Wer sich für historisches Glas interessiert, kommt an Stuttgart nicht vorbei. Seit dem frühen 20. Jahrhundert wirkten hier einige der wichtigsten Glas-Experten und -Designer ihrer Zeit. Darunter sind große Namen wie der Erfinder der ikonischen „Bauhaus-Lampe“ Wilhelm Wagenfeld (1900–1990) oder der Lehrer an der Stuttgarter Kunstgewerbeschule und Glas-Künstler Wilhelm von Eiff (1890–1943). Seit den 1990er Jahren kann außerdem eine der bedeutendsten Sammlungen an historischem Glas, die Sammlung Wolf, im Alten Schloss bewundert werden.
Aber was ist so spannend an Glas? Warum etwas so Gewöhnliches, aus dem wir tagtäglich trinken und durch das wir aus dem Fenster sehen? Vor drei Jahren beschäftigte ich mich erstmals in einem Universitätsprojekt mit dem Material. Seitdem bin ich bekennender Glas-Fan. Denn warum ist Glas denn so allgegenwärtig? Weil es so enorm wandelbar ist: Glas kann zerbrechlich und kaum sichtbar, aber auch hart und undurchsichtig wie Granit sein. Es ist hitzebeständig, kann Datenströme leiten und Pistolenschüsse abhalten (unter bestimmten Bedingungen, wohlgemerkt). Wenn man so will ist Glas eines der ältesten Hightech-Materialien der Welt.
Im Landesmuseum gibt es viele spannende Objekte, die die Geschichte des Glases in Württemberg und der Welt erzählen. Begeben wir uns auf eine Spurensuche durch die Schausammlungen!
Ein Herzog in Glas
Wir starten – wie sollte es anders sein? –in der Präsentation „Glas aus vier Jahrtausenden“ im Gewölbe des Alten Schlosses. Der Name ist Programm: Vorbei an den farbprächtig-schillernden Gefäßen der Antike und den stachelig-kurios geformten Gläsern des Mittelalters gehen wir zum hinteren Teil der Ausstellung, wo die Gläser aus Renaissance, Barock und Biedermeier gezeigt werden. Die meisten Objekte im Glas-Gewölbe sind Teil der Sammlung Ernesto Wolf. Der gebürtige Stuttgarter hatte die Sammlung seines Vaters Alfred Wolf nach dem Zweiten Weltkrieg systematisch ausgebaut, sodass man hier einen lückenlosen Überblick über die gesamte ältere Geschichte des Glases vor Augen hat. Uns interessiert hier allerdings ein Objekt, das sich schon im 17. Jahrhundert in den Sammlungen der Herzöge von Württemberg befand. Es ist ein Portrait von Herzog Johann Friedrich (1582–1628), geschnitten in eine Spiegelglasscheibe.
Der Künstler Caspar Lehmann (1563–1622) war Edelsteinschneider am Hof Kaiser Rudolfs II. (1552–1612) und galt als „Erfinder“ des Glasschnitts. Tatsächlich war Schnitt- und Schliffdekor schon in der Antike bekannt, wie auch einige Beispiele im vorderen Teil der Ausstellung zeigen. Doch war diese Technik in Europa über Jahrhunderte in Vergessenheit geraten, bis Lehmann auf die Idee kam, seine Fertigkeiten als Edelsteinschneider auf einem anderen Material auszuprobieren. Glasschnitt verzierte Gläser funkelten über Jahrhunderte auf jeder Tafel des Adels und wohlhabenden Bürgertums. Dass wir hier eine verspiegelte Scheibe und keinen Becher betrachten, ist übrigens kein Zufall. Zu Lehmanns Zeiten mussten sich die Glasmacher noch auf den neuen Dekortrend einstellen und Gläser entwickeln, die klar und trotzdem hart genug waren, um der Bearbeitung mit dem metallenen Schneidrad standzuhalten.
Ein Lichtblick für die Forschung
Weiter geht es zu den „Wahren Schätzen“ in der Kunstkammer, wo neben einer großen Sammlung an wertvollem Rubinglas, das mit Goldpulver gefärbt wurde, einige besondere Kleinode warten: Drei längliche Prismen aus grünem und farblosem Glas. Diese wissenschaftlichen Instrumente, mit denen im 17. und 18. Jahrhundert die Farbspektren des Lichts studiert wurden, machen deutlich, dass die Kunstkammer der Herzöge und Herzoginnen von Württemberg ein Ort des Wissens war. Natürlich bedurfte es eines besonders reinen Glases, um die Brechung des Lichts untersuchen zu können. Umso spannender, dass zwei der drei Prismen aus grünem Glas gefertigt sind!
Nördlich der Alpen waren Gläser bis ins 18. Jahrhundert häufig grün. Das Waldglas entstand – wie der Name schon sagt – in den Wäldern Mittel- und Nordeuropas und erhielt seine grüne Farbe vom Eisenoxid, das sich in den Rohstoffen für die Glasherstellung befand. Jahrhundertelang war das farblose Kristallglas aus Venedig das Maß aller Dinge. Viele Glasmacher versuchten daher, die Grünfärbung des Glases durch das Einschmelzen anderer „Zutaten“ wie etwa Manganoxid auszugleichen. Weil das nicht immer gelang, haben viele Gläser dieser Zeit einen Farbstich. Durch die Einbringung von zu viel Manganoxid entsteht zum Beispiel ein zarter Rosaton.
Spieglein, Spieglein auf dem Tisch
Von hier geht es für uns zu den „Legendären Meisterwerken“, wo ein Toilette- und Teeservice aus Ludwigsburger Porzellan gezeigt wird. Herzog Carl Eugen von Württemberg (1728–1793) schenkte es der Ehefrau seines Hofpoeten Martinelli zum Geburtstag. Wir richten unser Augenmerk auf den Spiegel. Zum Ende des 17. Jahrhunderts liefen die Franzosen den berühmten Glasmachern von Venedig bei diesem Luxusprodukt den Rang ab: Es wurde ein Gussverfahren entwickelt, dass es ermöglichte, immer größere Glasplatten für Spiegel herzustellen – denke man nur einmal an den Spiegelsaal von Schloss Versailles! Im 18. Jahrhundert standen oder hingen Spiegel in jedem Raum, jedem Palais, jedem Schloss. Nicht nur weil sie Zeichen großen Reichtums waren (denn Spiegel waren und blieben teuer), sondern weil sie auch das schwummrige Kerzenlicht der Leuchter als einzige Lichtquellen vervielfältigten und so für eine besondere Lichtstimmung sorgten.
In Württemberg hatte Carl Eugens Vor-Vorgänger Eberhard Ludwig (1676–1733) im Jahr 1705 eine Manufaktur in Spiegelberg gründen lassen, die fast ein Jahrhundert lang dieses Must-Have der adligen Wohnkultur herstellte. Die treuesten Kunden des Unternehmens waren die Herzöge von Württemberg selbst – gut möglich also, dass die Spiegelplatte der Garnitur aus Spiegelberg stammt. Dieses Exemplar war zur Verwendung auf einem Toilette-Tisch gedacht, vor dem man sich frisieren ließ und Kosmetik benutzte.
Preisverdächtig, dieses Glas!
Wir machen einen großen Zeitsprung ins frühe 20. Jahrhundert: Württemberg ist inzwischen ein Königreich und treibt seine Wirtschaft mehr denn je voran. In den „Legendären Meisterwerken“ sehen wir ein Glasfenster, das als Teil des württembergischen Musiksalons auf der Weltausstellung in St. Louis 1904 die Goldmedaille gewann. Das 19. Jahrhundert war eine besonders kreative Epoche für die Glasherstellung: Die bunten Stein- und Andenkengläser des Biedermeier oder die schillernden Kreationen von Jugendstil-Künstlern wie Louis Comfort Tiffany (1848–1933), dessen Arbeiten auch das Fenster des Musiksalons beeinflusst haben, lassen Sammlerherzen heute noch höherschlagen.
Mit der Gründung eines Landesgewerbeamtes und der Einrichtung eines zugehörigen Museums mit eigenem Prachtbau in Stuttgart war die Gewerbeförderung in Württemberg inzwischen Staatssache. Dass Glas aus Württemberg – ein Werkstoff, der seit Jahrhunderten im Schwarzwald hergestellt wurde – als Teil eines Ensembles zum Triumph auf der Weltausstellung beigetragen hat, könnte man als Vorzeichen deuten. Denn neben Wilhelm von Eiff sollte mit Gustav Pazaurek (1865–1935), seit 1906 Direktor des Landesgewerbemuseums und ausgewiesener Glasexperte, in den Folgejahren ein wichtiger Impulsgeber in Stuttgart wirken, der sowohl die Gestaltung als auch die Erforschung des Glases weit über Württembergs Grenzen hinaus beeinflusste.
2022 wurde von den Vereinten Nationen zum Internationalen Jahr des Glases erklärt. Ein guter Grund also, um sich unsere Highlights im Alten Schloss noch einmal im Original anzusehen und in die faszinierende Welt des Glases abzutauchen. Wer weiß – vielleicht werdet ihr ja auch zum Glas-Fan!
Die Objekte sind faszinierend. Da sieht man wie eng Glas und Spiegel miteinander verwandt sind. Teilweise werden Spiegel auch von Glasern hergestellt. https://www.kauz.at/de/produkte/spiegel/