Wie ein württembergischer Herzog auf eine Ulmer Kupfermünze kam

Unsere Miniaturensammlung

Nur wenige Quadratzentimeter eröffnen Welten: Das Landesmuseum Württemberg bewahrt eine Sammlung von immerhin etwa 1.000 kleinformatigen Gemälden und Bildnisminiaturen. Sie stammen aus dem 16. bis 19. Jahrhundert und den unterschiedlichsten Zusammenhängen. Teils kommen sie aus der Kunstkammer der Herzöge von Württemberg, teils wurden sie für die kunstgewerbliche Vorbildsammlung des Landesgewerbemuseums erworben, teils für die „Königliche Staatssammlung vaterländischer Kunst- und Altertumsdenkmäler“, der eigentlichen Vorgängerin des LMW. Die Miniaturen decken damit ein breites inhaltliches Spektrum ab, neben originellen Bilderfindungen gibt es Porträts des deutschen und europäischen Hochadels, von Geistlichen sowie von bekannten oder unbekannten bürgerlichen Personen.

Vielfältig sind auch die Materialien. Die Technik der Miniatur stammt aus der Buchmalerei – das Wort leitet sich nicht von klein, sondern vom roten Farbstoff Bleimennige (minium) ab. Man benutzte wasserlösliche, mit Gummiarabikum gebundene Farben auf feinem Pergament, das ab etwa 1700 von Elfenbeinplättchen abgelöst wurde. Kleinformatige Porträts entstanden aber auch auf Papier, in der Emailtechnik, in Ölfarben auf Holz oder auf verschiedensten Metallen, man bemalte Stein, Porzellan oder Glas.

Das kleinste Bildnis

Ein ganz besonderer Bildträger kam uns – im wahrsten Sinne des Wortes – während der Inventur der Bestände im letzten Jahr in die Finger: Eine abgegriffene Kupfermünze (Abb. 1). Mit einem Durchmesser von nur 16 Millimetern ist sie nur daumennagelgroß. Man sieht die Spuren ihrer Benutzung, prominent die aufgemalte Inventarnummer sowie einen roten Punkt, der bei einer Revision nach dem Zweiten Weltkrieg angebracht worden ist. Dennoch ist das Relief noch gut zu identifizieren: In der Mitte findet sich der geteilte Wappenschild der Reichsstadt Ulm, darüber die Wertzahl 4 für vier Pfennige, die einen Kreuzer ergaben. Den Rand schmückt Blattwerk. Derartige Kupferkreuzer wurden in den frühen 1620er Jahren geprägt – Vergleiche gibt es in unserem Münzkabinett (Abb. 2). Sie sind Produkte der „Kipper- und Wipperzeit“ zu Beginn des Dreißigjährigen Krieges, als in großer Stückzahl minderwertige Münzen hergestellt wurden.

Runde Münze mit handschriftlicher Inventarnummer und rotem Punkt darauf. Prägung: Wappen der Stadt Ulm in der Mitte, Inschrift „4“ darüber. Am Rand Pflanzenornamente.

Abb. 1: Einseitiger Kreuzer der Reichsstadt Ulm, um 1621 (Rückseite des Kupferkreuzers, Abb. 3)

Runde Münze. Prägung: Wappen der Stadt Ulm in der Mitte, Inschrift „4“ darüber. Am Rand Pflanzenornamente.

Abb. 2: Einseitiger Kreuzer der Reichsstadt Ulm, um 1621

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Münze, auf der ein Brustbild eines Mannes abgebildet ist. Er trägt halblanges Haar, Schnurbart und Kinnbart sowie einen weißen Spitzenkragen.

Abb. 3: Kupferkreuzer mit dem Bildnis des Herzogs Johann Friedrich von Württemberg, 1628

Diese zeitliche Einordnung wie auch die Tatsache, dass die Münze schon durch viele Hände gegangen sein muss, bevor sie wiederverwendet wurde, passen zur Malerei auf der ungeprägten Rückseite (Abb. 3). Zu lesen sind die Jahreszahl 1628 und die Buchstaben „I. F: D. W.“, die für „Ioannes Fridericus Dux Wirtembergensis“ stehen: Herzog Johann Friedrich regierte Württemberg ab 1608 bis zu seinem Tod 1628. Die Datierung entspricht folglich dem Jahr seines Ablebens. Die Erinnerung an den Herzog könnte der Grund für das Porträt gewesen sein. Dennoch dürfte der Kreuzer kaum für offizielle Zwecke am Stuttgarter Hof bemalt worden sein. Dagegen spricht nicht nur der geringe Wert der Münze, sondern vor allem, dass Johann Friedrich gegen Ende seines Lebens deutlich gealtert war. Ein repräsentatives Gemälde zeigt ihn mit Kommandostab und – deutlich gelichtetem Haupthaar (Abb. 4).

 

Das Porträt auf der Münze ist vielmehr von einem Augsburger Kupferstich von 1614 abgeleitet. Eine außergewöhnliche Kopie dieses Drucks wurde in Spiegelglas geschnitten, ist bereits 1670 in der herzoglichen Kunstkammer nachgewiesen und heute im Glasgewölbe des Alten Schlosses ausgestellt (Abb. 5). Mit seinem Vorbild stimmt das auf den Kreuzer gemalte Porträt hinsichtlich der herzoglichen Frisur gut überein, während die wülstig-ovale Gesichtsform für den kleinen, runden Bildträger angepasst – oder schlicht vereinfachend geschönt – worden ist.

Spiegelglasbild im Holzrahmen, mit Rissen und Alterungsspuren: Porträt eines Mannes mit Pluderhose, eine Hand in die Hüfte, andere am Degenknauf. Links von ihm befindet sich ein Vorhang, darunter ein Hut auf einem Tisch. Oben rechts das Herzogswappen.

Abb. 5: Bildnis des Herzogs Johann Friedrich von Württemberg in Spiegelglas, 1614–22

Gerahmtes Gemälde: Porträt eines mittelalten Mannes mit flachem Kragen. Über ihm ein roter drapierter Stoff, vorn links ein Ritterhelm. Über dem Helm befindet sich eine Inschrift, die Namen und Titel des Dargestellten sowie das Jahr nennt.

Abb. 4: Bildnis des Herzogs Johann Friedrich von Württemberg, 1628

 

Ein Geschenk

Das Landesmuseum erwarb dieses Miniaturbildnis vor über einem Jahrhundert, im Jahr 1919. Im Inventarbuch findet sich der Hinweis, dass es sich damals in einem „gedrehten Holzbüchschen“ befunden haben muss, in einer gedrechselten Dose also. In dieser lag offensichtlich ein Zettel mit der Notiz, „ich Johann Wilhelm Jenisch“ habe dies „meinem lieben Herrn Vetter Jakob Jenisch zum freundlichen Angedenken“ geschenkt. „Geschehen“ sei dies „in Ulm im Jahr 1628“ – was sowohl die Benutzung der Ulmer Kupfermünze erklärt als auch die Datierung bestätigt.

Jakob Jenisch (1574–1648), der Beschenkte, war Stadtadvokat von Memmingen. In dieser Funktion war er häufig bei Versammlungen des Schwäbischen Reichskreises in Ulm. Der Schwäbische Reichskreis war ein Zusammenschluss von Fürsten und Städten auf dem Gebiet, das im Westen bis an den Rhein, im Osten bis zum Lech, im Süden bis zum Bodensee und im Norden zur Linie Karlsruhe-Schwäbisch Hall reichte. Der Kreis wurde vom Konstanzer Bischof sowie vom württembergischen Herzog geleitet – bis 1628 also von Johann Friedrich.

Bei Johann Wilhelm Jenisch könnte es sich um einen Sohn von Paul Jenisch (1558–1647) handeln (Abb. 6). Dieser stammte aus einer Augsburgischen Händlerfamilie mit niederländischem Migrationshintergrund, war Theologe und in Stuttgart als Hofmusiker tätig. Er ist vor allem durch sein künstlerisch gestaltetes Stammbuch bekannt, das sich heute in der Württembergischen Landesbibliothek befindet. In diesem Freundschaftsbuch ist auch der Eintrag eines Augsburger Bürgers „Johann Wilhelm Jenisch“ aus Lauingen zu finden, wo Paul Jenisch von 1595–1609 mit einer immer größer werdenden Familie wohnte. Die Verbindung zwischen Paul Jenisch und dem Memminger Juristen Jakob Jenisch muss eng gewesen sein. Sein „Vetter“ unterstützte ihn bei der Herausgabe des letzten Teils seines theologischen Lebenswerks, des Seelenschatzes.
Genaueres bleibt zu recherchieren. Warum überreichte der junge Johann Wilhelm Jenisch seinem älteren Verwandten diese Aufmerksamkeit gerade 1628? Denn abgesehen von der Erinnerung an den Herzog, mussten sich die Stuttgarter Jenischs nach dem Herrscherwechsel nach neuen Einkünften umsehen, wofür familiäre Kontakte dienlich sein konnten? Und wer mag den Kreuzer bemalt haben?

Spannend ist schließlich auch der Vergleich mit dem Bildnis des Paul Jenisch, das sich ebenfalls in unserer Sammlung befindet (Abb. 6). Das Porträt des dann immerhin 87 Jahre alten Vaters verarbeitet nicht nur eine frühere, von Friedrich Brentel geschaffene Radierung als Vorlage – wie der Kreuzer ist auch die Kupfertafel, auf die es gemalt wurde (Abb. 7), ein Recycling-Produkt!

Gemälde: Wie ein Steinrelief gemalte, ovale Rahmung. Darin Büste eines alten Mannes mit gestutztem Seitenbart, langem Kinnbart und Halskrause. Die Inschrift im Rahmen nennt den Dargestellten Paul Jenisch. Unter dem Porträt das Motto und die Datierung „Christus ist mein Leben. Sterben ist mein gewin. 1645“.

Abb. 6: Bildnis des Paul Jenisch, 1645

Kupferplatte mit eingeritzten Linien und Schraffuren: Trabendes Pferd und Reiter nach rechts. Reiter mit Pluderhose, Wams, aufstehendem Kragen sowie breitkrempigem Hut.

Abb. 7: Platte für den Kupferstich eines Reiters (Rückseite des Bildnisses des Paul Jenisch, Abb. 6)

Württemberg, Ulm, Memmingen – und jetzt Stuttgart

Eine reiche südwestdeutsche Geschichte, die dieses Miniaturbildnis hat. Der Memminger Gesandte bekam von einem Verwandten in Ulm ein Bildnis des württembergischen Herzogs geschenkt, das auf die Rückseite einer Ulmer Münze gemalt wurde – und das nun seit einem Jahrhundert in Stuttgart aufbewahrt wird.

Für die Hinweise zu Jakob Jenisch danken wir Marie-Kristin Hauke vom Stadtarchiv Ulm ganz herzlich.

 

Abbildungsnachweis und Nutzungsbedingungen

Abb. 1: Landesmuseum Württemberg, Bildarchiv (CC0)
Abb. 2: Landesmuseum Württemberg, Münzkabinett (CC0)
Abb. 3: Kupferkreuzer mit dem Bildnis des Herzogs Johann Friedrich von Württemberg, 1628, Durchmesser 1,6 cm, Landesmuseum Württemberg, Bildarchiv (CC0)
Abb. 4: Stuttgarter Hofmaler, Bildnis des Herzogs Johann Friedrich von Württemberg, 1628, Ölmalerei auf Leinwand, 119 x 89 cm, Landesmuseum Württemberg, P. Frankenstein / H. Zwietasch (CC BY-SA 4.0)
Abb. 5: Caspar Lehmann nach Lucas Kilian, Bildnis des Herzogs Johann Friedrich von Württemberg, 1614–1622, Farbloses Glas mit Tiefschnitt und Diamantriss, Landesmuseum Württemberg, P. Frankenstein / H. Zwietasch (CC BY-SA 4.0)
Abb. 6: Unbekannt, Bildnis des Paul Jenisch, 1645, Ölmalerei auf Kupfer, 15,5 x 12,1 cm, Landesmuseum Württemberg, Bildarchiv (CC0)
Abb. 7: Reiterbildnis, um 1610–1625?, Gravierung auf Kupferplatte (Rückseite des Bildnisses des Paul Jenisch), Landesmuseum Württemberg, Bildarchiv (CC0)

 

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