Als ich das Deutsche Wörterbuch der Gebrüder Grimm aufschlug und nach dem Wort „Tracht“ suchte, kam ich auf ein erstaunlich simples Ergebnis: Tracht kommt von Tragen. Es wirft jedoch einige Fragen auf – die größte von allen: Wann ist Kleidung Tracht? Und was bedeutet es eigentlich Tracht zu tragen? Die Ausstellung FASHION?! Was Mode zu Mode macht sowie die am 30. September 2021 um 19:00 Uhr im Alten Schloss stattfindende Podiumsdiskussion der Landesstelle für Volkskunde geben Anlass, näher auf Mode und Tracht zu blicken. Flankiert wird die Veranstaltung von zwei Blogbeiträgen (dieser ist einer davon) und einer Online-Präsentation auf Google Arts & Culture.
Tracht ist nicht gleich Tracht
Machen wir eine kleine Zeitreise in das 19. Jahrhundert. Das Deutsche Reich befand sich im Aufschwung. Die fortschreitende Industrialisierung und Urbanisierung nach der Gründung des Kaiserreichs 1871 machte vor keinem Halt. Diese gesamtgesellschaftliche Veränderung, die von vielen als bedrohlich angesehen wurde, versuchten viele Menschen sinnstiftend zu kompensieren und zwar mit der bürgerlich-bäuerlichen Adaption und Konstruktion von „Trachten“, die als deutsche „Volkstrachten“ in Zeiten eines erstarkenden Nationalismus verstanden wurde. Das Ziel war sowohl eine Entschleunigung des rasanten Alltags als auch eine Identifikation mit dem romantisch verklärten Gestern.
Im Gegensatz zu Trachten, die u.a. über Amt, Stand und Konfession Auskunft gaben, machte sich nun eine wahre „Trachteneuphorie“ breit, die sowohl identitätsstiftend und sozial verbindend als auch abgrenzend wirkte. Trachten wurden nun zu vielen publikumswirksamen Gelegenheiten, wie etwa auf Weltausstellungen, in Heimat- und Volkskundemuseen oder bei Trachtenumzügen, stolz präsentiert.
Kleidung ist also dann Tracht, wenn ein mehr oder weniger einheitlich festgelegtes Kleidungsensemble eine identitätsstiftende Wirkung hat und Ausdruck von Zusammengehörigkeit ist.
Die Tracht ist dabei alles andere als eine unveränderliche, traditionsreiche Form sich zu kleiden, sie wandelt sich stetig. Könnte heute beispielsweise das Trikot der deutschen Fußballnationalmannschaft ebenso als Tracht bezeichnet werden, wie das traditionell anmutende ländlich-bäuerliche Dirndl, die Lederhose oder der Bollenhut?
Studierende untersuchen – Was bedeutet es Tracht zu tragen?
„Tracht ist eine Frage der Perspektive“. „Tracht ist eine Familie“ „Tracht ist Vielfalt“. Tracht zu tragen scheint zumindest in ihrer Bedeutung keine Grenzen zu haben. Dies zeigen Freiburger und Tübinger Studierende der Empirischen Kulturwissenschaft im Rahmen eines Projektseminars auf. Dafür führten sie Gespräche mit Menschen, die Auskunft darüber gaben, warum sie sich für Trachten begeistern und was es für sie bedeutet, Tracht zu tragen. Die Ergebnisse des Seminars wurden auf sieben Postern zusammengefasst, die auch bei der Podiumsdiskussion präsentiert werden.
Eine Frage, die vor allem in der Öffentlichkeit immer wieder diskutiert wird, ist die nach der Unterscheidung zwischen „echten Trachten“ und den Wiesn-Wasn-Dirndln. Innerhalb der Trachtenszene gibt es eine Unterscheidung zwischen „echten Trachtlern“ und lediglich „trachtig“ Gekleideten. Im Zentrum dieser Unterscheidung steht die Aushandlung dessen, was „ernsthafte“ und „richtige“ Trachtenpflege ausmacht und was nur „Trachtenmode“ oder „Oktoberfestdirndl-Aufzug“ ist. Maßgeblich stehen hier Ernsthaftigkeit und Authentizität dem „Spaß“ gegenüber. Eines scheint nie abschließend geklärt zu werden: nämlich, welche Tracht als die „richtige“ und damit auch „authentische“ für eine Person oder Region gilt.
Dass es bei Trachten kein richtig oder falsch gibt, zeigt der Schwarzwälder „Marketender-Sepp“ schon zur Mitte des 19. Jahrhunderts, indem er im Alltag auch zur weiblichen Arbeitstracht griff. Heute geht auch Trachtenfotograf Sebastian Wehrle neue Wege und präsentiert Trachten durch seine ungewöhnliche und allein deswegen moderne Art.
Welche Sichtweisen und welchen Umgang mit der Tracht es darüber hinaus noch gibt, wird am 30. September 2021 um 19:00 Uhr bei der Podiumsdiskussion „Alles eine Frage der Trachten-Mode?“ im Alten Schloss mit Trachtenexpert*innen und Trachtenpraktiker*innen diskutiert. Dabei sind u.a. Reinhold Frank, der Geschäftsführer des Landesverbands der Heimat- und Trachtenverbände Baden-Württemberg e.V. und Dr. Simone Egger, Kulturwissenschaftlerin aus München. Mehr Infos sowie Tickets zur Veranstaltung hier!