Pop-Up bezeichnet etwas, das plötzlich auftaucht und dann wieder weg ist. Und so ist es auch mit dem Pop-Up-Museum in Knittlingen. Im Juni 2021 verwandeln wir den Kaufladen Leitz in der schwäbischen Kleinstadt Knittlingen in ein kurzzeitiges, interaktives Museum. Seit den 1950er Jahren versorgte die Familie Leitz in ihrem Laden die Menschen mit verschiedensten Waren. Viele der Produkte aus den 1970er bis 1990er Jahren wurde nicht mehr verkauft und lagern weiterhin im Geschäft.
Was bedeutet das konkret? Die Objekte sollen nicht wie sonst üblich ins Museum gebracht werden. Der Kaufladen selbst wird vor Ort zu einem Pop-Up-Museum der Alltagskultur auf Zeit. Höhepunkt sind drei Veranstaltungswochenenden mit einem Begleit- und Veranstaltungsprogramm, so die Situation es zulässt.
Erste Schritte
Mein erster Schritt auf dem Weg zum Pop-Up-Museum ist es, die Leute in Knittlingen kennen zu lernen – das ist durch die Corona-Pandemie schwer. Mit manchen Leuten habe ich mich bei offenem Fenster getroffen, mit anderen mit sehr viel Abstand. Doch mittlerweile telefoniere ich nur noch.
Ein zweiter wichtiger Schritt ist, mir all die vielen Waren anzuschauen, die es im Kaufladen Leitz gibt. Und das sind viele – sehr viele. Ich schlendere dort durch Gänge mit Regalen, in denen Grußkarten neben Badeanzügen liegen und Schulranzen neben Unterwäsche.
Brettspiele, Kerzen, Schreibutensilien, Seidenblumen und Bücher aller Art sehe ich. Und frage mich: Was ist interessant und warum? Hat es historische Bedeutung? Ist es einfach ästhetisch schön? Oder ist es ein Objekt, mit dem viele Menschen Erinnerungen verknüpfen? Was eignet sich, um besondere Beachtung in einem Pop-Up-Museum zu bekommen?
Eine Geschichte erzählt in Preisschildern
Ich habe einige Lieblinge entdeckt. Berührend finde ich die vielen Schilder für Sonderangebote, die Frau Leitz in den letzten Jahrzehnten geschrieben hat. Dort steht der Preis der Ware, durchgestrichen und auf die Hälfte reduziert. Dann noch einmal durchgestrichen und noch einmal um 25% vergünstigt. Sie zeigen die Entwicklung des Kaufladens. In den 1950er Jahren eröffneten Herr und Frau Leitz das Geschäft, in den 1970er und 1980er Jahren kauften viele Menschen die Waren dort ein. Durch die Globalisierung und die Veränderung der wirtschaftlichen Begebenheiten ging der Umsatz Schritt für Schritt zurück.
Kleine Kaufläden am Land haben es schwer. Waren sie früher zentrale Orte von Dörfern und Kleinstädten, sind sie nun eine Seltenheit. Online-Shopping, große Kaufhäuser und internationale Ketten, die Waren zu billigsten Preisen verkaufen können, sind zu mächtig, als dass sich ein kleiner Kaufladen wie der der Familie Leitz dagegen wehren könnten.
Die Sachen „sind ja noch gut“
Frau Leitz sieht das gelassen. Sie ist mittlerweile 85 Jahre alt und seit Jahren in Rente. Dass sie während dieser Jahre den Laden immer wieder öffnete, liegt daran, dass sie gerne ihre Waren verkauft. „Mein Mann und ich haben diese Sachen alle eingekauft und sie sind ja noch gut,“ meint sie. „Ich möchte sie nicht wegwerfen. Ich in froh, dass sie wieder einen Nutzen haben durch das Pop-Up-Museum.“
Im Pop-Up-Museum soll spielerisch umgegangen werden mit den Waren. Das Publikum wird zum Erforschen, Mitgestalten und Mit-Erinnern aufgefordert. Ganz im Sinne der Interaktion!
Ich verstehe nicht, was daran ein Pop-Up Format sein soll. Für mich ist dieses Beispiel hier eine Art des Kuratierens an einem anderen (hier bereits bestehenden Ort), mit den Dingen, die man dort vorfindet.
Pop-Up als Marketingformat (oder wenn man möchte, als „Kommunikationsmaßnahme“) besteht aus einer überraschenden, temporären Aktion, die neue Kombinationen schafft. Also beispielsweise Menschen mit Themen konfrontiert, die sie an diesem Ort nicht erwartet hätten. Oder noch besser – Räume (Orte) so uminterpretieren, dass sich neue Perspektiven entfalten können. Durch ein Museum zu führen, um z. B. auf die Kantinen statt Exponate aufmerksam zu machen bleibt ein Museumsbesuch – und hat mit einem Pop-Up Format nichts zu tun. Ebenso ist die „Umsortierung“ eines Kaufhauses nur eine „Neuinterpretation“ des gleichen. Die Aktion ist ja charmant und eine schöne Sache für den Ort, aber kein wirkliches „Pop-Up“ 🙂
Hallo Herr Blandzinski,
zunächst mal Danke fürs Kompliment. Wir mögen dieses Format auch sehr gerne. Wir sprechen hier von einem Pop-Up, weil es eben nur kurz in Erscheinung tritt, das bestehende in neue Kontexte setzt und die Besucher*innen dazu einlädt eine andere Perspektive auf die unverkauften Waren einzunehmen. Wir bringen tatsächlich keine neuen Objekte ein, aber neues Wissen, neue Kontexte und versuchen den Ort (der derzeit für die Knittlinger*innen kein Ort ist) neu zu besetzen.
Damit ist die Aktion insgesamt: überraschend, temporär und sie schafft neue Kombinationen.
Wir würden uns auf jeden Fall sehr freuen, wenn Sie im Mai vor Ort vorbeischauen!
Beste Grüße
Markus Speidel
Leiter des Museums der Alltagskultur
Hallo Herr Speidel, mag ja sein, dass hier kein klassischer Pop-Up-Fall vorliegt (neue Perspektiven allemal), aber für Knittlingen ist es eine tolle Sache. Ich bin dort aufgewachsen, seit langem weg, kenne aber das Geschäft und Fam. Leitz seit meiner Kindheit. Ich freue mich sehr auf Ihre Aktion, habe auch schon Freund*innen benachrichtigt, denen ich dieses wunderbare und völlig aus der Zeit gefallene „Objekt“ zeigen und in Erinnerungen schwelgen kann. Das ist eine gute Aussicht, für Frau Leitz, für Knittlingen, für alle – und in diesen Zeiten sowieso.
Bis Mai dann also, viele Grüße,
Karin Ongaro
Liebe Frau Ongaro,
erst jetzt habe ich Ihren Kommentar gesehen und komme nun zum antworten. Vielen Dank für die Komplimente und den Zuspruch. Wir freuen uns sehr auf das Projekt, und die Inzidenz verlangen eine permanente Spontanität. Das Projekt wird sich also immer wieder noch ein bisschen hin- und herruckeln…
Herzliche Grüße
Markus Speidel