Tatsächlich, trotz des Trends zum eigenen Häusle: Es gibt Schwäbinnen und Schwaben, die in Mehrfamilienhäusern und dort sogar zur Miete wohnen! Für diese gilt die Kehrwoche. Die Häuslebauer können in diesen Fragen alles locker angehen. Ihnen kann keiner krumm kommen mit: nicht sauber genug, das Kellerfenster vergessen oder den Mülleimer nicht ausgespült.
Die Schwaben und die Kehrwoche
Oder kann sich jemand die hier abgebildete Szene: „Der Kurator des Landesmuseums hängt das Kehrwochenschild an sein Gartentor“ ernsthaft als wahr vorstellen? Mir gab es seit Jahren zu denken, wenn ich Schwaben und Kehrwoche immer öfter in einem Satz hörte. Ich empfand es fast als bedrohlich, als sich die Kehrwoche mehr und mehr zur schwäbischen Marke zu entwickeln begann. Ich komme vom Land, da gibt es das nicht. Nicht den Begriff, nicht die Schilder.
Freilich fegte die Oma vor dem Sonntag den Hof. Aber ist das Putzwahn? Das erste Mal, dass ich die Kehrwoche leibhaftig erlebte, war, als ich vor 30 Jahren für einige Zeit in den Stuttgarter Westen zog. Heute, als Kulturwissenschaftler und Kurator der Schwaben-Ausstellung im Landesmuseum Württemberg ist mir klar, dass nachforschendes Licht ins Dunkel des Treppenhauses gebracht werden muss, bevor sich dieses Klischee noch weiter verhärtet.
Verstärkend kamen im Frühjahr noch die Fernsehleute hinzu: 3-sat wollte, dass ich vor der Kamera erläutere, warum das mit dem Putzen im Schwabenland klappt und anderswo nicht! Schwierig, denn ich glaube das ist gar nicht so! Aber wie beweisen?
Die Kehrwoche – über 500 Jahre alt?
Schon 1495 oder 1492 habe Eberhard im Barte entsprechende Verordnungen erlassen. Ganze Bücher, Zeitungsartikel, Reiseführer und Stadtführerinnen sagen das. Ab ins Staatsarchiv, die Urkunden eingesehen: Nichts steht drin vom Putzen. 1495 in der Landordnung nicht und 1492 in der Stadtverordnung Stuttgarts nicht. Es gibt Erlasse von 1679, 1714 und 1734 – die schreiben das Beseitigen von Dung und Unrat auf den Gassen vor.
1746 endlich wird den Stuttgartern mehrmaliges „Kehren“ der Straße pro Woche verordnet. Jetzt taucht der Begriff kehren tatsächlich auf. Von Treppenhäusern und Schildern ist aber nicht die Rede, sondern nach wie vor von Pferde-Äpfeln, in die die barocke Welt der Höfischen in Stuttgart und Ludwigsburg nicht treten wollte.
Das Treppenhausputzen dürfte ja eher etwas mit Mietskasernen zu tun haben. Und gibt es diese nicht verstärkt erst mit der Industrialisierung? Die ältesten Mietshaus-Hausordnungen, die bislang ausfindig gemacht werden konnten, sind von 1892. Es geht um Beamtenwohnungen und da ist tatsächlich vom regelmäßigen Reinigen Mietspartie für Mietspartie reihum die Rede. Nicht aber von der „Kehrwoche“. Auch in Fischers Schwäbischem Wörterbuch, das von 1904 bis 1924 bandweise veröffentlicht wurde (Bd. 4 I,K,L,M,N im Jahr 1914), steht der Begriff nicht drin!
Das älteste Kehrwochenschild unserer Sammlung im Museum der Alltagskultur – Schloss Waldenbuch datieren wir auf frühestens Ende des 19. Jahrhunderts bis spätestens 1910. Dies ist deshalb möglich, weil in diesem Zeitraum die Druckerei Mann in Cannstatt existierte, die eigentlich Landkarten druckte, aber dieses witzige Schild wohl nebenbei als kleine Geschäftsidee ansah. Vielleicht haben wir hiermit die erste Erwähnung des Begriffes „Kehrwoche“ gefunden?
Die Kehrwoche – wirklich „typisch schwäbisch“?
Und jetzt noch die Frage: Seit wann hält man das eigentlich für eine typisch schwäbische Marotte? Typisch schwäbische Merkmale werden von Schwaben-Kennern schon seit dem 19. Jahrhundert gesammelt. Bis hin zu dem Tübinger Theodor Häring zum Beispiel, 1946, geht es um solche Gebräuche wie die Kehrwoche noch nicht. Thaddäus Troll dagegen erwähnt die Kehrwoche ein einziges Mal in seiner Erstausgabe von 1967. Aber nicht als Kennzeichen des Schwäbischen. Sondern weil er am Indiz des peinlichen Einhaltens solcher selbst gesetzter Regelungen, die für ihn markant schwäbische Losung „schaffen, putzen, sparen“ (S. 83) bestens belegt sah.
„S’isch Kährwoch“
Die erste Erwähnung der Kehrwoche als „typisch schwäbisch“ fand ich im Merian-Heft „Stuttgart“ von 1983, als der Journalist der Stuttgarter Nachrichten Hermann Freudenberger, damals besser bekannt als Kolumnist „Knitz“, den Artikel „S’isch Kährwoch“ platzieren konnte. Er analysierte dieses Treiben, verstand, dass Auswärtige sich darüber wunderten oder gar lustig machten und er hatte damals schon die zündende Idee, den Eberhard im Barte zum Urvater dieses Treibens zu küren. Wie er darauf kam? Ich bin auf Beiträge der Blog-Leserinnen und -Leser sehr gespannt!
Besonders wachsame Nachbarinnen und Nachbarn sollen angeblich soweit gehen, zur Kontrolle einzelne Bindfäden im Treppenhaus auszulegen um zu überprüfen, ob auch wirklich ordentlich gefegt wird. Einmal fand ich während meiner Kehrwoche damals in Stuttgart (2011) dann eine Büroklammer im Flur… #Kehrwochen-Paranoia… ? herzliche Grüße aus Braunschweig, wo die Kehrwoche nur auf „meiner“ Etage gut zu funktionieren scheint! ?
Gibt es tatsächlich in Braunschweig auch die Kehrwoche- so richtig mit Schild umhängen und gegenseitiger Kontrolle? Am Donnerstag erzählte mir eine Besucherin von Kehrwochen-Kontrollfreak-Erlebnissen in Hannover!
Nein, es handelt sich in meinem Fall um eine sehr reduzierte Form, im Mietvertrag als nicht genauer definierte „Hauswoche“ bezeichnet. Es gibt kein Schild und jede Partei muss auch nur einen Treppenabschnitt im Treppenhaus reinigen (und nicht etwa zusätzlich den Keller sowie den Gehsteig vor dem Haus, wie auf dem historischen Kehrwochenschild oben im Blog beschrieben). Mit dieser kleinen Hauswoche kann ich mich gut arrangieren, während ich die Kehrwoche in Stuttgart im Winter als belastend empfand. Das einzig nette war, dass man beim Schneeschippen um sechs Uhr morgens von den PassantInnen gegrüßt wurde, was ansonsten mitten in der Stadt eher ungewöhnlich ist.
Das Kehrwochenschild gehört für mich definitiv zu den Schurken und nicht zu den Helden des Alltags. 😉
Superklasse: Schurken des Alltags! Das eröffnet uns ganz neue Perspektiven für Sammelansätzei im Museum!
Aber im Spaß gesagt: Es ist eigentlich klar, dass das ohne Kehrwochenschild gar nicht richtig klappen kann!
Eine Freundin erzählte neulich, dass jetzt eine Firma die Treppenhausreinigung ausführt. Vorher gab es nicht selten Streit über das dreckige Treppenhaus. Es wurde dann untereinander vorgeworfen nicht richtig zu putzen. Jeder Mensch hat da auch etwas andere Ansichten.
Das ist sicher die komfortabelste Lösung mit dem Reinigungsdienst. Hab auch schon erlebt, dass eine Wohnung im EG günstiger war und die Bewohner/innen von dort Reinigungsdienste dafür machen mussten. Die anderen zahlten dafür eine Umlage. Doch, wer sparen will, dem ist die günstigste Lösung die gerechte Umverteilung auf alle Bewohner.
Freunde haben mir gerade Fotos von Straßen in Neu-Dehli geschickt.
Da fehlt halt der Schwabe.