Der gemeinschaftliche Genuss von Glühwein gehört für viele Menschen zur Vorweihnachtszeit mit dazu – nach zwei Jahre Pandemie-Pause freut sich manche*r in diesem Jahr ganz besonders auf die Weihnachtsmärkte mit dem entsprechenden Getränkeangebot. Auch Weihnachtsfeiern kommen selten ohne Sekt und weitere Alkoholika aus. Und manche*n stimmt sogar ein Adventskalender mit einer täglichen Ration Wein, Bier oder Spirituosen auf die bevorstehenden Feiertage ein. Alkohol und Advent gehen somit teils eine enge Verbindung ein. War das schon immer so? Und passt das denn zusammen?
Als Kunsthistorikerin mit Mittelalter-Schwerpunkt kann ich die erste Frage eindeutig verneinen, bei der zweiten wird’s etwas komplizierter. Zunächst zur Tradition: Bis zur Reformation fasteten Christen in der Vorweihnachtszeit und dazu gehörte an den meisten Tagen des Advents auch explizit der Verzicht auf Wein und andere alkoholische Getränke. Hintergrund dieser religiösen Praxis, die in der katholischen Kirche bis vor rund 100 Jahren üblich war und in den orthodoxen christlichen Kirchen noch heute mit der 40-tägigen Weihnachts- oder Philippus-Fastenzeit gepflegt wird, ist es, sich durch Buße und Fasten auf das Fest der Geburt Jesu vorzubereiten. Martin Luther sprach sich gegen den Zwang zum Fasten aus, weshalb protestantische Christen schon seit dem 16. Jahrhundert nicht zum Fasten verpflichtet sind. Das katholische Kirchenrecht verlangt seit 1917 das Adventsfasten nicht mehr.
Wein – Bereicherung für Festivitäten und Auslöser von Tabubrüchen
Dieser zunächst „ernüchternde“ Befund zur Adventszeit lässt mich grübeln, wie es sich denn insgesamt mit dem Thema Alkohol im Christentum verhält. Hier kann ich für die Verfechter*innen des Genusstrinkens Entwarnung geben: Im Gegensatz zu einigen anderen Weltreligionen ist moderates Trinken akzeptiert, was für den heutigen Umgang mit Alkohol in Europa eine zentrale Rolle spielt.
Die Bibel – Grundlage des christlichen Glaubens – bewertet Alkoholkonsum differenziert: Während übermäßiger Konsum als Sünde gilt, ist das maßvolle Trinken, vor allem in Gemeinschaft, weitgehend positiv belegt. So finden sich in der „Heiligen Schrift“ eindringliche Warnungen vor dem Kontrollverlust durch zügelloses Trinken, etwa die erschütternde Geschichte von Lot, der volltrunken mit seinen Töchtern schläft. Meist sind alkoholische Getränke, insbesondere der Wein, allerdings als positives Element in biblische Erzählungen eingebettet. Der Weinanbau gilt als uraltes Kulturgut und Zeichen für fruchtbares Land.
Eine besondere Rolle kommt im Alten und im Neuen Testament dem Feiern zu, bei dem gemeinschaftlicher Alkoholgenuss selbstverständlicher Bestandteil ist. Dafür steht insbesondere das erste Wunder Jesu von der Verwandlung von Wasser in Wein während der Hochzeit zu Kana oder auch das Weintrinken der Jünger am Abend vor Jesu Tod.
Wein als Blut Christi
In der skizzierten Haltung zum Alkohol spiegeln sich die Wurzeln der christlichen Religion im Nahen Osten und im Mittelmeerraum. Christen übernahmen Elemente und Vorstellungen aus den antiken Kulturen und insbesondere aus der jüdischen Religion. Die enge Verbindung zwischen Christentum und Judentum zeigt sich im letzten Mahl Christi mit seinen Jüngern, dem Abendmahl, das während des jüdischen Pessach-Festes stattfand. Dieses abschließende gemeinsame Essen der Jünger ist eine Schlüsselszene für den christlichen Glauben und Ritus.
An Pessach gedenkt das jüdische Volk des Auszugs aus Ägypten und des langen Wegs in die Freiheit. Dazu werden symbolisch gedeutete Speisen gegessen, unter anderem Lamm und ungesäuerte Brote, sowie nach festen Regeln Wein getrunken. Zum Seder-Mahl, dem Auftakt des mehrtägigen Pessach-Festes, gehören vier Becher Wein mit symbolischer Bedeutung.
Jesus reichte bei einem solchen Mahl den Jüngern Brot und bezeichnete es als seinen Leib. Ferner gab er ihnen einen Kelch und deutete den Wein darin als sein Blut, das er für die Erlösung der Menschheit vergießen wird. Für die Entwicklung des christlichen Kultes waren Jesu Worte, „Tut dies zu meinem Gedächtnis“ zentral. Damit forderte er seine Nachfolger*innen auf, das gemeinsame Mahl als Zeichen seiner Gegenwart in der Gemeinde und als Ausdruck des neuen Bundes mit Gott zu zelebrieren. Die Eucharistie (Danksagung) wurde zur zentralen liturgischen Feier im christlichen Gottesdienst. Wein steht dabei für das Blut Christi, die Hostie oder Brot für den Leib Christi. Bis heute ist sie Höhepunkt jeder katholischen Messe, während evangelische Christen das Abendmahl seltener feiern.
Zum Schluss komme ich nochmal zu den Weihnachtsmärkten und -feiern und der Frage zurück, ob der christliche Kern des Weihnachtsfests mit dem Konsum von Alkohol zusammengeht. Mit Freund*innen, Kolleg*innen und mit der Familie in Vorfreude auf Weihnachten und insbesondere dann an den Feiertagen gemeinsam zu genießen und dabei je nach Gusto einen guten (!) Glühwein, Punsch, Wein oder Sekt zu trinken, trifft sich mit den Vorstellungen des Christentums von guter Gemeinschaft. Zusammen empfundene Freude bei ausgelassenen, allerdings nicht in Besäufnissen „ausartenden“ Festivitäten gehört für Christ*innen wie für die meisten Menschen zu einem schönen Leben. In diesem Sinne: Genieß die Adventszeit, egal ob Christ*in, Gläubige*r weiterer Religionen, Agnostiker*in oder Atheist*in, ob mit oder ohne Alkohol!
Mehr Wissenswertes zum Thema Alkohol und Religion gibt es noch bis 30. April 23 in der Großen Sonderausstellung „Berauschend. 10.000 Jahre Bier und Wein“ zu erfahren.