteren Bilddrittel eine Darstellung der von Schwertern durchbohrten Maria zu sehen. Unter infraroter Strahlung ist sowohl die Vorzeichnung der Faltenwürfe ihres Gewandes zu sehen als auch Pentimenti an den Schwertern. Bei genauer Betrachtung fällt auf, dass die Linien der Zeichnung neben der ausgeführten Malerei liegen.
Auf anderen Teilen des Retabels können wir noch viel mehr solcher interessanter Details entdecken. Es gibt verschobene Zehen und Finger, korrigierte Nasen, aber auch Formänderungen an Gewändern oder einer Waffe. Es ist immer spannend, was eine Infrarot-Untersuchung alles sichtbar machen kann. Ein Blick unter die Oberfläche lohnt sich immer!
Vielen Dank für diesen sehr interessanten Artikel und den Einblick in Ihre Arbeit!
Tolle Bilder, gerne mehr davon!
Liebe Julia,
danke für das Lob. Es freut mich, wenn Ihnen der Beitrag gefallen hat.
Mit vielen Grüßen aus der Gemälderestaurierung
Sabrina Kunz