„Wenn Du den Klingenort auf die Erde absetzt, hat es den Anschein, als renne ein Wurm von der Spitze los und hoch bis zum Griff. Er glänzt wie Gold. Und wenn Du es (das Schwert, Anm. Verf.) hochhältst, dann scheint es so, als renne derselbe Wurm unter dem Griff hervor und hoch bis zum Ort. Es sieht aus, als sei er lebendig, dieser Wurm.“ Thidreks Saga, Kap. 98
Angeregt durch dieses Zitat aus der Dissertation „Stähle, Steine und Schlangen“ (S. 219) von Stefan Mäder durchsuchte ich während der Vorbereitung einer Tagung das Röntgenbildarchiv des Landesmuseums Württemberg nach zweischneidigen Schwertern (im Frühmittelalter auch „Spatha“ genannt) mit schlangenförmigen Mustern.
Tatsächlich fand ich zwei der seltenen Waffen im Bestand des Landesmuseums: eines mit einem goldüberzogenen Griff, gefunden in Sindelfingen, und eines mit einem sehr ähnlich geformten Griff aus Hirschgeweih aus einem Grab in Hemmingen. Beide wurden um 500 nach Christus hergestellt.
Ihre zweischneidigen Klingen sind fest in ihre Schwertscheiden eingerostet, so dass sie aus diesen nicht mehr entnommen werden können, ohne Scheide und Schwert dabei zu beschädigen. Auf Grund dessen kann ihr innerer Aufbau nicht mit bloßem Auge erkannt werden. Erst das Röntgenbild lässt die ursprünglich auf der Klingenoberfläche sichtbaren geschmiedeten Muster im Inneren ihrer aus mehreren Stahlstäben zusammengeschweißten Klingen erahnen.
Im Anschluss an meinen Vortrag äußerte ein Tagungsteilnehmer den Wunsch, eines dieser sagenhaften „Schlangenschwerter“ nachschmieden zu lassen. Dafür lieferte das flache Röntgenbild jedoch zu wenige Informationen. Erst die Untersuchung der Schwerter im industriellen 3D-Röntgen-Computertomografen macht es möglich, zerstörungsfrei hoch aufgelöste Details aus dem Inneren der Schwertklingen darzustellen.
So transportierten Georg Kokkotidis, der zuständige Archäologe im Landesmuseum Württemberg, und ich – als Restaurator – die beiden sorgfältig verpackten Schwerter zum Steinbeis Transferzentrum der ARGE Metallguss an der Hochschule Aalen – Technik und Wirtschaft, die einen solch leistungsfähigen Computertomografen betreibt. Die damals für die Steuerung des CTs zuständige Ingenieurin Irmgard Pfeiffer-Schäller und einige ihrer Kollegen haben ein Faible für Archäologie, weshalb sie mit der Untersuchung mehrerer Objekte des Landesmuseums auch bereitwillig Neuland betraten und bis dahin unvorstellbare Aufnahmen ermöglichten.
Das Schwert befindet sich während der Durchleuchtung auf einem Drehteller. Ausgehend von Strahler (links vorne) durchdringt die Röntgenstrahlung das Objekt und wird auf dem rechteckigen Flächendetektor (rechts hinten) aufgezeichnet. Aus vielen hundert Einzelaufnahmen in unterschiedlichen Winkeln wird eine dreidimensionale Darstellung der durchstrahlten Strukturen errechnet.
Beim Durchsehen der Schnittbilder konnte ich die einzelnen Komponenten der kompliziert aufgebauten Klingen voneinander unterscheiden und die Arbeitsschritte theoretisch rekonstruieren.
Die Musterstreifen in den Klingen beider Schlangenschwerter bestehen aus je drei auf den gegenüber liegenden Klingenoberflächen sichtbaren Stahlstäben und einer Mittellage. Beim Schwert mit Goldgriff wurden die Füllungen zwischen den Windungen des Schlangenmusters vor dem Zusammenfügen aus der Mittellage herausgearbeitet. Nach dem Verschweißen des Musterstreifens wurden die Schneiden aus härtbarem Stahl (rechts und links türkisfarbig dargestellt) angeschweißt.
Archäometrie trifft auf Handwerkskunst
Die Diskussion mit erfahrenen Schweißdamast-Schmieden und deren anschließende praktischen Versuche mit Hammer und Amboss brachten entscheidende Hinweise zur Rekonstruktion der Herstellungstechnik unserer beiden Schlangenschwerter.
Basierend auf ihrer jahrelangen Erfahrung und den theoretischen Untersuchungsergebnissen aus der Restaurierungswerkstatt des Landesmuseums Württemberg fertigten Damastschmied Markus Balbach und seine beiden Mitarbeiter in dreiwöchiger Detailarbeit mehrere technikgetreue Klingenmodelle zum Schlangenschwert aus Sindelfingen. Sie verwendeten dazu ausschließlich selbst verhütteten Stahl und stellten diese wertvollen Anschauungsstücke großzügig dem Landesmuseum zur Verfügung. Ihre Erkenntnisse halfen mir, den Aufbau des Schwertes in den komplizierten Strukturen der CT-Daten besser zu verstehen und als Explosionszeichnung bildlich umzusetzen.
Stefan Mäder präparierte den Musterstreifen dieses Klingenmodells in Technik der japanischen Schwertpolitur. Die Helligkeitsunterschiede auf diesem Bild entstehen durch die unterschiedlichen Glanzgrade, welche die wechselnden Stahlsorten bei der japanischen Schwert-Politur annehmen. Den vorangegangenen Formschliff des Klingenmoldells führte Messermacher und -schleifer Jürgen Schanz aus.
Nachschmiedung des Schlangen-Schwerts aus Hemmingen
Steven Spranger, den ich auf einem Mittelalter-Markt unter seinem Künstlernamen „Axon der Schmied“ kennenlernte, fertigte in über 110 Arbeitsstunden eine techniktreue Replik des Schlangen-Schwerts aus Hemmingen an. Die Herausforderung bestand bei dieser Klinge darin, dass die Füllstücke der Schlangen-Windungen einzeln hergestellt waren und durch die Hammerschläge beim Feuerverschweißen leicht hätten herausspringen können. Steven Spranger löste das Problem, indem er die Füllungen zum Klingenkern hin breiter formte und sie sich dadurch in den Hinterschneidungen des Schlangenmotivs und der gedrehten Stahlstäbe verkeilten. Zum Anpassen der Füllstücke fixierte er die Teile der Schlangenseite des Musterstreifens mit einer Schraubzwinge.
Der Nachbau dieser beiden Schlangenschwerter macht die Wertschätzung besonderer Schwertklingen im Mittelalter nachvollziehbar: Die Fertigstellung mustergeschweißter Klingen ist nur möglich, wenn sich alle beteiligten Kunsthandwerker über einen langen Zeitraum mit höchster Konzentration und Aufmerksamkeit ihrer Arbeit widmen:
– Dem Schmied kann bei jeder Erhitzung auf Schweißtemperatur das Werkstück verbrennen.
– Durch Unachtsamkeit beim Formschliff und der anschließenden Politur können zeitaufwändig vorbereitete Konturlinien wellig werden oder die angestrebten Motivebenen der Musterstäbe werden verpasst.
Präsentation in der Ausstellung
Das nachgeschmiedete Klingenmodell der Goldgriff-Spatha von Sindelfingen ist seit 2012 in der Schausammlung Legendäre Meister Werke zusammen mit dem Original ausgestellt. In der großen Sonderausstellung „Faszination Schwert“, 13. Oktober 2018 bis 28. April 2019, werden die Modelle ebenfalls gezeigt. Ein Foto der von Stefan Mäder in Technik der japanischen Schwertpolitur präparierten Oberfläche dieses Models wird fast raumhoch den Bereich Herstellungstechnik dekorieren.
Das ist ja mehr Kunst als Zweck. Das Schwert sieht fantastisch aus. Besonders faszinierend ist die Wellenförmige Mitte des Schwerts. Unglaublich, wie sie früher die Dinge schon herstellen konnten. Danke für die Bilder!
Der Metallguss ist sehr anspruchsvoll. Die Bildung einer solchen Schlange im Schwert scheint selbst den erfahrenen Schweißdamast-Schmieden viel Arbeit bereitet zu haben. Ich empfinde schon immer das Bearbeiten von Metall als Kunsthandwerk. Heutzutage gibt es dafür Unternehmen für Kunstguss, welche sich auf die dekorative Bearbeitung von Metall spezialisiert haben. Vielen Dank für Ihren Beitrag!
Liebe Kommentar-Vorschreiberin
Die Herstellung dieser Schwerter hat aber gar nichts mit „Metallguss“ zu tun. Da ist Ihnen wohl ein falscher Begriff in die Tasten gerutscht. Auch handwerklich höchststehender Kunstguss kommt nie an diese alten Schmiedetechniken heran.
Die Schmiedearbeiten sind wirklich toll, Kunsthandwerk auf höchstem Niveau. Danke, dass es heute noch solche Kunsthandwerker gibt, rsp. wieder gibt.