Mittelalterliche Skulpturen in Rottweil
Das Landesmuseum Württemberg lässt seine Besucherinnen und Besucher nicht nur im Alten Schloss in Stuttgart in facettenreiche Kunst- und Kulturgeschichten eintauchen, sondern auch in derzeit sechs Zweigmuseen in verschiedenen Regionen Württembergs. Eines davon ist die Abteilung „Sakrale Kunst des Mittelalters – Sammlung Dursch“ im Dominikanermuseum Rottweil, eine überregional bedeutende Ausstellungsstätte spätmittelalterlicher Skulpturen.
Mit Kolleginnen und Kollegen vom Landesmuseum sowie mit unseren Partnern bei der Stadt Rottweil habe ich mich auf den Weg gemacht: Unser gemeinsames Ziel ist es, die hochkarätige Rottweiler Sammlung zeitgemäßer und besucherfreundlicher zu präsentieren. Für mich ist dies ein absolut faszinierendes Projekt, ist doch die Neugestaltung einer Schausammlung quasi die „Königsdisziplin“ für Kuratoren und Ausstellungsgestalter, die – da die Präsentation für einen längeren Zeitraum Bestand haben sollte – mit einer besonderen Verantwortung verbunden ist.
Die Ausgangslage
Mit rund 180 teils mehrteiligen Objekten aus der Zeit des 13. bis 16. Jahrhunderts stellt die „Sammlung Dursch“ – neben der Skulpturensammlung des Landesmuseums Württemberg – das wichtigste Ensemble spätmittelalterlicher Skulpturen aus Schwaben dar. Das Besondere an ihr ist, dass sie von einem einzigen Sammler zusammengetragen wurde: Johann Georg Martin Dursch (1800–1881) war katholischer Stadtpfarrer und Dekan in Rottweil und seiner Zeit Pionier für die Bewahrung und die Vermittlung mittelalterlicher Skulpturen. Sein Erbe im 21. Jahrhundert fortzuführen und zu aktualisieren, ist eines unserer Anliegen bei der Neukonzeption der Skulpturensammlung.
Für Kenner mittelalterlicher Kunst ist die „Sammlung Dursch“ ein echtes Eldorado. Doch vor allem auch die Noch-Nicht-Kenner wollen wir mit der neuen Ausstellung ansprechen. Die Skulpturen und Fragmente, die aus religiösen Kontexten stammen, erzählen spannende Geschichten. Wofür wurden die Bildwerke ursprünglich verwendet? Was bedeutet ihre Symbolik und Bildsprache? Welche Schicksale haben die Figuren hinter sich? All diesen Fragen möchten wir in der Neupräsentation der Sammlung nachgehen.
Die spätmittelalterlichen Skulpturen bieten neben ihrer teilweise atemberaubenden künstlerischen Qualität vielfältige kulturhistorische und kulturelle Anknüpfungspunkte. Sie ermöglichen Einblicke in die mittelalterliche Glaubens- und Lebenswelt und regen als „Menschenbilder“ zum überzeitlichen Dialog über verschiedene existenziell-menschliche Themen an. Diese Verbindungslinien zu unseren heutigen Erfahrungswelten aufzuzeigen und gleichzeitig die künstlerische Qualität der Objekte noch mehr strahlen zu lassen, sind die zentralen Ziele unserer Neugestaltung der Sammlung.
Fokussierung, Inhalte und Emotionen
Ausstellungsstruktur und -gestaltung werden komplett erneuert. Dabei sollen inhaltliche und optische Akzentuierungen nicht allein kulturhistorische Themen ansprechend auffächern, sondern darüber hinaus auch emotionale Zugänge zu den Skulpturen eröffnen. Während die Schwerpunkte der 1992 eröffneten Schausammlung auf kunsthistorischen Fragestellungen wie der Stilentwicklung lagen, werden so zukünftig stärker die Inhalte der Skulpturen wahrnehmbar. Dazu wird etwa die Hälfte der Skulpturen in thematischen Sektionen präsentiert werden, die wesentlichen Bildtraditionen der christlichen Kunst und ihren allgemein-menschlichen Konnotationen gewidmet sind. Die Titel dieser Kapitel – Liebe und Menschlichkeit, Freude und Dankbarkeit, Tod und Verzweiflung, Schutz und Beistand, Familie und Gemeinschaft, Schönheit und Würde – betonen die Überzeitlichkeit des Dargestellten und schlagen somit Brücken zur aktuellen Lebenswelt. Anregungen zur Deutung der Skulpturen geben nicht nur die Objekttexte, die jedes Werk kurz vorstellen, sondern auch Wortfelder, welche die Figuren hinterfangen und schlaglichtartig verschiedenste Assoziationen wecken.
Der Gesamteindruck des Raumes im Dominikanermuseum wird sich deutlich wandeln: Der Ausstellungsparcours wird durch eingestellte Wände und die farblich ausgezeichneten Themenräume stärker als bisher gegliedert sein. Die besonders sprechenden Werke in den Themenräumen erhalten so mehr Raum zur Entfaltung, während in einem zweiten Gestaltungsformat, das unter dem Arbeitstitel „Studiensammlung“ geführt wird, rund die Hälfte der Objekte vergleichsweise dicht chronologisch bzw. nach Werkzusammenhängen geordnet präsentiert wird. Durch diese neue Struktur wird einerseits die Konzentration auf die künstlerisch herausragenden Hauptwerke sowie auf zentrale Bildthemen gelenkt. Andererseits bleiben durch die Präsentation der gesamten „Sammlung Dursch“ ihr spezifischer Charakter nachvollziehbar und die Besucherinnen und Besucher können weiterhin eine Fülle von schwäbischen Bildwerken entdecken, ein Alleinstellungsmerkmal in der Museumslandschaft.
Wir werden hier im Blog weiter berichten, wie unsere Pläne für Rottweil langsam Gestalt annehmen. Wer nun neugierig geworden ist und im kommenden Jahr selbst verfolgen möchte, was sich in der „Sammlung Dursch“ im Zuge der Neukonzeption alles verändert hat, hat bis Ende Juni Zeit, sich die bestehende Ausstellung anzusehen. Also, auf nach Rottweil – am besten in diesem Frühling und dann erneut ab Mitte 2019!
1 Kommentar zu “Bald in neuem Licht und mit mehr Gefühl”