Auf Wiedersehen Trachten, Narrenkleidle und Votivgaben! Nach 30 Jahren räumt das Museum der Alltagskultur weite Teile der Schausammlung aus. Und dafür gibt es einen guten Grund!
Das Frühjahr 2021 sollte dem Abschied des ältesten Teils unserer Schausammlung und deren Objekten gewidmet sein. Unter dem Motto „Schön war’s“ wollten wir Euch die Möglichkeit geben ganz persönlich mit Freundschaftszetteln den Objekten ein ungewöhnliches „Adieu!“ mitzugeben. Aber die Corona-Pandemie hat uns auch hier einen Strich durch die Rechnung gemacht, und das Museum der Alltagskultur ist weiterhin geschlossen.
Dann füllen wir eben selbst den Zettel aus!
Auf der Facebook-Seite des Museums der Alltagskultur könnt ihr bereits ganz verschiedene Freundschaftszettel entdecken. Auf diesen haben wir Mitarbeiter*innen festgehalten, wie wir uns von den Objekten aus der Schausammlung verabschieden und was wir ihnen für ihre Zeit im Depot wünschen.
Mein persönlicher Favorit ist dabei eine Brautschappel. Ein bunter, auffälliger Kopfschmuck, der bisher zu wenig zur Geltung kam und der im Kontext von Standeskleidung und Tracht gezeigt wurde. Vielleicht werden wir ihn in Zukunft unter dem Blickwinkel von Emanzipation, Geschlechteridentität oder der Umgang mit Traditionen betrachten. Das wollen wir in den nächsten Jahren mit Euch, dem Publikum diskutieren.
Doch warum bauen wir die Ausstellung ab?
Eine Ausstellung, die 30 Jahre gezeigt wurde, ist doch im wahrsten Sinne des Wortes nachhaltig? Leicht geht einem der Satz von den Lippen: „Des isch doch noch gut!“, aber dennoch haben wir uns entschieden das Museum der Alltagskultur in den nächsten Jahren zu verändern: seine Präsentationen, seine Art zu vermitteln, aber auch die behandelten Themen: wir wollen neue Perspektiven entwickeln oder die bisherigen schärfen. Als die Ausstellung eröffnete, kannten wir weder Handys noch Emails, es gab noch den Wehrdienst, der §175 war noch nicht abgeschafft und die Frage, ob der Islam zu Deutschland gehöre, hätte sich niemand zu stellen getraut.
Die Welt ist eine andere geworden, unsere Gesellschaft lässt mehr Vielfalt zu, die technischen Entwicklungen sind riesig gewesen in den letzten 30 Jahren. Es beschäftigen uns heute ganz andere Themen, die uns andere Fragen an die Vergangenheit stellen lassen. Es gibt so vieles, was sich nicht in der Ausstellung wiederfindet, von dem wir aber denken, dass es von einem Museum, das sich mit Alltag beschäftigt, behandelt werden muss. Das sind Fragen nach unserer Kolonialgeschichte, unseren Geschlechteridentitäten, unserer Erinnerungskultur aber auch nach unserer Freizeit- und Feierkultur oder unserem Verständnis von Eigentum und unserem Leben in einer digitalen Welt. Hierzu sollte ein Museum der Alltagskultur Fragen stellen.
Für immer im Depot?
Die Sorge, dass die bisher gezeigten Objekte für immer verschwinden, ist dabei unberechtigt. Viele von ihnen werden sicherlich der Öffentlichkeit wieder zugänglich gemacht. Zunächst wollen wir aber Freiräume schaffen, um mit Besucher*innen und Nichtbesucher*innen in einen Dialog zu treten darüber, was ein Museum der Alltagskultur in Zukunft ausmacht.
Dabei geht es nicht nur darum, die richtigen Themen zu finden, sondern auch darum, zu fragen, wer sich in der Sammlung und Ausstellung wiederfindet und wer nicht. Es gilt, Wege zu finden, wie dies geändert werden kann und auch darum, zu überlegen, wie das Museum in den digitalen Raum erweitert werden kann. Uns interessieren auch die Erwartungshaltungen an das Museum, seine Ausstellungen und seine Sammlung. Um dahin zu gelangen sagen wir zu den Objekten der bisherigen Ausstellung zunächst einmal: Danke! Schön war’s.
Die neuen Themen sind sehr interessant und wichtig. Bestimmt kommt die Freizeit- und Schrebergartenkultur bei der Freizeit vor?
Liebe Alicja,
Danke für das Kompliment. Zumindest auf das Thema „gärtnern“ werden wir hoffentlich sehr bald eingehen. Wenn es klappt als Selbstversuch im Innenhof.
Sie haben aber Recht, dass der Schrebergarten, „das Gütle“ ein spannendes Thema ist, dem wir uns mal widmen sollten. Wir sind sehr froh über solche Anregungen! Danke.
Herzliche Grüße
Markus Speidel
-Leiter des Museums der Alltagskultur-
Also statt einer zugegeben altehrwürdigen Dauerausstellung erst mal gar nichts? „Freiräume“ gegen Eintritt? Man kann mit Besucher*innen und vor allem Nichtbesucher*innnen sehr wohl auch in einem Museum mit Dauerasstellung in einen Dialog treten. Dass das kaum ein Museum macht und es die meisten sogar aktiv verhindern, das prangere ich seit langem an. Aber das Gegenteil ist doch allenfalls absurd, ein Museum, das ich mir selbst im Kopf vorstellen muss, besuche ich doch gar nicht erst. Dazu noch in einer Gegend, wo sich eh Fuchs und Has gute Nacht sagen, ohne Laufpublikum, mit langer Anreise für fast jeden. Da hat man ohne Inhalt dann eben nur noch Nichtbesucher*innen, denn welche Rentner- oder Schülergruppe (und das sind nun mal die Besucher*innen zur Zeit) wird dafür einen Bus mieten? Gruppen mag man dann durch irgendein pädagogisches Programm zu gewissen Events noch begeistern können, Einzelbesucher sind wie so oft die Deppen. Ein behutsameres Vorgehen fände ich da deutlich besser, aber es wirkt eben viel weniger radikal und erregt in der Fachwelt weniger Bewunderung. Die ist mir als Besucher aber ehrlich gesagt völlig egal.
Lieber Andreas P,
Danke für die Kritik! Eine Resonanz, die uns wichtig ist. Zunächst einmal zur Beruhigung: es wird nur ein Flügel in einem Stockwerk geräumt. Der Rest bleibt, weil er deutlich jünger ist. Auf der freigeräumten Fläche passiert nicht nichts. Sondern wir werden weiterhin Ausstellungen zeigen, aber mit neuen Formaten experimentieren.
Ab Juli wird es um „Das nachhaltige Museum“ gehen, ab 25.11. zeigen wir die Fotoausstellung „nebenan“ auf der gesamten Fläche.
Es wird also immer etwas geboten sein, für Einzelbesucher*innen und für Gruppen. Sie müssen sich das Museum nicht allein im Kopf vorstellen, sondern können Sie sich aktiv einbringen, wie in diesem Kommentar. Und deswegen ist mir Ihr Kommentar hier im Blog wichtig, denn das wollen wir erreichen!
Und nach 30 Jahren Dauerpräsentation haben die Objekte tatsächlich eine Ruhe verdient: 30 Jahre im Licht, 30 Jahre immer in der gleichen Position. Das tut nicht gut.
Bleiben Sie kritisch uns gegenüber und geben Sie uns eine Chance.
Herzliche Grüße
Markus Speidel
-Leiter des Museums der Alltagskultur-
Klingt gut! (Jedenfalls viel besser als der Ursprungstext, der mich doch etwas erschaudern ließ…) Viel Erfolg damit!
ich bin sicher, das ist eine riesenchance. und so wie der ‚neue‘ museumsname, so wird auch eine ‚neue‘ ausstellung begeisterten zuspruch finden. toitoitoi
Lieber Herr Krimmel,
Danke für die guten Wünsche. Der neue Name des Museums vor rund 10 Jahren hat den Weg geebnet für das, was wir nun vorhaben. Worte verändern das Denken. Wäre es noch das „Museum für Volkskultur in Württemberg“ täten wir uns sicher schwerer mit der ein oder anderen konzeptionellen Idee.
Herzliche Grüße
Markus Speidel
-Leiter des Museums der Alltagskultur-
Liebes Museumsteam,
finde ihre Idee spannend, vielleicht ergibt sich daraus die Möglichkeit durch wechselnde Themenaustellungen, in welcher Form auch immer, einmal einige der unzähligen Objekte die im Depot schlummern zu zeigen. Würde mich freuen. Ich würde gerne noch wissen, ob es eine bildliche Dokumentation (Buchform oder digital)der abgebauten Austellungbereiche gibt? Hatte bei meinen Besuchen in ihrem Hause nie daran gedacht mal ein Foto davon zu machen. Wäre ein nettes Andenken.
Viele Grüße und alles Gute für sie.
Lieber Herr Stiller,
eine Printversion der abgebauten Ausstellung gibt es nicht, aber sie wurde fotografisch dokumentiert über die Jahre hinweg und auch kurz vor Schluss.
Danke für die Idee, das zugänglich zu machen. Wir denken darüber nach!
Herzliche Grüße
Markus Speidel
Es war ja schon auch schön, manche Dinge alle paar Jahre mal wieder zu besuchen: den Gruscht-Schrank und den Lurchi zum Beispiel. Mir hat dieses Museum seit ich es für mich entdeckte immer gefallen und wirds vermutlich auch weiterhin tun, weil es mit uns, den „normalen Leuten“ und unserem Alltag zu tun hat und mit dem Leben unserer Vorfahren, und so manches infrage stellt oder Hintergründe erklärt, die einem nicht bewusst sind.
Liebe Claudia,
das Wieder-Entdecken soll nicht zu kurz kommen, aber auch das Neu-Entdecken und Anders-Entdecken. Daran dass das Museum die Objekte und Geschichten der „normalen Leute“ zeigt, wird sich auch in Zukunft nichts ändern, wir werden nur den Begriff der „Normalität“ deutlich erweitern, und auch mit Menschen zusammenarbeiten und deren Objekte zeigen, die bisher noch keinen Eingang ins Museum gefunden haben. Das wird sicherlich für diese Menschen spannend werden und für Menschen, die uns schon lange mögen, wie Dich Claudia! Wir freuen uns auf weitere Besuche!
Herzliche Grüße
Markus Speidel
als ehemaliger Waldenbucher, der gerne und regelmäßig in Euer Museum kam, möchte ich dem ganzen Team zu dieser wegweisenden Entscheidung gratulieren. Es ist sicher ein gewagter Spagat, in einer Welt, in der der Wandel immer schneller auch im Alltag spürbar ist, auf der einen Seite für Bewahren und Kontinuität und auf der anderen Seite für angepassten Wandel und Öffnung für Neues zu stehen. Ich drücke alle Daumen, dass die Konzeption wie geplant auch umgesetzt werden kann.
Lieber Herr Romer,
vielen Dank für die ermutigenden Worte. Im neuen Jahr geht das Ausräumen weiter und die Ausstellungen zu den Zünften, der Arbeit und der Reklame werden auch nach 30 Jahren abgebaut. Aber wir haben vieles Neues vor! Neues, bei dem uns auch interessiert, was die Waldenbucher*innen im Schloss erwarten.
Herzliche Grüße
Markus Speidel