Verträumt und fast ein bisschen sehnsüchtig schaut das mit Blumen bekränzte Porzellanmädchen in die Höhe. In den 1920er Jahren kam es in unsere Sammlung. Hier sollte es für die kommenden Jahrhunderte geschützt und bewahrt werden, um auch in der fernen Zukunft den Besuchern Freude zu bereiten.
Dann kam der Zweite Weltkrieg. Die Porzellansammlung und zahlreiche andere Sammlungen des Museums konnten zwar noch rechtzeitig ausgelagert werden und so dem Bombenhagel auf Stuttgart entgehen, doch nicht alle Teller, Tassen und Figuren kehrten nach der Auslagerung wieder zurück ins Landesmuseum: Zahlreiche Objekte waren damals gestohlen worden. Darunter auch das Porzellanmädchen. War es jetzt für immer verloren? Würde es je wieder zurück ins Landesmuseum finden?
Verschwunden – für immer?
Rund 30 Jahre nach Kriegsende tauchte das Porzellanmädchen wieder auf. Allerdings nicht im Landesmuseum, sondern im Katalog eines Stuttgarter Auktionshauses. Dort wurde es zum Verkauf angeboten, zusammen mit anderen Porzellanfiguren, die das Landesmuseum ebenfalls seit der Nachkriegszeit missen musste. Unter diesen waren auch ein kleiner Junge aus Porzellan in meergrüner und ockerbrauner Kleidung, der einst eine Blume in seiner gen Himmel gestreckten Hand hielt, und ein Reiter, der früher einmal für eine Darstellung Carl Eugens gehalten wurde.
Natürlich bemühte sich das Museum die Figuren für die Sammlung wieder zu erwerben. Doch es mangelte an Geld, um alle zurück kaufen zu können. Eine Auswahl musste getroffen werden. Der Reiter, auch wenn es sich wohl nicht tatsächlich um einen Carl Eugen handelt, durfte selbstverständlich mit zurück „nach Hause“. Für das Porzellanmädchen und auch den Porzellanjungen reichte das Geld jedoch nicht mehr. Sie mussten wieder einmal den Besitzer wechseln und wurden beide von einem Porzellansammler ersteigert.
Die Rückkehr
40 weitere Jahre zogen ins Land. Dann, 2018, meldete sich der Sammler und bot dem Museum die beiden Figuren zum Kauf an. Sammler und Museum einigten sich auf einen Preis und der Kaufvertrag wurde unterschrieben. Porzellanmädchen und -knabe fanden endlich ihren Weg zurück ins Museum.
Ende gut, alles gut?
Hier könnte die Geschichte zu Ende sein. Aber für mich als Praktikantin am Landesmuseum ging sie hier erst richtig los. Denn: Die zurückgekehrten Porzellankinder sollten ihre alten Inventarnummern zurückbekommen. Klingt in der Theorie recht einfach. In der Praxis gestaltete es sich jedoch schwieriger als gedacht.
Die beiden Porzellanfiguren hatte der Sammler als „Frühling“ und „Herbst“ aus ehemaligem Besitz des Landesmuseums angegeben. Meine Betreuerin, Frau Küster-Heise, hatte die alten Inventarblätter zu den vermissten Figuren „Frühling“ und „Herbst“ herausgesucht.Die dort beschriebene Allegorie des Frühlings passte haargenau zum zurückerworbenen Porzellanmädchen. Doch die Beschreibung des Herbstes im Inventar stimmte, nun ja, nicht ganz mit dem gekauften Porzellanjungen überein: Bei der vermissten Herbst-Figur handelt es sich nämlich um ein weiteres Porzellanmädchen! Aber wenn der Porzellanjunge nicht die vermisste Herbst-Figur ist, wer ist er dann?
Detektivarbeit vom Feinsten
Die Fahndung nach der mysteriösen Identität des Porzellanknabens wurde mir übertragen. Als Hilfsmittel bekam ich eine Verlustliste der Porzellansammlung von 1947/48 zur Seite gestellt, sowie Digitalisate der Hauptbücher, in denen jedes Objekt kurz aufgelistet ist. Letztere waren besonders nützlich, denn die Schrift der handgeschriebenen Verlustliste stellte sich als nicht besonders leserfreundlich heraus, abgesehen von den Zahlen der Inventarnummern.
So entstand im Abgleich zwischen Verlustliste und Hauptbüchern eine kleine Liste potentieller Kandidaten, bei denen es sich um den zurückgekauften Porzellanjungen handeln konnte. War er vielleicht der „Tanzende Knabe“? Oder ein Stück aus der „Seyfferschen Sammlung“? Oder doch eine der nicht näher definierten „Porcellan Figuren“?
Da weder Hauptbücher noch Verlustliste die einzelnen Figuren näher beschreiben, fing ich an, mir die jeweiligen Inventarblätter anzusehen. Als erstes suchte ich das Inventarblatt zum „Tanzenden Knaben“ heraus. Ich schlug es auf und … heureka! Das Mysterium war gelöst; der Porzellanjunge war tatsächlich als Tanzender Knabe in den Besitz des Landesmuseums gekommen.
In guter Gesellschaft
Nun konnten endlich beide Figuren ihre alten Inventarnummern zurückbekommen und einen baldigen Einzug ins Keramikmuseum in Ludwigsburg feiern. Dort werden sie in einer Schauvitrine zum Ludwigsburger Porzellan zu sehen sein, wo sie unter anderem den allegorischen Figuren „Sommer“ und „Winter“ Gesellschaft leisten werden.