Form-Fragen in Stuttgart

„Ist Form der Kern jeglicher künstlerischen Arbeit, und sollte sie deshalb auch im Zentrum der Kunstgeschichte stehen?“ fragt der diesjährige Kunsthistorikertag, der als großer kunsthistorischer Fachkongress vom 23. bis 27. März 2022 an mehreren Institutionen in Stuttgart stattfindet.

Willi Baumeister: Katalog der Werkbund-Ausstellung „Die Form“ (1924) CC 3.0 Lizenz / Willi Baumeister Stiftung

Der Kunsthistorikertag wird alle zwei Jahre an unterschiedlichen Städten in Deutschland ausgerichtet. Träger ist der Verband Deutscher Kunsthistoriker, dem rund 5000 Kunsthistoriker*innen angehören und der sich als Berufsverband für die Interessen seiner Mitglieder einsetzt, die als Kunsthistoriker*innen in Deutschland und in deutschen Institutionen im Ausland in Museen, in Galerien, an Universitäten, Hochschulen, in der Denkmalpflege, in unterschiedlichen Kulturinstitutionen oder in diversen Einsatzbereichen auf freiberuflicher Basis in der Kunstvermittlung arbeiten.

Das diesjährige Motto des Stuttgarter Kunsthistorikertages „Form Fragen“ ist für den Veranstaltungsort Stuttgart sehr passend: es bezieht sich auf die Ausstellung „Die Form“, die 1924 in Stuttgart vom Deutschen Werkbund veranstaltet wurde. Ausgestellt wurden damals unterschiedliche Objekte, die aufgrund ihrer reduzierten Form als vorbildhaft in ihrer Gestaltung galten. Die „gute Form“ war in aller Munde: Kunstkritiker*innen, Kunsthistoriker*innen und Künstler*innen hofften durch schöne Produktgestaltung nicht nur der Gestaltungsarmut serieller Massenwaren der zunehmenden Industrialisierung entgegen zu wirken, sondern auch eine ganz neue Gesellschaft zu formen.

 

Vorbildhaftes aus dem ehemaligen Landesgewerbemuseum

 

Auch das Landesmuseum Württemberg beschäftigt sich aktuell intensiv mit „Form-Fragen“: die Frage nach der guten Form, nach Vorbild und Geschmacksbildung findet sich beispielsweise auch in der Sonderausstellung „GeschmacksSache“ wieder. Aber auch das Musterlager mit seinen Vorbildersammlungen, das dem ehemaligen Stuttgarter Landesgewerbemuseum voran ging, zu dem wir gerade ein großes Digitalisierungsprojekt abschließen konnten, war als Vorbildersammlung klar mit erzieherischem Auftrag angelegt worden. Kunsthistorische Fachleute und Museumsschaffende waren sich im Europa des ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhundert einig, dass Museen in Formfragen einen erzieherischen Auftrag haben und diesen deutlich formulieren, sowie ihre Sammlungen und Ausstellungen entsprechend ausrichten sollten. Zwar ging nicht jeder so weit wie der Direktor des Stuttgarter Landesgewerbemuseums Gustav E. Pazaurek (1865–1935), der mit seiner 1909 angelegten „Sammlung der Geschmacksverirrungen“ entschied, „den schlechten Geschmack auf allen Gebieten zu bekämpfen“, dennoch waren Themen um Geschmacksbildung und ästhetische Erziehung in Museen des 19. und 20. Jahrhunderts immer wieder Diskursgegenstand.

 

Sektion zur Rolle der Museen bei der (ästhetischen) Erziehung und Bildung

 

Daher freuen wir uns sehr, dass wir uns vom Landesmuseum mit einer Sektion mit dem Titel „‘Den schlechten Geschmack auf allen Gebieten bekämpfen‘. Ästhetische Erziehung als Museumsaufgabe?“ am Kunsthistorikertag einbringen und beteiligen können. Vier Vorträge von Referent*innen aus ganz Deutschland und Österreich nehmen die Frage in den Blick, wie Museen sich als offene Diskurs- und Verhandlungsorte verstanden und auch heute noch verstehen und erzieherisch wirkende Räume gesellschaftskultureller Statements entwerfen.
Ein Abendempfang für über hundert erwartete Gäste bei uns im Haus ist ebenfalls eine schöne Möglichkeit, uns als Museum als Teil der kunsthistorischen Gesamtlandschaft zu präsentieren.

Blick in die Spielzeug-Abteilung des ehemaligen Stuttgarter Landesgewerbemuseums um 1930. Man war sich sicher: ästhetische Erziehung fängt im Kinderzimmer an. Daher kam in den Vorbildersammlungen auch ästhetisch anspruchsvollem Spielzeug eine wichtige Rolle zu.

 

Headerbild: Ein Tintenfass aus der „Sammlung der Geschmacksverirrungen“. Zu viel Dekor und „Unzweckmäßigkeit in der Form“ beschied Museumsdirektor Gustav E. Pazaurek der Arbeit aus der Königlichen Hofkunstschlosserei Berlin von 1869.

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