Ein Kinderfahrradreifen, ein Metallnetz und ein Kabel zum Anschluss an die Erdung einer Steckdose – was könnte ein aus diesen Bestandteilen selbst zusammengebautes Gerät sein? Laut einer beiliegenden handgeschriebenen Anleitung soll das Gerät Menschen helfen, sich zu erden. Das habe, so der Erbauer dieses Geräts, einen positiven Effekt auf die Gesundheit. Ein sogenanntes Erdungsgerät also. Aber warum soll eine Erdung, auch Earthing oder Grounding genannt, für Menschen gut sein?
Laut Anleitung wird das Gerät mit der Erdung einer Steckdose verbunden. Dem Kabel mit Netzanschluss fehlen die ansonsten üblichen zwei Stecker zum Anschluss an das Stromnetz über die Steckdose. Stattdessen ist lediglich die Verbindung mit der Erdung der Steckdose vorhanden. Durch Kontakt einer Person mit dem Gitter sollen Körperströme in die Erde abgeleitet werden. So sollen sich Personen selbst erden – bestenfalls im Schlaf wie aus der Anleitung hervorgeht. Die Vorbesitzer*innen setzten dieses Gerät vermutlich zur Neutralisierung von Strahlung im Schlafzimmer ein, die von sogenannten Wasseradern ausgehen soll. Genauere Infos zur Verwendung des Objekts sind leider nicht bekannt.
Earthing als Gesundheitstrend
Während es dem Erbauer dieses Geräts aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts um die Ausleitung von „Kristallinen” aus dem Körper ging und die Vorbesitzer*innen das Gerät gegen vermeintliche Strahlung einsetzten, ist seit den 2000ern noch eine andere Argumentation im Umlauf. Diese Argumentation geht auf den US-Amerikaner Clint Ober zurück, der das Earthing um die 2000er-Wende entdeckt haben will und sich selbst als „Earthing product Inventor & Grounding Pioneer“ bezeichnet.
Durch die heutige moderne Lebensweise in einer industrialisierten Welt würden Menschen insbesondere durch das Tragen von Schuhen isoliert von der natürlichen Erdung leben. Dadurch sei der Körper mit elektromagnetischen Feldern und statischer Elektrizität konfrontiert, wodurch er krank werde. Insbesondere chronische Krankheiten würden davon ausgelöst werden. Die Lösung dafür sei Barfußlaufen oder die Nutzung von Erdungsgeräten, die bei Berührung einen direkten Kontakt zur Erde herstellen. Denn so könnten freie Elektronen aus dem Erdreich in den Körper fließen und freie Radikale im Körper unschädlich machen. Daher sei Barfußlaufen, also der direkte physische Kontakt mit der Erdoberfläche, die beste Praktik dagegen. Für Menschen, die das in ihrem Alltag nicht unterbringen können, haben die Vertreter*innen dieser Theorie noch eine andere Lösung: Viele verschiedene Hersteller bieten teure Erdungsgeräte wie Erdungsbettlaken oder Erdungsmatten an. Heute ist Earthing ein (kommerzialisierter) Gesundheitstrend.
Wunsch nach gesünderem Leben
Den aktuell kaufbaren und dem selbstgebauten Erdungsgerät unserer Sammlung ist eines gemeinsam: Sie sind Mittel alternativer Medizin, deren Wirkung wissenschaftlich nicht nachgewiesen ist und wissenschaftlichen Standards entgegenläuft. Solche Mittel entstehen basierend auf individuellen Erfahrungen, sind also lebensweltlich erprobte Gesundheitspraktiken. Zwar gibt es einige Studien, die versuchen, die Erdung wissenschaftlich zu belegen, valide sind die Ergebnisse jedoch nicht. Auch für eine von Wasseradern ausgehende Strahlung gibt es keinerlei Belege. Auch wenn Earthing zwar keinen wissenschaftlichen erwiesenen Nutzen für die Gesundheit hat, die Anwendung schadet auch nicht – erst dann, wenn wissenschaftliche Therapien stattdessen abgelehnt werden. Was die Geräte und die dahinterstehende Argumentation jedoch tun, ist: Sie versprechen Heilung. Das Erdungsgerät und das damit verbundene Versprechen verdeutlichen also den Wunsch nach einem gesünderen Leben und zeigen, wie Menschen für sich sinnvolle Handlungen entwickeln, um diesem Wunsch nachzukommen.
Das Erdungsgerät ist aktuell in der Neuzugangsvitrine im Museum der Alltagskultur in Waldenbuch zu sehen.
Abbildungsnachweis und Nutzungsbedingungen
Abb. 1: Landesmuseum Württemberg, Antonia Schnell (CC BY-SA 4.0)
Abb. 2: Landesmuseum Württemberg, Antonia Schnell (CC BY-SA 4.0)