Von Gesellschaftsträumen zu Gesellschaftsräumen

„Welche Motivation verfolgen Kultureinrichtungen, ein „Dritter Ort“ zu werden?“
Das war eine der zentralen Fragen, der wir am 30. Mai 2022 im Museumsfoyer „Die Dürnitz“ nachgegangen sind. Gemeinsam mit etwa 65 Teilnehmenden aus verschiedenen Kunst- und Kultursparten ging die Tagung „Gesellschafts(t)räume? Kultureinrichtungen als Dritte Orte weiter-denken“ dem Konstrukt der sogenannten Third Places auf die Spur.

Ort und Thema waren dabei nicht zufällig gewählt. Im Vorfeld des Umbaus der Dürnitz wurden im Landesmuseum viele Gespräche über „Dritte Orte“ und deren Aufgaben geführt. Das seit September 2021 neu eröffnete Museumsfoyer leistet viel: Veranstaltungsraum, Café, Lounge, Shop, Kassen- und Info-Bereich, quasi Hauptschlagader des Museums. Ein „Dritter Ort“ nach der Theorie von Ray Oldenburg ist es zwar nicht, wohl aber ein Wohlfühlort und Begegnungsraum mit hoher Aufenthaltsqualität, in dem sich möglichst alle willkommen fühlen sollen.

Ort der Zerstreuung wird zum Ort der Konzentration
Die Tagung wurde vom Landesmuseum Württemberg in Kooperation mit dem Zentrum für Kulturelle Teilhabe Baden-Württemberg organisiert und veranstaltet. Mit dem Ziel, aus dem Ort der Zerstreuung einen Ort der Konzentration zu schaffen, war der Tag in zwei große Blöcke eingeteilt. Besonders wichtig war uns dabei, ein interaktives Tagungsformat zu schaffen, das ausreichend Möglichkeiten zu Vernetzung und Austausch bot.

Jan-Philipp Possmann, der bis vor kurzem das soziokulturelle Zentrum zeitraumexit in Mannheim geleitet hat, eröffnete den Tag mit einer Keynote zu den Faktoren „Dritter Orte“. Einer der zentralen Aspekte ist Possmanns Ansicht nach der Nutzen „Dritter Orte“, der sich je nach gesellschaftlicher Gruppe verändern kann und immer wieder neuen Bedürfnissen der Gesellschaft gerecht werden muss.

Neriman Bayram vom Kommunalen Kino Freiburg über Dritte Orte und was sie ausmacht, (c) Landesmuseum Württemberg, Jonathan Leliveldt

Von kühnsten Ideen und lautem Nachdenken
Thomas Rietschel, Take Part Kulturberatung, griff die Gedanken der Keynote auf. Er motivierte die Teilnehmenden zum Einstieg dazu, „kühnste Ideen“ zu entwickeln. Neben Friseursalons, die zum Ausstellungsraum werden, waren Do it yourself-Museen, 24/7-Öffnungszeiten und Zwischennutzungen für die Gesellschaft sowie die komplette Auflösung von Außenmauern die beliebtesten Gedanken.
„Laut nachgedacht“ über „Dritte Orte“ wurde mit der Methode des Thinking Circle. Angeleitet von Rietschel, ließen sich die eingeladenen Referent*innen Neriman Bayram (Kommunales Kino Freiburg), Dr. Nicole Deufel (Volkshochschule Aalen), Prof. Fabienne Hoelzel (Akademie der Bildenden Künste Stuttgart), Yilmaz Holtz-Erşahin (Stadtbibliothek Mannheim) und Jan-Philipp Possmann (zeitraumexit Mannheim) auf ein Methoden-Experiment ein.

Das interaktive Format lud zum entschleunigten Reflektieren und Nachdenken ein. Auch Teilnehmer*innen aus dem Plenum konnten Teil des Thinking Circle werden und sich an den offenen Gedankengängen der Referent*innen beteiligen. Der Circle bestach dadurch, dass er den Denker*innen Zeit und Raum ließ, in Ruhe Argumente zu formulieren und diese äußern zu können, ganz ohne Unterbrechung. Dadurch gelang eine intensive und konzentrierte Gesprächssituation.

Entscheidende Ergebnisse der Runde zur Definition von „Dritten Orten“ waren unter anderem:

  • Es sind Orte der Vermischung, die von allen gestaltet werden sollten.
  • Räume sind nie unpolitisch, vor allem wenn Menschen aufeinandertreffen.
  • Es muss kein perfekter Raum sein, es kann auch unperfekte Räume geben, um zu schauen, was dort passiert.
  • Es sind keine „Dritten Orte“ im Sinne von Ray Oldenburg, sondern „andere Orte“.
  •  Third Space, statt Third Place, ganz nach Homi K. Bhaba.
  • Offenheit heißt auch Demokratie.
  • Freundlichkeit, Barrierearmut und Niederschwelligkeit sind zentral. Ebenso wie kein (Konsum)Zwang und keine Erwartungshaltung an Menschen zu stellen, die diese Orte und Räume besuchen.
  • Kontemplation ist gut und wichtig.
  • Aus der Städtebauperspektive ist es wichtig den Raum so zu gestalten, damit er auch nutzbar und zugänglich ist. Räume sollten nicht überinstrumentalisiert werden, getreu dem Motto: Form follows function.
  • Der „Dritte Ort“ kann und muss für jede Institution individuell ausgehandelt werden.
  • Die Menschen kommen nur, wenn sie den Ort bzw. die Institution, an den der Ort geknüpft ist, auch inhaltlich interessant finden. Denn der Ort kann nicht von der Institution getrennt gedacht werden.
  • Und zu guter Letzt: Wer hat die Verantwortung über den Raum? Die Institution oder die Besucher*innen?

Im Workshop von Eeva Rantamo standen Austausch und Gruppenarbeit im Fokus, (c) Landesmuseum Württemberg, Jonathan Leliveldt

Die immer gleichen Gesichter und unsere ganz eigenen „Dritten Orte“
Der Nachmittag widmete sich der Motivation und Intention, angeleitet durch Eeva Rantamo. Welche Motivation hat man eigentlich, ein „Dritter Ort“ zu werden? Warum will man sich das antun? Fragen, die die Teilnehmer*innen in Kleingruppenarbeiten genauer untersucht und diskutiert haben. Sehr konkret wurde der Nachmittag mit einem Szenario von Workshop-Moderatorin Rantamo: „In Ihrer Einrichtung wurde mit viel Aufwand ein „Dritter Ort“ geschaffen. Nun sitzt dort seit Wochen ein Dutzend immer gleicher Gesichter. Manche quatschen, manche lesen Zeitung, alle gehen irgendwann. Es passiert nichts. Wie reagieren Sie auf diese Situation?

Dass es keiner Reaktion auf diese Situation bedarf, wurde auch in der Abschlussrunde deutlich erkennbar, als alle Tagungsteilnehmer*innen in einer Blitzlichtrunde den Tag resümiert haben. Am Dienstag konnten wenige Teilnehmer*innen, die bereits am Montag konkret gearbeitet haben, ihre Ideen und Vorhaben weiter-denken und gemeinsam „Dritte Orte“ planen.

Ist der „Dritte Ort“ wirklich ein Ort?
Rückblickend lässt sich festhalten, dass der „Dritte Ort“ kein physischer, konkreter Ort sein muss. Vielmehr handelt es sich um (ggf. auch bereits vorhandene) Gesellschaftsräume, die zum Verweilen und zur Kontemplation einladen. Räume, die die Bedürfnisse verschiedener Menschengruppen erfüllen und zu deren persönlichen Wohlfühlorten transformiert werden können. Durchaus lässt sich in Frage stellen, ob Kulturinstitutionen dieses Ziel erfüllen können oder es ein Traum bleibt, der in Gänze nie erreicht werden kann. Grundsätzlich bleibt auch die Frage, ob man einen derartigen Ort selbst gestalten kann oder sich die Gesellschaft diesen vielmehr nicht selbst erschafft.

Der Aufbau der Tagung erinnerte an die Offenheit von Begegnungsräumen, (c) Landesmuseum Württemberg, Jonathan Leliveldt

Die Tagung „Gesellschafts(t)räume“ sollte die Möglichkeit bieten, Kolleg*innen aus verschiedenen Kultursparten miteinander zu vernetzen. Viele Institutionen befinden sich in der Diskussion oder bereits mitten im Prozess der Transformation zum „Dritten Ort“. Hierfür lieferten die Referent*innen entscheidende Gedankenanstöße und Impulse. Für die rege Diskussion möchten wir uns bei allen Teilnehmenden bedanken und blicken mit Neugier auf die vorgestellten Projekte und die Umsetzung kühn(st)er Ideen.

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