Im Dezember 2021 wird ein weiterer historischer Bestand der Landesstelle für Volkskunde, das Württembergische Flurnamenarchiv, online gehen. Dazu wurden über 1000 Digitalisate von Fragebogen und Markungskarten angefertigt. Sie stammen vor allem aus den Jahren 1926 bis um 1950. Zusammen mit den Konferenz- und Sprachaufsätzen sowie dem Liedarchiv sind damit die ältesten Archivalien der Landesstelle für Volkskunde im Netz verfügbar. Hier im Blog nutzen wir diese Gelegenheit für einen Einblick in die heute überwiegend von Heimat- und Geschichtsforscher*innen betriebene Praxis des Flurnamensammelns.
Flurnamen? Was sind das?
„Hellenbart“, „Schelmenreute“ oder „Bohnenäckerle“ sind Bezeichnungen für einzelne Geländepartien in unserer Landschaft. Der eindeutigen Ansprache von Äckern, Wiesen, Waldstücken und anderen kleineren Landschaftsteilen in den Fluren, also dem offenen Gelände rund um unsere Ortschaften, dien(t)en solche Flurnamen. Diese lokalen Gebrauchsnamen wurden einst mündlich tradiert und haben sich im Laufe der Zeit vielfach verändert. Naturräumliche Besonderheiten, das Vorkommen von bestimmten Tierarten oder auch historische Besonderheiten waren wichtige Inspirationsquelle für die meist mundartlich überformten Flurnamen. Das Wissen um die ursprüngliche Bedeutung vieler Flurnamen ging dabei häufig verloren und es entstanden volkstümliche Erklärungsmythen und Narrative. Der bürokratische Prozess der Landesvermessung – im Königreich Württemberg ab 1818 durchgeführt – nahm großen Einfluss auf Gebrauch und Überlieferung der Flurnamen.
Die Landesstelle für Volkskunde machte sich seit ihren Anfängen die Dokumentation von Flurnamen in Württemberg und Hohenzollern zur wissenschaftlichen Aufgabe. Ab 1926 wurden die Volksschullehrer aufgerufen, die Flurnamen ihrer Markung in Fragebogen mit Angaben zu Lage, Nutzung, Gestalt, historischen Quellen, volkstümlicher und sprachwissenschaftlicher Deutung zu erfassen. Es beteiligten sich aber auch Pfarrer, Landvermesser, Schultheißen und andere. Ab etwa 1950 erstellten vor allem Lehramtsanwärter*innen (nun auch viele Frauen) wertvolle Flurnamensammlungen als Zulassungsarbeiten, bis in den 1980er Jahren der Zugang ins Archiv verebbte.
Aufgezeichnet wurden ortsspezifische Schreib- und Ausspracheweisen der Flurnamen sowie umfassende Informationen etwa zur Bewirtschaftung des Gebietes, zu Bodenfunden, Denkmälern und vorhandenen historischen Quellen. Und es wurde unterschieden zwischen einer „volkstümlichen“ und wissenschaftlichen Deutung des Namens. Eine vollständige Erhebung des gewünschten Materials war oft nicht möglich und auch die Übertragung der handschriftlichen Erhebungen gestaltete sich oft schwierig.
Entdeckungen am Rande: Die Arbeit macht sich nicht von allein
Im Zuge des Digitalisierungsprojekts offenbarte sich ein lebendiges Bild über die Mühsal des einst so ehrgeizigen Vorhabens. Besonders fleißig war Hauptlehrer a. D. Lober aus Kornwestheim, der dem Flurnamenarchiv 410 säuberlich ausgefüllte Fragebogenseiten übergab. Anderenorts kam bisweilen nur eine knappe Flurnamenliste zustande. Kein Wunder, konnten sich die Arbeiten doch über viele Jahre hinziehen. Den zu betreibenden Aufwand macht die Sammlung Suppingen deutlich, welche nur als Konzept vorliegt – zu einer Reinschrift kam es hier nie.
Wenn gedruckte Fragebogen nicht verfügbar waren, hat man diese selbst gebastelt, zur Not aus einem Viehseuchenumlage-Formular. Auch die beigefügten Markungskarten sind von recht unterschiedlicher Gestalt. Glänzen manche mit bewundernswertem Detailreichtum, sind andere nur unbeholfen dahingekritzelt. Oberlehrer Stütz aus Schwäbisch Gmünd entschuldigt dies auf der Rückseite seiner eigentlich recht ordentlichen Markungskarte so: „Auf Genauigkeit kann die Karte nicht Anspruch machen (Ich sehe schlecht). Die Wege wurden nicht alle eingezeichnet; auch sonst wurden manche Einzelheiten weggelassen.“
Forschungsaspekte der Gegenwart
Heute sind es vor allem die Kontextinformationen und die zeitgenössischen Deutungen, die das Material für die kulturwissenschaftliche Forschung interessant machen. Sie geben nicht nur Einblicke in die Praxis des Sammelns und Dokumentierens, sondern auch in ortsabhängige Bilder und Vorstellungen von einer Landschaft, ihrer Bewirtschaftung und Besiedelung.
Über die Funktion der Flurnamen vor allem hinsichtlich ihres Deutungskontextes wissen wir heute nur wenig. Die Namen scheinen vor allem auf einen pragmatischen Gebrauch hin ausgewählt und beziehen sich etwa auf Personen – wie z.B. „Petersäcker“, dessen Deutung: „der Acker von Peter“, allzu offensichtlich erscheint – naturräumliche Besonderheiten wie Eylengeschrei und Kolbengrund, d. h. das Vorkommen von Eulen und (Rohr-)Kolben in Sumpfwiesen – oder Begebenheiten der Ortsgeschichte wie „Franzosenäcker“ oder „Pestäcker“.
Flurnamen sind Teil des kulturellen Gedächtnisses einer Landschaft. Ihre Sammlung und Dokumentation vermittelt sowohl Einblicke in die Vergangenheit und gibt auch Auskunft über Vorstellungen von Ort und Raum in der Gegenwart.
Sehr geehrte Frau Prof. Zinn-Thomas,
herzlichen Dank für Ihren Flurnamenartikel in der „Schwäbischen Heimat“, den ich mit Interesse gelesen habe.
Ich habe mich allerdings gewundert, dass sie in Ihrem Artikel mit keinem Wort das 1958 vom Landesvermessungsamt Baden-Württemberg in Zusammenarbeit mit der Württ. Landesstelle für Volkskunde herausgegebene Flurnamenbuch erwähnt haben. Das von mir in meiner dienstlichen Zeit häufig benutzte 160seitige Buch unternimmt den Versuch, Flurnamen in amtlichen Karten „richtig“ zu schreiben. In meinem Fall waren es die Karten der Flurbereinigung, die dann später in die Flurkarten der Landesvermessung übernommen wurden/werden. Woher sie die Behauptung nehmen, dass es den größten Verlust an Flurnamen bei der Flurbereinigung gab, erschließt sich mit nicht und müsste erstmal bewiesen werden. Ich gab mir auf jeden Fall zusammen mit meinem Mitarbeitern redlich Mühe, die in den Karten vor der Flurbereinigung enthaltenen Flurnamen in die Karten der Flurbereinigung „richtig“ geschrieben zu übernehmen.
Mit freundlichem Gruß
Peter Steinle