„Ich bin dann mal weg“

Büttenfigurenpaar mit Kokosnüssen auf dem Rücken als Jakobspilger, Leodegar Grimaldo (nachweisbar 1601–1638), 1620, Holz geschnitzt und gefasst, vergoldete Silbermontierung, Landesmuseum Württemberg, Stuttgart, Inv.-Nr. KK braun 23, KK braun 24

Unter diesem Titel beschrieb der Kabarettist und Autor Hape Kerkeling 2006 seine Erfahrungen als Jakobspilger auf der Wanderung nach Santiago de Compostela zum Grab des Apostel Jakobus. Er folgte damit einer langen Tradition von Pilgerschaft, die sich seit der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts aus ganz Europa auf diese lange und gefahrvolle Reise begaben. Entlang alter Reichs-, Wein- und Heeresstraßen orientierten sich die Routen an den vorhandenen Infrastrukturen mit Klöstern, Hospitälern und Herbergen zur Sicherung der Versorgung. Die Routen aus Württemberg führten über Ulm, Konstanz und Basel weiter nach Frankreich. Vom Bodensee waren es noch 2.400 km bis zum spanischen Ziel.

Herstellermarke LG auf der Fassung der Kokosnuss des Büttenmannes

Aus der Kunstkammer der Herzöge von Württemberg stammen zwei Büttenfiguren, die aufgrund der typischen Attribute Mantel, Pilgerhut und -stab sowie der Jakobsmuschel als Jakobspilger identifiziert werden können. Einen langen Weg haben die für den Stuttgarter Hof gefertigten Figuren aber nicht genommen, dafür stammen die Kokosnüsse, die das Pilgerpaar als Weinbütten auf dem Rücken trägt aus weit entfernten, tropischen Ländern. Exotische Materialien wurden gerne in Kombination mit kunsthandwerklichen Preziosen verwendet und stellen die typische Verbindung von Naturalia und Artificialia, der natürlichen und menschlichen Genialität, dar.

Die Figuren stammen aus der Goldschmiedewerkstatt von Leodegar Grimaldo, der u.a. in Schorndorf bei Stuttgart tätig war und gerne exotischen Materialien zur Gestaltung seiner Trinkspiele verwendete. Von ihm stammt auch ein Tischautomat als Schildkröte, ebenfalls aus der Kunstkammer der Herzöge von Württemberg. Ehemals saß ein Mann auf der Schildkröte, der eine Bütte auf dem Rücken trug, die Figur ging verloren.

 

 

Symbole weisen den Weg zur Interpretation

Von hohem Stand: Die Büttenfrau mit Spitzenkragen und Pilgerkleidung

Die Bütten verweisen zwar auf den Beruf des Winzers, der Büttenfiguren üblicherweise als Vorbild dient, die Kleidung – etwa der Spitzenkragen der Frau – weist sie jedoch als Angehörige eines höheren Standes aus, die sich eine solche Reise leisten konnten.

Fernpilgerreisen waren lange dem Klerus und Adel vorbehalten und hatten hohes gesellschaftliches Ansehen, nach dem ab der Frühen Neuzeit auch die städtischen Eliten strebten. Die vor allem am Hut zu tragende Jakobsmuschel symbolisierte seit der Antike das Grab und sollte die Pilger schützen, sie bildete als Apotropäum (Unheil abwehrend) damit eine „materiell greifbare Heilsversicherung“.

Die Verschlüsse der Kokosnüsse sind als Hase (bei der Frau) und als Eichhörnchen (beim Mann) gestaltet, beide haben symbolische Bedeutung. Der Hase steht für Fruchtbarkeit, was eventuell der Anlass der Pilgerin für die Reise war. Das Eichhörnchen, das sich mit seinem buschigen Schwanz selbst vor dem Regen schützt, steht für geduldige Zuversicht, die sicher für eine lange und beschwerliche Reise nötig ist.

Einsatz auf der Tafel

Neben diesen augenscheinlichen Symbolen, erfüllten die beiden Figuren aber noch eine weitere Aufgabe: Sie waren teil der Tafelkultur des 17. Jahrhunderts. Bei großen Feierlichkeiten an den fürstlichen Höfen zählten auch zahlreiche Trinkspiele zu den Ritualen. Hierfür waren die unterschiedlichsten Gefäße und Figuren im Einsatz.

Willkomm und Prosit – Trinkrituale und Herrschaftsrepräsentation bei Hof

Unter den Bütten befinden sich abschraubbare Kreisel mit Abkürzungen wie „DA“ (Drink Aus), „NH“ (Nimm Hoch) und „LS“ (Lass Stehen). Die Kreisel wurden auf dem Tisch gedreht. Der Anweisung der zugewandten Seite war dann Folge zu leisten.

Ein weiterer Meilenstein, die Restaurierung

Anlässlich unserer Ausstellung „Berauschend. 10.000 Jahre Bier und Wein“ wanderten die Figuren erst einmal in unsere Restaurierungsateliers und erstrahlen nun in neuem Glanz. Seht selbst welche Schritte hierfür unternommen wurden.

Für die Gestaltung und Produktion der Bütten-Figuren um 1620 brachten die in Handwerkszünften organisierten Holzbildhauer, Fassmaler und Silberschmied ihre berufsspezifische Materialkenntnis ein. Ähnlich wie bei der fachübergreifenden Herstellung von Objekten aus Materialkombinationen wird heute für die Restaurierung kombinierter Objekte die Zusammenführung materialspezifischer Kenntnisse benötigt, welche die spezialisierten Restauratorinnen und Restauratoren des Landesmuseum Württemberg auch an junge KollegInnen weitergeben.

So erlernte eine Praktikantin bei der Restaurierung des Figurenpaares malschichttypische Techniken wie Untersuchung, Reinigung und Festigung an fragilen Bereichen der Farbfassung. Die Arbeiten standen im Rahmen ihres studienvorbereitenden Praktikums, unter Anleitung einer Gemälderestauratorin.

 

Zu festigende Farbschollen

Metallreinigung

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Nach der Stabilisierung der Malschicht übernahm ein Metallrestaurator die Reinigung der metallischen Bestandteile aus vergoldetem Silber. Dabei kamen feinste in Wasser aufgeschlämmte Polierpulver zum Einsatz, die mittels mikrofaserbespannter Lindenholzstäbchen über die Goldoberfläche gerieben wurden.

 

Der Büttenmann während der Restaurierung

Da die gefassten Holzfiguren nicht schadlos gewässert werden können, wurde beim Reinigungskonzept darauf geachtet, keine schädlichen Chemikalien im Objekt zu hinterlassen und leicht entfernbare Materialien zu verwenden, die aufgrund ihrer geringen Korngröße selbst unter der Lupe keine sichtbaren Kratzer in der Metalloberfläche hinterlassen.

Um bei der Reinigung möglichst kein puderfeines weißes Polierpulver und keinen schwarzen Metallabrieb auf die Malschicht zu hinterlassen, wurden die Metallteile bei der Reinigung mit dünner Polyesterfolie hinterlegt.
Trotz großer Vorsicht unvermeidliche Poliermittelreste wurden bei der anschließenden Reinigung der Malschicht wieder entfernt.

Vorher… Nachher

Das aus Laubholz geschnitzte, farbig gefasste (bemalte) Büttenpaar sollte ohne größere Eingriffe in seinem Bestand gesichert und ästhetisch ansprechend konserviert werden.

Büttenpaar vor und nach der Konservierung

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

In der Vergangenheit hatte unsanfte Behandlung der fragilen Figuren zu Verlusten von Fingern und sogar der ganzen linken Hand der Büttenfrau geführt, zu Holzbrüchen an ihren Stiefeln und zum Bruch des Wanderstabes des Büttenmannes. Durch Klimaschwankungen waren punktuelle Abblätterungen der Fassung (Bemalung) entstanden, etwa am Jackenärmel des Büttenmannes. Hier half eine Festigung mit Celluloseetherklebstoff unter leichter Erwärmung, bei kleinen Holzbrüchen eine Klebung mit verdünntem tierischem Leim. Fleckig-verschmutzte Oberflächen konnten unter Erhalt von leichter Patina mit mildem Tensid und entmineralisiertem Wasser gereinigt werden. Die Schließung von Fehlstellen der Fassung (Bemalung) mit einer Kittmasse aus Cellulose und Kreide, die Retusche (farbliche Angleichung) mit Künstler-Aquarellfarben und ein dünner Überzug mit Naturharzfirnis bildeten den Abschluss der Maßnahmen. An den Händen der Büttenfrau wurde wegen Unkenntnis ihrer ursprünglichen Gestalt keine Rekonstruktionen vorgenommen.

Fassungsausbrüche am linken Jackenärmel, vor und nach der Reinigung und Konservierung.

Erste Reinigungsproben an Schürze und Jacke. Links am Rocksaum ältere Farbpuren des ursprünglich roten Saumes (Pfeil).

 

 

 

 

 

 

 

 

 

In jedem Jahrhundert neu bemalt

Eine kleine, nicht übermalte, also ursprüngliche Ecke der Haube der Büttenfrau (grün mit goldgelbem Saumschmuck).

Befanden sich die beiden Figuren nun einmal auf dem Ateliertisch, so stellte sich unter mikroskopischer Vergrößerung von Malschichtfehlstellen heraus, dass die jetzt sichtbare Farbfassung nicht die erste, sondern bereits die dritte darstellt. Was auf den ersten Blick nicht sichtbar ist: Die ursprüngliche Fassung des 17. Jahrhunderts zeigte vor allem bei der Büttenfrau viel dunkleren Charakter, denn sie war ursprünglich mit schwarzer Jacke, schwarzbraunem Rock mit zinnoberrotem Saum, schwarzblauer Schürze und schwarzen Stiefeln bekleidet. Unter dem Pilgerhut trug sie eine inwendig weiße, außen grüne Haube mit besticktem oder perlenbesetztem Saum, ihre Kleidung kam einer gediegenen Tracht nahe.

Farbiger zeigte sich ursprünglich der Büttenmann, er trug unter seiner schwarzen Jacke eine ockergelbe Weste, dazu dunkelgrüne Hosen, hellrote Strümpfe und schwarze kurze Stiefel. Gemeinsam waren beiden Figuren ihre schon immer schwarzen Pilgerhüte, ihre ursprünglich blassrosafarbigen Inkarnate (Hautton), hellbraune, muschelbesetzte Pelerinen als Wetterschutz und grüne Standflächen. Im 18. Jahrhundert erfolgte der Wechsel zu hellerer barocker Farbigkeit, zum Beispiel Hellgelb für die beiden Jacken und den Rock der Büttenfrau (mit rotem Saum) und Weiss für ihre Schürze. In der Drittfassung nahm das späte 19. oder frühe 20. Jahrhundert diese Farbigkeit teils ähnlich, teils verändert wieder auf: die Jacke der Büttenfrau wurde nun in Ockergelb, ihr Rock dagegen in kühlem Graurosa übermalt. Beide Erneuerungsphasen des Büttenpaares mögen aus Zeitgeschmacksgründen erfolgt sein und sind als historische Zeugnisse zu verstehen.

Macht Euch selbst ein Bild und besucht die beiden in der Ausstellung im Alten Schloss!

Wer die Büttenfiguren kennenlernen möchte, ist zu unserem morgigen KulturKaffee mit der Kuratorin Katharina Küster-Heise herzlich eingeladen!

2 Kommentare zu “„Ich bin dann mal weg“”

  1. Eine tolle Rekonstruktion! Gut gelungen! Hut ab vor so viel „Fuzzelkram“. Schade, dass die Rekonstruktion der fehlenden weiblichen Hand nicht realisierbar ist. Ich persönlich tippe aufgrund der Haltung der weiblichen Figur darauf, dass sie die fehlende Hand ebenfalls nach oben geöffnet hält vermutlich auch mit gespreizten Fingern, wie bei der rechten Hand. Im Vergleich zu den Händen des Mannes, die geschlossen sind, da er den Stock in den Händen hält, dürfte eine offene Geste der Frau wahrscheinlich sein.
    Beide haben den Mund geöffnet. Ond richdig lang schwätza ko an Schwob (Frage der Herkunft ist wohl auch nicht eindeutig – Kunstkammer der Herzöge von Württemberg) au bloss, wenn er sich wo feschthebt odr mit de Hend sei Geschwätz ondrschditzt. Dädat selle bloss kurz was g’schwäzt häba, wär s‘ Mäule net offa ond d’Hend en dr Hosatasch odr oderm Schurz. A „Griass Gott“ braucht koin Kerpereisatz.
    Ich hoffe,mein Kommentar entlockt Euch ein Schmunzeln! Herzliche Grüße!

  2. Danke Gabriele Farkas, für das Mitdenken. Es wäre jedoch auch möglich, dass die Pilgerin ebenfalls einen Wander/Pilgerstab in der fehhlenden Hand hielt. Bei so vielen ungesicherten Möglichkeiten halten wir und daher mit Ergänzungen zurück, in Gedanken ergänzen darf gerne jeder.
    Herzlichen Dank und beste Grüße
    Katharina Küster

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