Im Oktober 2021 ging ein jahrelanger Prozess zu Ende: ein seit 1887 in der Sammlung des Landesmuseums Württemberg befindliches geschnitztes Renaissance-Portal kehrte an seinen früheren Anbringungsort in die Prälatur des ehemaligen Klosters Ochsenhausen im Landkreis Biberach zurück.
Mit vereinten Kräften
Eine private Initiative aus Oberschwaben hatte den Anstoß gegeben. Es folgte eine Leihanfrage von Vermögen und Bau Baden-Württemberg an das Landesmuseum, unterstützt von der Landesakademie für die musizierende Jugend in Ochsenhausen. In einer gemeinsamen Anstrengung mit dem Landesamt für Denkmalpflege gelang es, die baulichen und konservatorischen Voraussetzungen für eine Rückkehr des Portals als Dauerleihgabe auszuloten, zu diskutieren und schließlich umzusetzen.
Was bisher geschah…
1887, in der Regierungszeit König Karls von Württemberg, war das prächtigste der fünf vorhandenen Portale nach Stuttgart gebracht worden, um es dort in die „Königliche Staatsammlung vaterländischer Kunst- und Alterthumsdenkmale“ aufzunehmen. In Stuttgart war es vor 1945 und von 1987 bis 2006 im Landesmuseum bzw. seinen Vorgängerinstitutionen ausgestellt. Infolge der Neukonzeption des Museums ab 2006 konnte das Portal zuletzt nicht mehr präsentiert werden, sondern wurde im Depot aufbewahrt. Im Herbst 2021 ist es, nach notwendigen Restaurierungs- und Umbauarbeiten vor Ort, an seinen vormaligen Standort zurückgekehrt und seither in der Klosteranlage Ochsenhausen wieder für die Öffentlichkeit zugänglich.
Oberschwäbische Schnitzkunst
Um 1583 hatte der Memminger Kunstschreiner Thomas Heidelberger das vorwiegend aus Eichen- und Lindenholz geschnitzte Portal mit einer Darstellung der „Beweinung Christi“ im Giebelfeld und dem Wappen seines Auftraggebers, des Abtes Andreas Sonntag, angefertigt.
Es war das aufwendigste der fünf ähnlichen und mit Passionsreliefs versehenen Türeinfassungen, von denen sich heute vier in der Oberen Halle der Prälatur der ehemaligen Reichsabtei befinden. Gemeinsam mit der Kassettendecke des Raumes bilden diese Elemente eine gelungene gestalterische Einheit. Wohl erst im 18. Jahrhundert wurde eine der Türen in einen Nebenraum versetzt, um in der Halle Platz für ein neues Treppenhaus zu schaffen.
Großunternehmer mit geistlichem Auftraggeber
Thomas Heidelberger nahm Aufträge an, die er mit zahlreichen Mitarbeitern und wechselnden Schnitzern für die figürlichen Teile anfertigte. Solche Großbetriebe sind seit der Spätgotik bekannt, so etwa derjenige der Syrlins in Ulm, die u.a. gegen 1500 den Hochaltar der Ochsenhausener Klosterkirche lieferten (1668 abgebaut).
Neben dem Rückgriff auf vorreformatorische spätgotische Gestaltungselemente zeigte man sich in den im 16. Jahrhundert katholisch gebliebenen Klöstern auch „modern“ und den aus Italien über die Alpen gekommenen neuen Formen der Renaissance gegenüber aufgeschlossen. Altertümlich anmutende und neue Elemente verbinden sich daher auch in der Formensprache des Ensembles in Ochsenhausen. Das bisher in Stuttgart aufbewahrte Portal zeigt in seinem Giebelfeld die Beweinung Christi unter dem Kreuz. Damit fügt es sich ein in die Reihe der Darstellungen des Leidens Christi der anderen vier Portale und der zentralen Kreuzigung in der Mitte der mächtigen Kassettendecke.
Geißelung, Dornenkrönung, Kreuztragung, Kreuzigung, Beweinung und Auferstehung am Ostertag bilden ein konzentriertes Programm zum Leiden und der Auferstehung Christi, wie sie sich auch an anderen Orten zum Beispiel als Auswahl für Glasmalereien feststellen lassen. Die süddeutsche Kunst des 15. und beginnenden 16. Jahrhunderts bot als Vorlagen solche Zyklen, die von Künstlern wie Albrecht Dürer in Nürnberg oder Hans Holbein d.Ä. in Augsburg in großer Zahl geschaffen wurden.
Die Schnitzereien verbinden die Passionsszenen nach spätgotischen Vorbildern mit zeitgenössischer Bauzier wie kannelierten Säulen, figürlichen Hermenpilastern, Rankenfriesen und zahlreichen Putten. An diesem heute einzigartigen oberschwäbischen Renaissance-Ensemble lässt sich ablesen, wie in einem kleinen katholischen Territorium des ausgehenden 16. Jahrhunderts Werke entstanden, die dem Anspruch des hier herrschenden geistlichen Reichsfürsten entsprachen.