Kaiserin in bunt – die digitale Rekonstruktion der Agrippina Minor

Strahlend weiß – so erscheinen die marmornen Skulpturen der griechisch-römischen Antike heute in Museen. Dass sie in der Antike aber alles andere als weiß waren, ist eine eigentlich sehr lange bekannte Tatsache, die immer wieder aufflammte, aber auch immer wieder verdrängt wurde. Obgleich bereits früh darauf hingewiesen wurde: Seit dem 18. Jahrhundert kamen immer wieder Skulpturen bei Ausgrabungen zutage, die nicht zu verleugnende Farbreste aufwiesen.

In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde die Forschung auf dem Gebiet intensiviert – auch unter Einbeziehung neuer Untersuchungsmethoden, etwa zur Analyse von Pigmenten oder Verfahren, Farbreste, die mit bloßem Auge nicht mehr zu erkennen sind, sichtbar zu machen.

Rote Farbreste in der Mundspalte des Porträts Alexanders des Großen.

Farbreste auf Steinskulpturen sind infolge der Lagerung in der Erde meist zum größten Teil verblasst bzw. durch die Einwirkung von Licht und Sauerstoff nach der Bergung verschwunden. Darüber hinaus wurden in der Vergangenheit etwaige Spuren bewusst entfernt, weil die Farbigkeit nicht dem in den Köpfen verankerten Bild der Antike entsprach. Aber dennoch lassen sich Farbreste in manchen Fällen auch ohne aufwendige technische Hilfsmittel erkennen: In der Mundspalte eines Porträts von Alexander dem Großen sind beispielsweise Reste roter Pigmente gut zu erkennen.

 

 

Unsichtbares sichtbar machen

Porträt der Agrippina Minor.

Die Porträts der römischen Kaiser und ihrer Familie erschienen in der Antike ebenfalls nicht rein weiß. Für eine Online-Ausstellung bei Google Arts & Culture, bei der die Farbigkeit von marmornen Skulpturen, Reliefs und Terrakotten in unserem Bestand thematisiert wird, haben wir uns entschlossen, eine digitale Rekonstruktion unseres Porträts der Agrippina Minor anfertigen zu lassen.

Auf dem Porträt der Frau von Kaiser Claudius und Mutter von Nero sind leider weder mit bloßem Auge noch unter dem UV-Licht Farbreste nachzuweisen, weitergehende archäometrische Untersuchungen stehen noch aus. Damit besteht im Falle der Farbgebung des Hauttons, der Augenfarbe oder der Haarfarbe keine Sicherheit, allerdings kann man sich anhand anderer Porträts einer Rekonstruktion von Augen- oder Haarfarbe annähern. Auf einem Porträt der Kaiserin, das in Herculaneum (Italien) gefunden wurde, lässt sich z. B. rote Farbe im Haar mit bloßem Auge erkennen. Bei einem Porträt ihres Bruders Caligula in der Glyptothek in Kopenhagen fanden sich zudem bei archäometrischen Untersuchungen noch gelbe, schwarze und blaue Pigmente im Haar. Man geht bei ihm von einer rotbraunen Haarfarbe aus.

Vom Original zur digitalen Rekonstruktion

Die digitale experimentelle Farbrekonstruktion der Agrippina Minor wurde von Stephen Chappell durchgeführt. Zunächst musste die Oberfläche des an sich gut erhaltenen Porträts digital geglättet und die Lockenpracht an einigen Stellen ergänzt werden.

Original, geglättete Version, Rekonstruktion

Blaue Augen oder braune Augen? Rötliches Haar oder doch eher blond?

 

Schließlich wurden verschiedene Versionen erstellt, die sich in Haut-, Haar- und Augenfarbe unterscheiden. Sie alle geben einen hervorragenden Eindruck, wie das Porträt der Agrippina einst ausgesehen haben mag. Die Verwandlung des abstrakten, farblosen Porträts in eine bunte und lebendig wirkende Version lässt sich im unten eingebundenen Video-Clip nachvollziehen. Auch die kleinen Unterschiede der verschiedenen Versionen lassen sich darin beobachten.

 

 

 

Vielleicht erlauben zukünftig weitergehende Untersuchungen zur Bemalung unseres Porträts der Kaiserin detailliertere Aussagen zu seinem ursprünglichen Aussehen.

 

Die virtuelle Aufstellung im Raum

Bei dem Porträt der Kaiserin handelt es sich um einen Einsatzkopf, der einst in eine Statue eingelassen war. Stephen Chappell wollte es aber nicht bei einer reinen digitalen Farbrekonstruktion des Porträts belassen und beschloss, das einstige Aussehen der Originalskulptur nachzubilden: den Einsatzkopf fügte er in den Torso der so genannten Kleinen Herkulanerin aus der Skulpturensammlung in Dresden ein. Auch dieser wurde von ihm vollständig nach dem Stand der Forschung eingefärbt.

Da Porträtstatuen in der Antike entweder im öffentlichen oder aber im privaten Raum aufgestellt waren, setzte er die rekonstruierte Statue der Agrippina noch in eine eigens von ihm geschaffenen Umgebung.

Experimentelle Rekonstruktion der Porträtstatue in einem mit Fresken bemalten Raum in Szene gesetzt.

 

Sie vermittelt  dem modernen Betrachter einen Eindruck davon, wie die Statue im Zusammenspiel mit einem Aufstellungsort in der Antike gewirkt haben könnte: Durch die virtuelle Aufstellung in einem mit Fresken bemalten Raum, der nur von einer bronzenen Öllampe beleuchtet wird, kommt die Kaiserin beeindruckend lebendig zur Geltung.

Neugierig geworden? Dann ab zur Story bei Google Arts & Culture!
Und ab dem 18.9. könnt ihr die Büste auch wieder live – wenn auch nicht in Farbe – bewundern! Im Rahmen der Eröffnung unserer Dürnitz. Kulturlounge im Alten Schloss ist der Eintritt in die Schausammlungen am 18. und 19.9.2021 frei!

1 Kommentar zu “Kaiserin in bunt – die digitale Rekonstruktion der Agrippina Minor”

  1. Tomatensoße im Mundwinkel
    Bereits seit geraumer Zeit mutet es mir seltsam an, dass in der Antike lediglich weiße oder marmorne Statuen in und an Gebäuden zu sehen gewesen sein sollen.
    Wie wäre wohl die Innenausstattung eines Hauses? Käme das nicht einem Gang durch das Museum für Abgüsse Klassischer Bildwerke in München gleich? Wie nähmen sich ausschließlich einfarbige Darstellungen innerhalb von durchaus kolorierten Mosaiken und Wandmalerei aus?
    Mit neuer Forschung ist es nun nicht mehr wegzureden, wenn auch wegzudenken, da man leicht vergisst, was einem viele Jahre vorenthalten war, dass frühere Skulpturen nicht etwa lediglich schlicht einfarbig waren, sondern auch einmal bunt das Auge des Betrachters trafen.
    Und schon ändert sich alles. Im aktuellen Beispiel ist es Stephen Chappell gelungen der schönen, aber leider auch ins Leere blickenden Agrippina einen Ausdruck zu verschaffen. Sie wirkt nicht mehr blind und verloren, sondern hat ihren Blick ganz lebendig nach vorn gerichtet.
    Polychromie heißt das Zauberwort. Auch Alexander der Große muss dann nicht nur als bleicher Jüngling daher kommen, wobei die Farbspuren in den Mundwinkeln bisher eher an nicht abgeputzte Tomatensoße in selbigen gemahnen.
    Eine sehr schöne Idee, die die Mitarbeiter des Landesmuseum hier verwirklichten, die bestimmt zum Nachlesen und auch Nachschauen animiert.

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