Als Kuratorin erfüllt es mich immer mit Freude, wenn Objekte aus der von mir betreuten Sammlung „Kunst und Kunsthandwerk des Mittelalters“ öffentlich zugänglich sind und den Menschen inhaltlich nahe gebracht werden. Dies ist seit Mitte September außer in unseren Schausammlungen auch in der Ausstellung „Freiheit — Wahrheit — Evangelium. Reformation in Württemberg“ im Kunstgebäude in Stuttgart der Fall.
Auf der Suche nach Zeugnissen der vorreformatorischen Frömmigkeit und der Reformation in Württemberg
Mit den Kollegen aus dem Hauptstaatsarchiv Stuttgart, die diese sehenswerte Ausstellung kuratiert haben, stand ich seit circa zwei Jahren im Austausch zu ihrem Reformations-Projekt. Gemeinsam loteten wir aus, wie für die Besucherinnen und Besucher anhand von originalen Objekten aus dem Spätmittelalter die Frömmigkeit am Vorabend der Reformation anschaulich gemacht werden kann. Aus den inhaltlichen Vorstellungen der Kuratoren, denen unter anderem ein gesicherter Württemberg-Bezug der Objekte wichtig war, und meinen Recherchen in unseren Beständen kristallisierte sich langsam eine Wunschliste heraus. Einige „Kandidaten“ der Ausstellungsmacher kamen nicht in Frage, beispielsweise da sie als zentrale Objekte unserer Schausammlung „LegendäreMeisterWerke“ nicht verliehen werden. Andere hochinteressante Objekte habe ich erst durch die Recherchen für das Reformations-Projekt in der Sammlung aufgespürt, sodass selbst treue LMW-Besucher in der Ausstellung und im Begleitband die eine oder andere Entdeckung machen werden.
„Von ällem ebbes“ – die offizielle Leihanfrage
Zahlreiche Telefonate, E-Mails und Listen-Updates später ging im Juli 2016 schließlich eine ungewöhnlich umfangreiche Leihanfrage im Landesmuseum Württemberg ein. Sie beinhaltete unterschiedlichste Objekte aus den kunst- und kulturhistorischen Sammlungen des LMW: Von Münzen und Medaillen über liturgisches Gerät wie Messkelch oder Monstranz sowie diverse Glasgemälde, Tafelbilder, Porträts und Skulpturen bis hin zum monumentalen Flügelaltar waren zahlreiche Werke aus unseren Beständen gefragt, um die Besucherinnen und Besucher der geplanten Ausstellung möglichst intensiv ins Spätmittelalter und die Reformationszeit eintauchen zu lassen.
Welche Objekte sind reisefähig und wie ist die Ausleihe zu stemmen?
Grundtenor im Landesmuseum Württemberg – vom Vorstand bis zur Restaurierungsabteilung – war es, der Leihanfrage des Hauptstaatsarchivs, mit dem wir schon lange und in diversen Projekten sehr gut und kollegial zusammenarbeiten, äußerst wohlwollend zu begegnen. Bei dieser Ausgangslage waren nun vor allem die Kolleginnen und Kollegen aus der Restaurierung gefragt: In welchem Zustand sind die angefragten Objekte – alle immerhin rund 500 Jahre alt? Welche Werke können ins Kunstgebäude transportiert werden? Welche Konservierungs- und Restaurierungsmaßnahmen sind Voraussetzung für eine Ausleihe?
Schnell war klar, dass die Bereitstellung des großen Konvolutes an Exponaten nicht ohne externe Hilfe zu bewältigen sein würde. Nach Rücksprache mit den Kollegen im Hauptstaatsarchiv konnte glücklicherweise eine Lösung gefunden werden: Mit großem Einsatz der LMW-Restauratorinnen und -Restauratoren und unserer Depotverwalterin sowie mit Hilfe zusätzlicher, vom Hauptstaatsarchiv finanzierter Kolleginnen konnten die meisten angefragten Objekte für die Ausleihe vorbereitet und im Kunstgebäude installiert werden.
Der Stettener Altar – eine Herausforderung
Besonders viel Arbeit und Kopfzerbrechen bereitete uns der Altaraufsatz aus Stetten im Remstal, einer der großformatigen Flügelaltäre mit Figurenschrein und gemalten Flügelbildern in der LMW-Mittelaltersammlung. Die monumentalen, in ihrer Materialität außergewöhnlich komplexen und in der Entstehungszeit mitnichten für spätere Transporte konzipierten Flügelretabel sind in ihrem nunmehr fortgeschrittenen Alter meist nicht reisefähig. Und auch im Fall des Stettener Altars stellte sich heraus, dass die äußerst fragilen Flügel nicht guten Gewissens transportiert werden können. Da die Präsentation eines Flügelaltars, dem künstlerischen Leitmedium des Spätmittelalters, den Kuratoren der Reformations-Ausstellung ein zentrales Anliegen war, galt es nun einen Kompromiss zu finden. Zähneknirschend freundeten sich die Kollegen vom Hauptstaatsarchiv mit dem Gedanken an, das Stettener Altarretabel durch eine Kombination des originalen Figurenschreines mit Reproduktionen der Flügelbilder in der Ausstellung präsent werden zu lassen. Um diese Lösung möglich zu machen, wurden der Schrein und die farbig gefassten Bildwerke aus Holz – dargestellt sind die beiden Hauptheiligen der Stettener Kirche, die Gottesmutter und der Hl. Veit, flankiert vom Hl. Georg und Hl. Bartholomäus – von den Restauratorinnen über mehrere Wochen hinweg aufwändig bearbeitet.
Eine Win-win-Situation
Das Engagement aller Beteiligten hat sich in meinen Augen gelohnt: Wir im Landesmuseum Württemberg haben im Zuge der Vorbereitung dieser außergewöhnlichen Ausleihe mehr über die in unserer Sammlung bewahrten Objekte erfahren und die Besucherinnen und Besucher von „Freiheit — Wahrheit — Evangelium. Reformation in Württemberg“ dürfen sich über eine facettenreiche Ausstellung mit herausragenden Originalen aus der Zeit um 1500, unter anderem aus dem Landesmuseum Württemberg, freuen.