118 – Keine mehr und keine weniger

118 – diese für mich magische Zahl beschreibt die Anzahl der eigenständigen Sonnenuhren, die sich im Landesmuseum befinden. Der Astronomiehistoriker Jürgen Hamel und ich haben uns 2016 daran gemacht, diese Sonnenuhren zu erforschen und in einem Bestandskatalog zu erfassen.

Freud‘ und Leid eines Bestandskatalogs

Keine groben Klötze sondern rare Zylindersonnenuhren

Keine groben Klötze sondern rare Zylindersonnenuhren

Das Typische an einem Bestandskatalog ist, dass ALLE Objekte einer definierten Gruppe bearbeitet werden. Das heißt, Jürgen Hamel und ich suchten uns für den Katalog nicht die schönsten, interessantesten oder am besten erforschten Stücke heraus, sondern wir bearbeiteten einfach alle. Somit konnten wir uns nicht vor den komplizierten, erst einmal unverständlichen oder beschädigten Sonnenuhren drücken. Und das war auch gut so, denn – wie eigentlich immer – zeigte sich, dass jedes Stück beim genaueren Hingucken einen eigenen Reiz hat.

 Sonnenuhr mit mechanischer Minutenanzeige, hergestellt in Augsburg

Sonnenuhr mit mechanischer Minutenanzeige, hergestellt in Augsburg

Da waren zum Beispiel diese seltsamen Holzzylinder, die mit bedrucktem Papier beklebt waren. Konnten diese groben Klötze wirklich Zeitmesser sein? Auf dem Inventarblatt wurden sie etwas vage als „Astronomische Messgeräte“ bezeichnet. Das Rätsel klärte sich auf, als wir die Kopfstücke abnahmen. Im Inneren der Zylinder befand sich jeweils eine Aussparung, in der ein ausklappbarer Schattenwerfer versenkt war. Wird der Schattenwerfer waagerecht gestellt und auf die Nord-Süd-Achse ausgerichtet, weist sein Schatten auf den gedruckten Stundenlinien auf dem Zylinder die Zeit – ein tolles und vor allem transportables Beispiel einer Vertikalsonnenuhr, die wir sonst von Hauswänden kennen.
Und so nahmen Jürgen Hamel und ich jedes Stück in die Hand, „meditierten“ darüber, nahmen Messgeräte, Lupe und Mikroskop zur Hilfe, wälzten ältere und jüngere Literatur, befragten Kollegen und Kolleginnen …
Irgendwann war es geschafft – alle 118 Sonnenuhren untersucht, vermessen und eingeordnet, die Ergebnisse in Worte gefasst. Aber zu einem Bestandskatalog gehört viel mehr!

Viele Köche …

Im Unterschied zur Redewendung kann ich nur von Glück sprechen, dass so viele an diesem Katalog mitgearbeitet haben. Und um nur einige zu nennen: Da war zunächst unsere Registrarin, die die Sonnenuhren im Depot zusammengesucht und für den Transport ins Alte Schloss verpackt hat. Dann wurden alle 118 Stücke von einer Restauratorin gereinigt. Anschließend waren die Starfotos dran.

Nicht Zauberei, sondern kreative Arbeit – auf dem Weg zum optimalen Objektfoto

Nicht Zauberei, sondern kreative Arbeit – auf dem Weg zum optimalen Objektfoto

Gerade letzteres stellte eine große Herausforderung dar. Wer schon mal ein Metallobjekt mit spiegelnder Oberfläche fotografiert hat, weiß, wovon ich spreche. Unser Fotograf, Hendrik Zwietasch, ein Meister seines Faches, baute ausgeklügelte Konstruktionen, dank derer das Licht genau dort hinfiel, wo es hinsollte: Die Gravuren wurden sichtbar, Spieglungen minimiert, die Objektränder verschwanden nicht im Diffusen.
Nachdem alle Fotos digital bearbeitet und alle Texte von einem Lektor korrigiert waren, kam der Leipziger Universitätsverlag ins Spiel. Dort wird der Katalog Anfang Februar gedruckt erscheinen. Ich freue mich jetzt schon darauf, das Buch in der Hand zu halten. Und noch mehr bin ich auf die Reaktionen der Außenwelt gespannt. Schließlich war bisher kaum eine der Stuttgarter Sonnenuhren publiziert und diese Sammlung somit auch in der Fachwelt wenig bekannt. Nun werden interessierte Menschen ALLE anschauen können – im gedruckten Katalog und im Laufe des Jahres 2018 auch in unserem digitalen Katalog.
Wen es jetzt kribbelt, wer sich also vor Ort einen Eindruck dieser vielfältigen Sammlung machen möchte, den lade ich herzlich in das Uhrengewölbe im Alten Schloss ein. Dort sind seit kurzem über 20 Sonnenuhren ausgestellt – und das bei freiem Eintritt!

2 Kommentare zu “118 – Keine mehr und keine weniger”

  1. Liebe Frau Müsch,
    Sonnenuhren haben mich schon immer fasziniert! Ich kenne die rekonstruierte Sonnenuhr von Augustus, die sich auf den Ara Pacis/ Friedensaltar in Rom bezieht. In manchen Kirchen gibt es gigantische Sonnenuhren, ein kleiner Sonnenstrahl kommt durchs Kirchendach und trifft auf den Strahl mit den Tierkreiszeichen, so im Dom von Palermo, in Santa Maria degli Angeli in Rom oder San Petronio in Bologna. Leider habe ich nie richtig kapiert, wie ich die Sonnenuhr lesen muss, wie sie funktioniert. Im schönen Uhrenkeller im Alten Schloss gibt es viele wunderbare Exponate, aber leider keine Sonne. Ich bin sehr gespannt auf Ihren Bestandskatalog. Vielleicht verstehe ich dann besser, wie diese astronomischen Messinstrumente funktionieren. Vielen Dank für Ihre Recherchearbeit.
    Mit herzlichen Grüssen, Andrea Welz

    1. Liebe Frau Welz,

      Ihr Interesse freut mich sehr!
      Die manchmal etwas verwirrende Linienvielfalt auf Sonnenuhren hat zum Beispiel mit dem variierenden Einfallswinkel der Sonnenstrahlen je nach Jahreszeit zu tun. Dieser wurde auf der Skala berücksichtigt – meist sind die entsprechenden Linien mit Tierkreiszeichen markiert. Auch der Breitengrad des Standorts ist bei Reisesonnenuhren einstellbar.
      Vielleicht treffen wir uns mal im Uhrengewölbe. Dann können wir uns die interessanten Prachtstücke gemeinsam anschauen. Ansonsten gibt es in unserer, nach Anmeldung öffentlich zugänglichen Bibliothek viel Literatur…
      Herzliche Grüße, Irmgard Müsch

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