Steht Rot, liegt Blau? Kunsttechnologische Untersuchungen von Fasern

Vielleicht ist es euch schon einmal aufgefallen: Bei den Objektbeschreibungen mancher Gemälde steht, aus welcher Faser die Leinwand gewebt wurde. Was allgemein als „Leinwand“ bezeichnet wird, ist der sogenannte Bildträger, also das Material, auf dem gemalt wurde. Obwohl der Begriff Leinwand generell für textile Bildträger verwendet wird, beinhaltet er streng genommen bereits eine Materialbezeichnung. Bei Lein (auch Flachs genannt) handelt es sich um eine bestimmte Pflanzengattung.
Daneben wurden je nach Epoche und Herstellungsort aber auch andere Pflanzenfasern für die Herstellung von Leinwänden verwendet, wie zum Beispiel Hanf, Jute oder Baumwolle. Auch bei Gemälden und Skulpturen aus Holz wurden Fasern verwendet. Man nutzte sie, um Unebenheiten oder Unregelmäßigkeiten der Oberfläche auszugleichen, zum Beispiel Astlöcher.

Fasern in der Kunst

Bei den technologischen Untersuchungen von Kunstwerken möchten wir manchmal genau wissen, welche Materialien und Techniken bei der Herstellung verwendet wurden. Dadurch können wir mehr über die Entstehungsumstände des Objektes erfahren. Das hilft zu entscheiden, worauf wir bei der Restaurierung achten müssen. Auch im Rahmen des Forschungsprojekts zum Lichtensterner Retabel haben wir Faserproben entnommen.

Faserbeklebungen auf der Rückseite der Krönungsgruppe des Lichtensterner Retabels (© Landesmuseum Württemberg, Foto: Kerstin Stark, CC BY-SA)

Faserbeklebungen auf der Rückseite der Krönungsgruppe des Lichtensterner Retabels (© Landesmuseum Württemberg, Foto: Kerstin Stark, CC BY-SA)

Probentnahme – wo und wie?

Bei manchen Materialanalysen beispielsweise von Fasern aber auch Holz ist es wichtig, bei der Probenentnahme ein gutes Mittelmaß zwischen Quantität und Qualität zu finden. Es sollte so wenig wie möglich von der originalen Substanz entfernt werden, aber natürlich muss die Menge ausreichend sein, um eine sichere Bestimmung vorzunehmen. Je nach Untersuchungsmethode genügt für eine Faseranalyse bereits eine kleine Probe von ein oder zwei Millimetern. Idealerweise suchen wir uns eine einzelne Faser aus, die aus dem Gefüge heraussteht und sich leicht an einer möglichst unauffälligen Stelle entnehmen lässt. Dafür eignen sich Rückseiten, Unterseiten und Randbereiche der Kunstwerke in der Regel am besten, die für den Betrachter oft nicht einsehbar sind.

Analyse unter dem Mikroskop

Für die weitere Untersuchung wird die Probe auf einen Objektträger gelegt und mit feinem Werkzeug aufgefasert, d.h. auseinander gezogen und dabei möglichst weit zerteilt. Anschließend betrachten wir die Faser unter einem (Polarisations-) Mikroskop und sehen uns die kleinsten Einheiten des gesponnenen Fadens, die Elementarfasern, genauer an. Durch unterschiedliche optische Merkmale können wir nun bestimmen, um welche Art von Faser es sich handelt. Dabei hilft uns der sogenannte „Herzog-Test“ weiter: Wird die Probe unter einem Polarisationsmikroskop mit den entsprechenden Filtern betrachtet und dabei gedreht, so ändert sie ihre Farbe. Beispielsweise kann eine Elementarfaser eine bläuliche Färbung haben, wenn man sie in einer horizontalen Position betrachtet, und wird rot-orange, wenn man sie um 90° in die Vertikale dreht. Vereinfacht kann man sagen: „Liegt blau, steht rot.“

Dies ist u. a. bei Flachs der Fall, also der klassischen „Leinwand“, aber auch bei (Brenn-) Nessel. Bei anderen Fasern wie z. B. Hanf oder Jute verhalten sich die Farben genau umgekehrt: Sie „liegen“ rot und „stehen“ blau. Es gibt auch Pflanzenfasern, bei denen dieser Herzog-Test nicht funktioniert. Sie verfügen über andere Merkmale, an denen wir sie erkennen können

Wir sehen auch Sehnen

Bei der Herstellung von mittelalterlichen Kunstwerken wurden aber nicht nur pflanzliche sondern auch tierische Fasern verwendet. Auf Grund ihrer hervorragenden mechanischen Eigenschaften wurden tierische Sehnen beispielsweise bei der Herstellung von Waffen wie Bogen oder Schilden verwendet. Wer mehr zu dieser Technik wissen möchte, dem sei dieser Aufsatz empfohlen: Kühnen, Renate und Herm, Christoph; „Protein fibres as intermediate layer on medieval shields, panel paintings, and altarpieces“ in ZKK-Zeitschrift für Kunsttechnologie und Konservierung, 30. Jahrgang 2016, Heft 1, S. 36-46.
Tierische Sehnen hielten bald auch Einzug bei den Bildschnitzern und Tafelmachern und lassen sich beim Lichtensterner Retabel u.a. zur rückseitigen Verstärkung des geschnitzten Maßwerks im Schrein oder zur Kaschierung von Astlöchern auf dem rechten Drehflügel und der Predella nachweisen und analysieren. Sehnen kann man unter dem Polarisationsmikroskop besonders schön erkennen, da sie eine typische Wellenstruktur und bunte Farben zeigen.

…also: Augen auf beim nächsten Museumsbesuch! Wenn ihr genau hinseht, könnt ihr vielleicht am einen oder anderen Kunstwerk des hohen Mittelalters ja selbst ein Gewebe oder einzelne Fasern entdecken. Kleiner Tipp: Seht euch doch bei eurem nächsten Besuch mal die Füße des Christus des Blaubeurer Kruzifixes in unserer Schausammlung LegendäreMeisterWerke im 2. Stock genauer an.

3 Kommentare zu “Steht Rot, liegt Blau? Kunsttechnologische Untersuchungen von Fasern”

    1. Lieber Herr Mayer,

      vielen Dank für Ihren Kommentar. Es freut mich, dass Ihnen der Artikel gefallen hat.

      Herzliche Grüße
      Sabrina Kunz

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