So leicht wie Papier, so fest wie Glas: Die Restaurierung einer ungewöhnlichen Flasche

In die Restaurierungsateliers des Landesmuseums Württemberg kommen und gehen die verschiedensten Objekte. Manche sind, trotz ihres Alters, in einem verblüffend guten Zustand. Andere aber sind kaum zu erkennen. Die Rolle der Restaurator*innen ist es dann, diese Zeugnisse unserer Geschichte lesbar und beständig zu machen.

Aus dem Depot des Museums wurde ein archäologisches Glas in die Restaurierung gebracht, das in sechs Scherben vorlag. Offensichtlich handelte es sich um ein Fläschchen mit kugeligem Körper. Dies war meine erste Erfahrung mit einem archäologischen Glas während meines studienvorbereitenden Praktikums im Referat Restaurierung des LMW. Ich war sehr eingeschüchtert von seiner Empfindlichkeit: Die Wandung ist stellenweise nicht dicker als ein halber Millimeter! Bevor ich mit der Restaurierung beginnen konnte, wollte ich mehr über das Objekt erfahren.

Geheimnisvolle Flasche

Der erste Schritt bei einer Restaurierung ist es, das Objekt zu verstehen: Woher kommt es? Wie wurde es hergestellt? Zu welchem Zweck? Die Antworten auf diese Fragen beeinflussen sowohl die Bearbeitung des Objektes als auch seine Präsentation in einer Ausstellung.

Die zerbrechliche kleine Flasche brachte einige Geheimnisse mit sich: Alle Unterlagen bezüglich ihrer Herkunft und ihrer Datierung waren während des Zweiten Weltkriegs verloren gegangen. Zum Glück ist ihre Form sehr spezifisch.
Am unteren Ende des Halses ist eine Narbe zu sehen, wo die Wandung nach innen gefaltet wurde, so dass die Öffnung sehr klein ist. Vergleichsobjekte haben mich zu den unter dem englischen Begriff Sprinkler (im deutschen gelegentlich als Sprenkler bezeichneten) bekannten Gefäßen geführt. Diese Fläschchen werden so genannt, weil man Flüssigkeiten lediglich tropfenweise daraus gießen kann. Diese Entdeckung war ein sehr guter Hinweis auf die Herkunft der Flasche, da Sprinkler begrenzt in Zeit und Raum zu finden sind.

Fast alle Vergleichsobjekte wurden in Syrien und Mesopotamien gefunden und sind vermutlich auch nur dort hergestellt worden. Sie werden in das 3. und 4. Jh. n. Chr. datiert.
Obwohl es deutlich ist, dass die Stauchung des Halses gewollt ist, bleibt die Verwendung dieser Gefäße unklar. Verschiedene Hypothesen wurden geäußert. Einige Forscher vermuten, dass diese Flaschen Rosenwasser sprenkeln sollten. Andere nehmen an, dass diese Gläser als Öllampen verwendet wurden. In dem Fall würde die schmale Öffnung als Dochtträger dienen.

Um die Herstellung der eingeschnürten Öffnung zu verstehen, habe ich einen Glasmacher kontaktiert, der eine Herstellungsmethode entwickelt hat. Er ist davon überzeugt, dass die Form der Sprinkler einen gewissen Zweck erfüllen sollte, für den man sich Mühe gegeben hat, eine besondere Methode zu entwickeln.

Abb. 4: Beispiel einer Herstellungsweise. Technik von Joël Clesse entwickelt. Zeichnung: Lauriane Boudeau

Aus Scherben ein Ganzes machen?

In der Untersuchungsphase habe ich also erfahren, dass diese Glasflasche ungefähr 1700 Jahre alt und ihr Verwendungszweck unbekannt ist. Eventuell wurde sie als Öllampe verwendet. Ich habe sogar eine Idee von ihrer Herstellung bekommen. Gestützt auf diesen Beobachtungen konnte ich nun mit der Restaurierung anfangen.
Als ich die Scherben eingehend betrachtete, bekam ich den Eindruck, dass einige Stücke fehlen. Um das Bauchgefühl zu überprüfen, habe ich die Fragmente auf einer Kugel Styropor nebeneinander positioniert. Dank dieser Montage wurde deutlich, dass eine große Stelle des Bauches fehlt. Wenn ich die Flasche in diesem Zustand zusammengeklebt hätte, wäre sie bald in sich zusammengefallen. Ich musste sie also irgendwie standfähig machen, zum Beispiel durch das Ergänzen der Fehlstelle.

Die Ergänzung dient dazu, die Flasche zu stabilisieren, ohne das Erscheinungsbild zu stören. Sie soll also stabil und unauffällig sein. Welches Material ist aber gleichzeitig leicht und stark genug, um die alte Flasche zu unterstützen? Ich habe mich für eine Ergänzung aus einem speziellen Papier, dem sogenannten Japanpapier, entschieden. Es ist eines der frühesten gefertigten Papiere, das immer noch in Japan zum Beispiel aus den Fasern einer Maulbeerbaumart hergestellt wird. Dieses Papier hat die Vorteile, extrem dünn und leicht zu sein. Tränkt man es mit Klebstoff, wird es sogar steif und durchsichtiger. Daraus lässt sich eine wunderbare Ergänzung für das dünne Glas herstellen!

Nun konnte ich dünne und starke Bauchprothesen herstellen. Zuerst habe ich das Japanpapier in Form der Fehlstelle gerissen und mit einem Acrylharz-Klebstoff getränkt. Dann habe ich die künstliche Wandung von Innen an das Glas geklebt. So entstand eine leicht trübe Ergänzung, die die empfindliche Flasche gut unterstützt. Zwar ist sie sichtbar, doch stört sie nicht und eine Ergänzung soll das Alter und die Geschichte eines Objektes auch nicht kaschieren. Diese Flasche hat sicher viel erlebt und ist uns trotz Zeit und Entfernung begegnet. Nun ist es unsere Pflicht, ihrem langen Leben gerecht zu werden.

Vor 1700 Jahren ist die Flasche in einer für seine Glaserzeugnisse bekannten Region hergestellt worden. Sie lagerte Jahrhunderte lang im Boden und wurde unter unbekannten Bedingungen geborgen. Jetzt wird sie sicher im Museumdepot verwahrt, wo Forscher sie noch untersuchen können, um vielleicht Neues aus dem Alten zu entdecken.

 

Quellen:
– M. HONROTH, Vom Luxusobjekt zum Gebrauchsgefäß. Vorrömische und römische Gläser, Stuttgart, 2007, S.76-77
– E. M. STERN, Roman Mold-blown Glass. The first through sixth century, Toledo, 1995, S.187
– E. M. STERN: Römisches, byzantinisches und frühmittelalterliches Glas, Sammlung Ernesto Wolf – 10 v. Chr. – 700 n. Chr., Ostfildern 2001, S. 152
– C. HERB und N. WILLBURGER, Glas. Von den Anfängen bis ins frühe Mittelalter, Archäologie in Deutschland Sonderheft 9, 2016

 

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