Von Kruzifixen und Brillengestellen. Die Inventare des Landesgewerbemuseums

150 Jahre ist es her, dass im Königreich Württemberg ein sogenanntes Musterlager eingerichtet wurde, welches später in Landesgewerbemuseum umbenannt wurde. Die Einrichtung sollte Gewerbe und Handel in Württemberg unterstützen, war das Land um 1850 doch hauptsächlich landwirtschaftlich geprägt. Eine Sammlung ausländischer Industrieprodukte konnte den Gewerbebetrieben des Königreichs aufzeigen, was sie herstellen könnten. Ziel war es, die vielen kleinen Handwerksbetriebe auf diese Weise wettbewerbsfähig zu machen. In Form von Ausstellungen wurde ihnen die Möglichkeit gegeben, Waren aus dem Ausland zu begutachten, sich Anregungen zu holen und selbst nachzubauen. Ein wenig klingt diese Idee nach staatlich finanzierter Industriespionage und tatsächlich kann man es auch so bezeichnen.

Staatlich finanzierte Industriespionage: Das Musterlager

Sammelort und Auftraggeber für die Anschaffung ausländischer Waren war das Musterlager. Hier wurde in großen Büchern inventarisiert, was Württemberger auf ihren Reisen ankauften. Diese Inventarlisten ruhen schon lange Zeit (fast) unbemerkt in den Schränken des Landesmuseums Württemberg. In der Kanzleischrift des 19. Jahrhunderts – der sogenannten Kurrentschrift – abgefasst, sind diese Bücher heute für viele kaum noch lesbar. Daher sollen sie nun in lateinischer Schrift digitalisiert werden, damit leichter nachzuvollziehen ist, was im Auftrag des Musterlagers angeschafft wurde.

©Peter Schnorr/ Skjøld Neckelmann: Das Königlich Württembergische Landes-Gewerbemuseum in Stuttgart, Berlin 1898, Titelbild.

Knöpfe, Rosenkränze und Möbel: Eine interessante Mischung

Der erste Ankäufer ausländischer Waren, noch im Auftrag der Gesellschaft zur Beförderung des Gewerbes, war der württembergische Landtagsabgeordnete und Nationalökonom Moritz Mohl. Er reiste in den frühen 1840er Jahren durch Frankreich und kaufte auf Staatskosten 918 Gewerbeprodukte. Jedes dieser Objekte wurde in den Inventarbüchern einzeln mit einer Ordnungsnummer aufgeführt, mit einer genauen Beschreibung versehen sowie Anschaffungspreis und Herstellungskosten vermerkt. Die Auswahl an gekauften Gegenständen überrascht. Da werden unzählige Arten von Knöpfen aufgelistet, Kunstgegenstände wie Rosenkränze aus Kokosnussholz oder ein Kruzifix aus Elfenbein, aber auch Brillengestelle und sogar Möbelstücke. Was Moritz Mohl und später viele andere im Auftrag des Musterlagers bzw. später dann des Landesgewerbemuseums einkauften, waren also vor allem kleine Gegenstände, die von den württembergischen Handwerkern auch hergestellt werden konnten. Dementsprechend gering waren auch die Anschaffungspreise, die zumeist unter einem Gulden lagen.

Zahnbürsten und Körbe  – Kurioses und Alltägliches

© Moriz Mohl: Aus den gewerbswirtschaftlichen Ergebnissen einer Reise in Frankreich, Stuttgart/ Tübingen 1845, S. 197.

Die Inventare des Landesgewerbemuseums sind eine wahre Fundgrube an Kuriositäten. Ob wir wohl heute noch „Zahnstocher und Ohrlöffel aus einem Stück gefertigt“ benutzen würden? Ähnliche Überlegungen kommen einem in den Sinn bei Zahnbürsten, die wahlweise aus Ziegen- oder Büffelhaar sowie aus Schweineborsten hergestellt wurden.

Es finden sich jedoch auch viele Alltagsgegenstände: Verschiedenste Körbe aus Japan oder Frankreich, ein französischer Sommerhut für Landfuhrleute, Vorhangstangen und –ringe oder ein Federhalter aus Elfenbein. Als nicht ganz alltäglich können ein Domino-Spiel in Birnenform oder Spielmarken aus Elfenbein bezeichnet werden. Wohl eher für vermögende Kreise gedacht sind Sonnenschirme oder Fächer in den verschiedensten Farben. Es finden sich auch Kämme in unzähligen Varianten, Materialien und Formen. Am spektakulärsten sind wohl die doppelten Kämme in Form eines Fisches.

 

Was soll das bedeuten? Oder die Frage nach der Schönschrift

Die ersten Informationen zu den einzelnen Objekten wurden zumeist in gestochener Handschrift eingetragen. Doch wenn zu späteren Zeiten vermerkt wurde, was mit den Gegenständen geschah, ist von Schönschrift oft nichts zu sehen. Zudem wurde stark gekürzt, so dass der Vermerk „Verkft. im Septbr. 1873 lt. Verkftsprotokoll“ schon eine Weile betrachtet werden kann, ehe sich einem der komplette Sinn erschließt. Da viele Gegenstände der Anfangszeit nicht mehr vorhanden sind, wurde außerdem viel gestrichen – was die Lesbarkeit nicht unbedingt erhöht.

Auszug aus den Inventaren des Landesgewerbemuseums, Bd. I, S. 10. Von links: Laufende Nummer, Einkäufer, Beschreibung, Kosten. Die gesamte rechte Seite umfasst Vermerke zum Verbleib der Objekte.

Wofür soll die ganze Arbeit gut sein?

Tatsächlich wurden die Objekte der ersten Jahre bereits früh weiterverkauft oder sind auf andere Weise abhanden gekommen. Erst ab den 1880er Jahren scheint sich das Landesgewerbemuseum auch als Sammelort verstanden zu haben und fing an, Objekte bewusst aufzuheben. Da stellt sich natürlich die Frage, warum man sich die Arbeit macht und die Inventare der Anfangsjahre in digitale Form überträgt?

Zuerst einmal ist es wichtig und auch interessant zu wissen, was überhaupt eingekauft wurde. Was sahen die Zeitgenossen als passend an für die Verbesserung des heimischen Gewerbes? Was wurde später aufgehoben? Für eine Ausstellung über das Landesgewerbemuseum sind solche Informationen von Interesse. Daneben bieten die Daten für Wirtschaftshistoriker einen unermesslichen Fundus.

Arbeit gibt es noch genug. Gut 20 dicke Wälzer stehen bereit, transkribiert zu werden. Hoffnung auf eine schnellere Bearbeitung macht eine Übersetzungssoftware für alte Handschriften. Trotzdem bleibt vieles Handarbeit. Weitere interessante Ergebnisse werden in den folgenden Inventaren sicherlich noch auftauchen. Wir können also gespannt sein.

 

2 Kommentare zu “Von Kruzifixen und Brillengestellen. Die Inventare des Landesgewerbemuseums”

  1. Laut Gewerbeblatt vom 20.VI.1869 stellte Steinbeis im Musterlager von 28.VI. bis 5.VII. das neue Pariser Kurbelveloziped aus. Technikhistorisch interessant wäre, ob dies von der Compagnie Parisienne des Vélocipèdes oder von der Stuttgarter Velocipeden-Fabrik von Müller & Binder (seit 1868 nachgewiesen) erworben oder entliehen wurde. Letztere war der erste deutsche Hersteller und begründete somit den Mobiitätsstandort Stuttgart bereits 1868.

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