Die Apotheke der Herzogin im Alten Schloss: Sibylla von Anhalt und die Arzneimittelherstellung

Sibylla von Anhalt (1564–1614), die Gattin Herzog Friedrichs I. von Württemberg (1557–1608), war bekannt für ihren scharfen Verstand und ihre fürstliche Mildtätigkeit. Trotz einer zerrütteten Ehe gelang es ihr, den freien Zugang zu medizinischer Versorgung für Notleidende zu fördern. Ihr weitreichendes Interesse an Botanik, Chemie und Alchemie zeigte sich in ihrer umfangreichen Bibliothek und ihrem praktischen Wissen der Arzneimittelherstellung.

 

Jugend und Ehe

Heute vor 457 Jahren, am 28. September 1564, wurde Sibylla als Tochter des Fürsten Joachim Ernst von Anhalt (1536–1586) in Bernburg an der Saale geboren. Bereits mit fünf Jahren verlor sie ihre Mutter und wurde daraufhin von ihrer Stiefmutter Eleonore von Württemberg (1552–1618) erzogen. Diese hatte selbst ein großes Interesse an der Arzneimittelherstellung und veröffentlichte 1594 unter dem Pseudonym „Lobesan“ ein eigenes Haus- und Rezeptbuch.

Bereits im zarten Alter von 13 Jahren wurde Sibylla zur Äbtissin von Gernrode und Frose (im heutigen Sachsen-Anhalt) gewählt. 1581 legte sie ihr Amt nieder, als sie Friedrich I. von Württemberg-Mömpelgard heiratete. In den folgenden 15 Jahren gebar sie 15 Kinder, von denen zehn das Erwachsenenalter erreichten. Dennoch war die Ehe unglücklich. Friedrich hatte zahlreiche Mätressen und nahm Sibylla nie auf seinen weiten Reisen durch Europa mit. Auch politisch waren die beiden uneins. Als Herzog Ludwig von Württemberg (1554–1593) kinderlos verstarb, übernahm Friedrich das Herzogtum Württemberg und die Familie zog von Mömpelgard nach Stuttgart ins Alte Schloss.

 

Alchemie und Friedrich I.

Eine der wenigen gemeinsamen Interessen von Sibylla und Friedrich war die Alchemie. Dieser alte Zweig der Naturphilosophie beschäftigte sich mit den Eigenschaften der Stoffe und ihren Reaktionen. Im 17. und 18. Jahrhundert entstanden daraus die moderne Chemie und Pharmakologie. Ein Ziel der Alchemie war es, mithilfe vom „Stein der Weisen“ und durch „Transmutation“ unedle Metalle in Gold umzuwandeln. Der Stein der Weisen galt auch als Universalheilmittel, das Unsterblichkeit verleihen sollte. Der Gelehrte Paracelsus (1494–1531) beschrieb außerdem, wie man mit alchemistischen Verfahren natürliche Heilmittel vervollkommnen könnte.

Kupferstich der Kunstkammer im Alten Lusthaus in Stuttgart, 1680. Der Raum war 1596 von Herzog Friedrich zu einem großen Laboratorium umgebaut worden.1

Wie viele seiner Zeitgenossen sah Friedrich I. die Herstellung von Gold als Möglichkeit, die Staatskassen zu füllen und seine teure Hofhaltung zu finanzieren. Zwischen 1596 und 1608 beschäftigte er in seinen Laboratorien im Alten Lusthaus, dem Stuttgarter Neuen Spital und im Freihof in Kirchheim unter Teck mehrere Alchemisten. Berühmt-berüchtigt ist Friedrich dafür, dass er von seinen zehn Hofalchemisten fünf als Scharlatane hinrichten ließ.

Kupferstich zur Hinrichtung des Alchemisten Georg Honauer, 1597 © Deutsche Apotheken Museum-Stiftung, Heidelberg

 

Die Hofapotheke der Herzogin

Miniaturporträt der Herzogin Anna Maria von Württemberg, geb. Markgräfin von Brandenburg-Ansbach, ca. 1569

Sibylla wandte sich hingegen den medizinischen Aspekten der Alchemie zu. Bereits 1550 hatte Herzogin Anna Maria von Württemberg (1526–1589) im Alten Schloss eine Apotheke für Jedermann gegründet. Ein Jahr später eröffnete sie auch eine Stiftung, um die Armen und Kranken der Stadt kostenlos zu versorgen. Cyriakus Horn III. (1551–1572) leitete die Apotheke, während die Fürstin die Oberaufsicht hatte und selbst mit ihrem Gefolge im Schloss Kranke versorgte.

Eine offizielle Ausbildung zum Apotheker durften zu jener Zeit nur Männer machen und die Ausübung des Berufs durch Frauen wurde 1582 in Worms und der Kurpfalz verboten. Andererseits war die häusliche Krankenpflege eine weibliche Domäne. Einige wenige Väter und Ehemänner gaben ihr Wissen auch an Frauen weiter.

Im Gefolge der Stuttgarter Herzogin arbeiteten mehrere „Frauenzimmerapothekerinnen“. Als Friedrich I. ab 1594 den heutigen Schillerplatz errichtete, befand sich die Hofapotheke im Erdgeschoss des Schlosses zum Platz hingewandt. Die Herzogin hatte im Ostflügel des zweiten Obergeschosses eine eigene Apotheke.2

 

Frauen als Hofapothekerinnen

Die erste weibliche „Hofapothekerin“ war Helene Ruckher (1523–1597). Sie wurde 1584 nach Stuttgart berufen und hatte ihr Wissen von ihrem Vater Johann Magenbuch (1487-1546) vermittelt bekommen. Der deutsche Mediziner fungierte zuletzt als Leibarzt von Kaiser Karl V. (1500-1558). Bevor Helene im Jahr 1596 in den Ruhestand ging, hinterließ sie Herzogin Sibylla ihr persönliches „Artzneybuch“.

Sibylla berief 1606 die mittlerweile verwitwete Pfarrersgattin Maria Andreae (1550–1632) als Hofapothekerin nach Stuttgart. Über ihre Ehemänner hatten sich die beiden bereits 1598 in Königsbronn kennengelernt. Sie wurden enge Vertraute, was vielleicht an einem ähnlichen Schicksal lag. Auch Maria hatte früh ihre Mutter verloren und wuchs anschließend bei ihrer Großmutter auf. Diese betrieb im Herrenberger Vogtshaus eine kleine Krankenstation. Wie der Herzog beschäftigte sich ihr Ehemann, der Theologe Johannes Andreae (1554–1601), vornehmlich mit Alchemie und verprasste dafür das Vermögen der Familie. Als Maria nach Stuttgart kam, reformierte sie mit Sibylla die Finanzen der Hofapotheke. Zuvor hatte Herzog Friedrich damit seine Goldmacher bezahlt. Maria bewirkte, dass auch mittellose Kranke kostenlos vom Stadtarzt behandelt werden konnten. Laut ihrem Sohn, dem Theologen Johann Valentin Andreae (1586–1654), war die Mutter besonders fleißig und freigiebig:

„Den Frühling verbrachte sie mit dem Sammeln von Kräutern und dem Bereiten von Heiltränken, im Sommer stellte sie Gewürze her, den Rest des Jahres verwendete sie auf die Zubereitung von Salzen und Pulvern. Alle diese Mühe war für die Armen bestimmt.“ 3

Bibliothekskatalog der Herzogin Sibylla von Württemberg, 1624. Hier wird unter anderem das „Artzneybuch“ der Hofapothekerin Helene Ruckher von 1595 aufgelistet. © Württembergische Landesbibliothek, Stuttgart

 

Sibylla und die Wissenschaften

Zwei Turboschneckenpokale von Hans Pezolt, 1603-1609

Eine wissenschaftliche Betätigung war für Frauen in der Frühen Neuzeit nur eingeschränkt möglich. Sibylla nutzte jedoch ihre monetären Mittel und soziale Stellung, um eine eigene Bibliothek anzulegen. Ihr Bibliothekskatalog verzeichnet mehr als 300 Titel aus den Bereichen Theologie, Geschichte und Medizin. Neben Helene Ruckhers „Artzneybuch“ besaß Sibylla mehrere Kräuter- und Kochbücher, sowie paracelsische und alchemistische Literatur.

Weibliche Sinnbilder der Wissenschaften waren bis ins 18. Jahrhundert weit verbreitet. Antike Kosmologien vertraten bereits die Vorstellung eines weiblichen Führers zur Wahrheit. Ein Trinkgeschirrpaar mit einer solchen Symbolik befand sich in Sibyllas Besitz. Die figürlichen Deckel der Turboschneckenpokale zeigen Prudentia, die weibliche Kardinaltugend der Klugheit.

Der Pomeranzengarten in Leonberg

Nach dem Tod des Ehemanns im Jahr 1608 zog sich Sibylla auf ihren Witwensitz im Schloss Leonberg zurück und erfüllte sich dort den Traum eines eigenen Gartens. Der Hofbaumeister Heinrich Schickhardt (1558–1635) wurde mit dem Bau des Pomeranzengartens beauftragt. Die namensgebenden Pomeranzen (Bitterorangen) waren ein Statussymbol und wurden für Heilzwecke verwendet. Gemeinsam mit Maria Andreae pflanzte sie in ihrem Garten schöne und seltene Pflanzen neben Heilpflanzen an. Daraus bereiteten die beiden „allerhand heilsame und kostliche Artzneyen“.4 Der Pomeranzengarten wurde zum Vorbild späterer wissenschaftlicher Gärten wie dem berühmten Hortus Palatinus in Heidelberg.

Der Pomeranzengarten in Leonberg, ab 1609

Sibylla verstarb 1614 im Alter von 50 Jahren in Leonberg. In seiner Leichenpredigt pries der Theologe Erasmus Grüninger (1566–1631) Sibyllas „liberal Gemüth, auch recht heroisches großmüthiges Hertz, [… und] sehr scharffsinnigen hohen Verstand“.5

 

Quellenangaben:

1Hans Georg Hofacker, „…‘sonderliche hohe Künste und vortreffliche Geheimnis‘. Alchemie am Hof Herzog Friedrich I. von Württemberg – 1593 bis 1608“ 1993, S. 46.

2 J. Lauxmann-Stöhr und S. Tomsky-Etzholz, „Mumienpulver und Konfekt: Ein Ausflug in die Geschichte Stuttgarts und seiner Hof-Apotheke“ 2019, S. 7.

3 Johann Valentin Andreae, „Die Verdienste der Mutter Maria Andreae“ 1632, in: Johann Valentin Andreae, „Nachrufe, Autobiographische Schriften, Cosmoxenus“ 1995, S. 84, 85.

4 Leichenpredigt von Theodor Thumm, in: Gerhard Raff, „Hie gut Wirtemberg allewege II“ 1993, S. 59.

5 Leichenpredigt von Erasmus Grüninger, in: Gerhard Raff, „Hie gut Wirtemberg allewege II“ 1993, S. 58.

Portrait Header © Staatliche Schlösser und Gärten Baden-Württemberg, Schloss Ludwigsburg

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