Bienvenue à Aubusson! Ein Praktikum zwischen Tapisserien und Einhörnern

Im Rahmen des Volontärs-Austauschprogramms des Deutsch-Französischen Jugendwerks (DFJW) hatte ich die Möglichkeit, die letzten zwei Monate in der Cité internationale de la tapisserie in Aubusson zu verbringen. Beworben hatte ich mich ursprünglich für ein Praktikum an Textil- und Modemuseen in Paris und Lyon. So war ich erstmals überrascht, als ich nach Aubusson berufen wurde.

 

Aubusson – Wo ist das und was gibt es dort?

Nachdem ich erfahren hatte, dass ich für ein Praktikum in der Cité internationale de la tapisserie in Aubusson angenommen wurde, musste ich erstmal googeln, wo das genau liegt. Mittendrin in Frankreich und doch ein bisschen am Ende der Welt – so könnte man die Lage der idyllischen Gemeinde wohl am besten beschreiben. Mit nur etwa 3.300 Einwohnern ist der Ort dennoch ein kulturelles und wirtschaftliches Zentrum der Umgebung.

Mein Lieblingsplatz in Aubusson: Der „Horologe“ mit einem Ausblick über den gesamten Ort

 

Die Cité internationale de la tapisserie

Die seit dem 15. Jahrhundert dort bestehende Tradition der Tapisserie-Weberei wurde 2009 als immaterielles UNESCO-Weltkulturerbe anerkannt. Infolgedessen kam es zur Gründung der Cité internationale de la tapisserie. Dabei wurde das ehemalige Musée départemental de la tapisserie umbenannt und erweitert. Zur Unterbringung des Museums, dessen Sammlungen und dem neuen Kulturzentrum wurde die ehemalige Kunstschule École Nationale d’Art Décoratif (ENAD) umgebaut. Für das Projekt konnte das Pariser Architekurbüro Terreneuve gewonnen werden. Am 10. Juli 2016 eröffnete der Präsident François Hollande offiziell die Cité.

Neben der Ausstellung und den Sammlungen des Museums, die etwa 550 Tapisserien und Teppiche, zwischen 14.000 und 16.000 Entwürfe und Grafiken, 5.000 Webmuster der ENAD und ca. 100 Möbel umfassen, beherbergt die Cité auch ein modernes Ausbildungszentrum sowie eine Fachbibliothek und ein Archiv. Um die jahrhundertealte Kunst der Tapisserie-Weberei zu fördern, wurde seit mehr als 20 Jahren wieder eine Ausbildungsmöglichkeit für junge Talente geschaffen.

Zur Förderung der heimischen Künstler*innen und Handwerker*innen, veranstaltet die Cité regelmäßig Wettbewerbe und vergibt Aufträge für Wandteppiche. Inspiriert von modernen Epen aus der Welt von Tolkien und japanischen Anime-Filmen entstehen derzeit neue Projekte. Unter dem Titel „Aubusson tisse Tolkien“ werden in Kooperation mit dem Tolkien Trust und der Bodleian Library in Oxford 18 Original-Zeichnungen von J.R.R. Tolkien (1892–1973) als Tapisserien und Teppiche umgesetzt. Daneben werden fünf Szenen aus Filmen des japanischen Anime-Regisseurs Hayao Miyazaki (geb. 1941) wie etwa „Prinzessin Mononoke“ als moderne Weberei-Kunstwerke realisiert.

Drei Weber*innen bei der Realisierung der Tapisserie „Prinzessin Mononoke“ © Cité internationale de la tapisserie

Hier stehe ich vor der fertigen Tapisserie, die erstmals im März 2022 öffentlich präsentiert wurde.

 

 

Ankunft in der Welt der Einhörner

Soweit also die Theorie… In der Praxis stellte sich fürs Erste heraus, dass der Ort relativ schwierig zu erreichen war. Während meine Kolleginnen gemütlich mit dem Zug nach Lyon, Paris oder Marseille fuhren, musste ich mit dem Auto über zwei Tage neun Stunden von Stuttgart nach Aubusson fahren. Zu meiner großen Überraschung ist etwa 90 km vor Ankunft mein Auto nicht mehr angesprungen und ich musste den Abschleppdienst kommen lassen – ein guter Einstieg für meine erst langsam wiederkommenden Französisch-Kenntnisse! Trotz diesem ersten Schock habe ich es doch rechtzeitig zu meinem ersten Arbeitstag geschafft. Ich wurde dort sehr freundlich begrüßt und bekam gleich eine Führung durch das Museum.

Der chronologische Teil der Dauerausstellung, die „Nef des tentures“. Nicolas Roger © Cité interanationale de la tapisserie

Die Dauerausstellung ist in drei Bereiche eingeteilt. Der erste Teil gibt einen sehr schönen Überblick über die Geschichte der Tapisserie-Herstellung in Aubusson. Chronologisch geordnet und mit eindrucksvollen Theaterkulissen gestaltet zeigt dieser Bereich Tapisserien von dem ersten hier nachgewiesen produzierten Stück aus dem späten 15. Jahrhundert mit dem Motiv eines Einhorns bis hin zu modernen Kunstwerken des 20. und 21. Jahrhunderts.

Im 2. Stock des Gebäudes gibt es einen zweiten Bereich, in dem der Herstellungsprozess der Wandteppiche erläutert wird und welche Gewerke dazugehören. Speziell für Aubusson ist, dass alle Handwerker*innen und kleinen Manufakturen wie die Kartonagenmaler*innen bzw. Entwerfer*innen, die Garnspinner*innen und -färber*innen bis hin zu den eigentlichen Weber*innen in der Gegend ansässig sind und eng zusammenarbeiten. Hier lernt mach auch, dass die Wandteppiche in Aubusson, die seit 1664 den Namen Manufacture Royale tragen durften, auf sogenannten „basselisse“-Webstühlen erzeugt werden. Im Gegensatz zu den Pariser Gobelin-Tapisserien, die auf horizontalen Webstühlen produziert werden, geht das in Aubusson in der Vertikalen. Dies ermöglicht eine schnellere und ökonomischere Produktion. Abgerundet wird die Dauerausstellung durch einen Vergleich der Tapisserie-Webereien in Aubusson mit Erzeugnissen aus der ganzen Welt wie etwa tunesischen „Kelim“-Teppichen oder Teppichen der Navajo aus den USA.

 

Ausstellungsvorbereitungen und Archivrecherchen

Ausstellungsplakat „Tisser la nature“ © Cité internationale de la tapisserie

Was habe ich hier also zwei Monate lang gemacht? Zu meinen Hauptaufgaben gehörte die Mitarbeit an den letzten Vorbereitungen zur Sonderausstellung „Tisser la nature“ (Die Natur Weben), die am 1. Juli eröffnet wurde. Im Mai und Juni galt es noch, die Farben für die Ausstellung zu wählen, die Ausstellungstexte zu schreiben, die letzten Objekte für die Präsentation auszuwählen und beim Aufbau zu assistieren. Inhaltlich beschäftigt sich die Präsentation mit der Rolle von Pflanzen in der Welt von Aubussons Tapisserien. Schließlich waren sogenannte „verdures“ (Grünpflanzen) nicht nur seit Jahrhunderten eines der Hauptmotive von Tapisserien, sondern wurden auch zum Färben der Garne benutzt und stellen nicht zuletzt die Frage nach der Beziehung zwischen Mensch und Umwelt.

Fertiger Ausstellungsaal zum Thema „der Garten“

Außerdem machte ich erste Recherchen zu einer Sonderausstellung für den Herbst 2023. In Kooperation mit dem MUCEM in Marseille bereitet die Cité eine Präsentation der Werke von René Perrot (1912–1979) vor. Als Kartonagenmaler für Tapisserien, Maler, Graveur und Keramiker wurde Perrot vor allem nach dem zweiten Weltkrieg für seine farbenprächtigen Tapisserien mit einer Vielzahl von Tieren bekannt. Bei einem Besuch bei seiner Tochter in Paris erzählte uns diese, dass ihr Vater Tiere genau beobachtete sowie als Jäger und Fischer diese auch skizzierte. Nicht zuletzt hatte er auch gute Freunde im Tierreich. In seinem Pariser Atelier lebte über zehn Jahre die kleine Eule „Grisette“. Im botanischen Garten traf er immer wieder seinen Freund „Jean-Baptiste“, ein Wildschwein.

Tapisserie „Automne Solognot“ (1971) von René Perrot © Cité internationale de la tapisserie

Schließlich beschäftigte ich mich auch mit Archivrecherchen zu verschiedenen heimischen Tapisserie-Manufakturen. Dazu gehört die Manufaktur Coupé, die 1905 in Bourganeuf gegründet wurde und Anfang des 20. Jahrhunderts internationale Bekanntschaft errang. In der ehemaligen Manufaktur soll eine Multimedienstation eingerichtet werden, die die Geschichte und Werke des Unternehmens zeigt. Dafür durchforstete ich das Depot und wählte einige Modelle aus. Besonders schön war ein Entwurf auf Karton, der durch Falten in ein 3D-Modell umgewandelt werden konnte. Er zeigt den Präsentationsstand der Manufaktur auf der Pariser Weltausstellung Exposition internationale des arts décoratifs 1925. Die Ausstellung stellte nicht nur den Höhepunkt des Unternehmens dar, sondern prägte den bis heute bekannten Stil des „Art Déco“.

 

 

Fazit – C’est chouette … la Creuse!

Nach den vielfältigen Eindrücken und dem Leben in der französischen Idylle des Bezirks Creuse zwischen Einhörnern und tausenden Kühen, die vor allem im benachbarten gleichnamigen Nationalpark „Millevaches“ beheimatet sind, kann ich nur sagen, es war fantastisch! Eines der wichtigsten französischen Wörter, die ich bei meinem Aufenthalt gelernt habe, ist „chouette“ – das Wort ist mir mit der Bedeutung „Eule“ bei meinen Recherchen zu René Perrot immer wieder begegnet und heißt übersetzt auch „toll/fabelhaft/prima“. So ist es nicht verwunderlich, dass sich die Doppeldeutigkeit dieses Begriffs auf verschiedenen Postkarten wiederfinden lässt.

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