Alles begann mit einer Zuarbeit für Depotverwalterin Edith Harmati, die mich in den ersten Tagen meines Praktikums am Landesmuseum Württemberg betreute: Ich sollte die Nummern auf diversen Glasgefäßen mit den historischen Inventaren abgleichen, um die Inventarnummern zu prüfen.
Eine solche Überprüfung ist notwendig, da die heutige Sammlung über einen langen Zeitraum gewachsen ist und sich aus Beständen verschiedener Institutionen zusammensetzt. Diese Einrichtungen hatten ihre Objekte bereits mit Inventarnummern versehen, die ihrer eigenen Bestandsverwaltung entsprachen.
Steht auf einem Objekt nun beispielswiese lediglich die Zahl 6480, so kann es sich um drei verschiedene Inventarnummern handeln, je nachdem, wann das Objekt in welche Sammlung eingegangen ist. Um diese blanken Zahlen aus verschiedenen Sammlungen in unser System zu überführen wurden Buchstaben eingeführt: So steht etwa WLM für den alten Bestand des Württembergischen Landesmuseums, KK für die Kunstkammer der Herzöge Württembergs, MK für das Münzkabinett… Die Buchstaben vor den Nummern weisen also auf den historischen Bestand hin, aus dem ein Objekt stammt.
Da dieses Hilfsmittel mit Buchstaben aber von Sammlungsverwaltern aus dem späten 20. Jahrhundert eingeführt wurde, finden sie sich nicht auf den Objekten selbst wieder, da diese viel früher mit Inventarnummern beschriftet wurden. Niemand ahnte Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts, dass die Sammlungen einmal zusammengeführt werden würden.
Ich durchsuchte also die alten Hauptbücher, Inventarblätter und Karteikarten der verschiedenen Bestände nach Anhaltspunkten, um den Glasgefäßen eine eindeutige Inventarnummer zuordnen zu können – und fühlte mich dabei wie eine Detektivin auf Spurensuche.
Kerzenleuchter mit Aufhängung?
In einem zweiten Schritt wurde es dann noch spannender: Die Informationen sollten unter den entsprechenden Inventarnummern in die digitale Datenbank eingespeist werden. Ich übertrug also Objektbezeichnungen, Maße, Ankaufsbedingungen und vieles mehr. Bei einem Objekt stieß ich in einem alten Dokument auf die Bezeichnung „Netzschüsselchen für den Spinnrocken “.
Ich stutzte, hatte ich doch zunächst gedacht, es würde sich bei diesem Objekt um eine Art Kerzenleuchter handeln, dessen besondere Konstruktion eine Aufhängung ermöglichte. Das Objekt ist aus Waldglas gefertigt und wurde 1888 für die Sammlung angekauft. In der Beschreibung auf dem Inventarblatt heißt es: „Um die Einsteckröhre in der Mitte ringförmiges Schüsselchen, an der Außenwand mit sechs kleinen Ohrenhenkeln mit Ringen und sechs senkrechten gekniffenen Bändern dazwischen.“ Daraus wurde ich auch nicht schlauer.
Extravagante Gugelhupf-Form?
Eine erste, flüchtige Internetrecherche zum „Netzschüsselchen“ brachte Abbildungen zutage, die mich an die Gugelhupf-Kuchenformen meiner Oma erinnerten. Welche Funktion das Objekt beim Spinnen erfüllt, konnte ich mir nicht vorstellen und so fragte ich Dr. Maaike van Rijn, Kuratorin für Kunsthandwerk und Design vom 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart, um Rat. Auch sie konnte mit der Bezeichnung nichts anfangen, zweifelte jedoch nicht ihre Richtigkeit an. Vielmehr vermutete sie, dass uns das Objekt und seine Funktion fremd geworden waren.
Vieles an Wissen über Objekte oder Praktiken, die in den vergangenen Jahrhunderten zum Alltag der Menschen gehörten, ist heute verloren. Grund dafür kann die fehlende Dokumentation oder eine zu späte Aufarbeitung dieser sein. Denn die Zeit arbeitet gegen uns: Objekte und schriftliche Quellen gehen verloren, werden zerstört, verfallen altersbedingt oder können nicht mehr verstanden werden. Als Studentin der Kunstgeschichte bekam ich da natürlich Herzrasen und vertiefte mich sofort in die Recherchen.
Hält die Objektbezeichnung doch, was sie verspricht?
Ich stieß schließlich auf das Landwirthschaftliche Wochenblatt für das Grossherzogthum Baden aus dem Jahr 1836. Hier ist ausführlich beschrieben, wie Flachs gesponnen wird. Im Unterkapitel zur Benetzung des Fadens kam das Netzschüsselchen ins Spiel. Es ist am Spinnrocken, auch Kunkelstock genannt, befestigt. Hierbei handelt es sich um das stabförmige Teil des Spinnrads, auf das die noch unversponnenen Fasern gewickelt werden.
Um einen haltbaren und glatten Faden herzustellen, müssen die Flachsfasern mit einer Flüssigkeit benetzt werden. Gewöhnlich verwendete die Spinnerin dafür ihren Speichel. Diese Praxis entzog dem Körper jedoch viel Feuchtigkeit, was auf die Gesundheit schlug. Stattdessen benutzten einige Spinnerinnen zu diesem Zweck ein mit Wasser gefülltes Netzschüsselchen. Reines Wasser machte den Faden weniger geschmeidig als der klebrige Speichel und so fand in manchen Regionen zur Benetzung Bier, Stärkewasser, Weizenkleie und anderes Verwendung.
Den Namen Netzschüsselchen trägt das Objekt demnach aufgrund seiner Funktion. Manchmal wird es seiner Befestigung am Kunkelstock nach auch als Kunkelschälchen bezeichnet.
Die Beschaffenheit aus Glas, einem sehr zerbrechlichen Material, warf weitere Fragen auf. Bislang konnte ich diese leider nicht beantworten. Schlichte Exemplare waren meist aus Holz oder Rohr gefertigt, prächtigere Varianten bestanden aus wertvolleren Materialien wie Elfenbein, Bernstein oder Silber.
In der Sammlung des Landesmuseums befindet sich allerdings auch ein Glasstab, der als Spinnrocken identifiziert wurde. Er wird auf die Zeit zwischen 100 v. bis 100 n. Chr. datiert.
Auch wenn das Geheimnis des Netzschüsselchens für den Spinnrocken noch nicht völlig gelüftet werden konnte, so ist zumindest ein Anfang getan. Ich bin erleichtert, dem Objekt seine ursprüngliche Funktion entlockt zu haben und meine Ergebnisse nun für die Nachwelt dokumentieren zu können.
Sehr interessanter Artikel, der Einblicke hinhter die Kulissen eines Museums gewährt und mögliche Tätigkeiten der dort Arbeitenden gibt.
In der Tat eine sehr ungewöhnliche Konstruktion.
Aber ich würde es als Laie auch eher nicht für einen Kerzenhalter halten, vorallem, wenn das Loch in der Mitte nicht geschlossen ist. Und einen Kerzenhalter aufhängen ? Könnte eng werden für die Fäden, die dann doch relativ nah an der Flamme oben zusammenlaufen zum Aufhänger. Das wäre höchstens bei sehr kurzen Kerzen sinnvoll.
Netzschüsselchen sind mir als Spinnerin durchaus schon bekannt gewesen, aber ein solches prächtiges Schaustück hab ich auch noch nicht gesehen. Die an unseren Museumsspinnrädern (meist 19. Jh) sind in der Regel aus Zinn.
Spinnrocken und netzschale aus Glas was ganz besonderes Sie sind aus dem ost Reich und waren Besitz von FRIGG in Zeiten nicht vergleichbar mit heutiger Zeit. DIESE Werkzeuge haben Magische Eigenschaften fuer den der wissen nicht nur sammelt sondern auch anwendet.