Das Pressbrokat – eine aufwändige Verzierungstechnik der Gotik

Brokat ist ein kostbarer Seidenstoff, in den Gold- oder Silberfäden eingewebt sind. Diese kostbaren Stoffe waren im Mittelalter für Gewänder des gehobenen Bürgertums, bei geistlichen und bei weltlichen Fürsten sehr beliebt. Außerdem wurden sie als Wandbehang und in christlichen Gottesdiensten bei festlichen Anlässen verwendet.

Behang aus der Amanduskirche in Urach, Detail, Italien Ende 15. Jh., Seidensamt mit Metallfaden

Die Imitation: Pressbrokat

Spätgotische Künstler hatten ebenfalls eine Vorliebe für Brokatstoffe. Sie ahmten die Stoffe mit einer besonderen Verzierungstechnik, dem Pressbrokat, an Gewändern von Heiligen oder Ehrentüchern im Hintergrund eines Altarschreins nach.

Auch der Fassmaler, der die Skulptur der Heiligen Magdalena aus dem Altarschrein des Lichtensterner Altares bemalte, nutze Pressbrokat für die Gestaltung des Kleids. Davon sind heute noch Reste zu entdecken.
Um sich vorzustellen, wie das Gewand ursprünglich ausgesehen hat, hilft es, die Herstellung des Pressbrokats zu verstehen.

Wann und wie wurde Pressbrokat hergestellt?

In Deutschland wurden Pressbrokate von 1440 bis 1530 verwendet, vor allem in der Tafel- und Leinwandmalerei, an gefassten Holzskulpturen, auf der Wand und auf Eisen. Eine ausführliche Beschreibung der Pressbrokatherstellung findet sich im Tegernseer Manuskript, auch Liber illuministarum genannt. Dieses Lehrbuch für Buchmaler entstand um 1500 im Benediktinerkloster Tegernsee.

Die Herstellung des Pressbrokats nach dem Rezept im Liber illuministarum

Ein Brokatmuster setzt sich aus mehreren ungefähr handtellergroßen „Pressbrokatblättern“ zusammen, die auf das Kunstwerk aufgeklebt werden. Die Herstellung wird im Rezept Schritt für Schritt beschrieben:

1. Das Model

Zur Herstellung eines Pressbrokatblattes wird das gewünschte Textilmuster in vielen feinen senkrechten Linien in ein Model eingekerbt. Sie ahmen die eingewebten Metallfäden und die Stoffstruktur vom Brokat nach. Die Model waren vermutlich aus Holz, Metall oder Stein.

Holzmodel, Birnenholz; Rekonstruktion

In das Model wird eine weiche Zinnfolie eingelegt und mit einem Schwamm oberflächlich eingedrückt. Dann wird ein Büschel feuchter Flachs- oder Hanffasern über der Zinnfolie ausgebreitet und mit einem Schlegel fest in die Vertiefungen getrieben. Danach lässt man die Fasern trocknen und entfernt sie wieder aus den Vertiefungen.

Die Zinnfolie dient als Trennschicht zum Model: Wenn das Pressbrokatblatt fertig ist, wird die Form umgedreht, um es herauszuholen. Dank der Folie klebt das Pressbrokatblatt nicht im Model fest.

Geprägte Zinnfolie nach Ablösen aus dem Holzmodel

2. Die Prägemasse

Eine teigartige Prägemasse wird dünn auf die Rückseite der Zinnfolie aufgestrichen. So bildet die Prägemasse das Relief des Pressbrokats aus. Nach dem Tegernseer Manuskript wird die Prägemasse aus Kreide, harzigen Substanzen von Nadelbäumen und Leimwasser zubereitet. In analysierten Prägemassen konnten auch Bienenwachs und Harz nachgewiesen werden.

Nach dem Trocknen wird die Masse relativ hart, so dass das Muster beim Aufkleben auf den Untergrund nicht verdrückt werden kann. Zum Schluss löst man die ausgefüllte Zinnfolie mit einer Messerspitze vom Model. Für eine größere Fläche werden mehrere Pressbrokatblätter vorbereitet und nach dem Trocknen auf der Schauseite vergoldet und bemalt.

3. Vergoldung und Bemalung

Als Klebemittel für das Blattgold empfiehlt die Tegernseer Handschrift geschlagenes Vollei. Auf die Vergoldung wird farbiges Ornament gemalt. Es ist meist grün oder rot – wie auf dem Gewand der Heiligen Magdalena. Damit die Vergoldung durch die Ölfarbe durchschimmert, wurde diese nur dünn aufgetragen.

4. Das Aufkleben des Pressbrokatblatts

Die fertigen Pressbrokatblätter werden auf die Grundierung des Kunstwerks, eine glattgeschliffene Schicht aus Kreide oder Gips und Leim, aufgeklebt. Davor wird die Grundierung für eine bessere Haftung leimgetränkt. Der Klebstoff für die Pressbrokatblätter besteht nach dem Tegernseer Manuskript aus Holzleim oder einer heißen Masse aus Mehlkleister, Kolophoniumpulver (Fichtenharz) und Holzleim.
An analytisch untersuchten Pressbrokaten finden sich Klebstoffe, die auch Bienenwachs enthalten.

Beim Aneinandersetzen mehrerer gleichartiger Pressbrokatblätter entsteht ein fortlaufendes Muster. Manchmal wurden auch einzelne Teile, wie das Zentralmotiv einer Blüte, aus dem Pressbrokatblatt herausgeschnitten und als einzelnes Schmuckmotiv verwendet.

Schichtenaufbau eines Pressbrokats, Rekonstruktion nach historischem Vorbild – vom Holträger über die Kreidegrundierung bis zum fertig bemalten und vergoldeten Pressbrokat

Pressbrokate heute – meist stark beschädigt wie bei der Heiligen Magdalena

Pressbrokat ist empfindlich. Einzelne Pressbrokatblätter können abfallen, die Vergoldung kann abgerieben werden oder die Farbe des Ornaments verändert sich. Deshalb wurden Pressbrokate im Laufe der Zeit häufig überarbeitet – eine Freilegung, das heißt, eine Entfernung der späteren Übermalungen, ist ohne Verluste im darunterliegenden Original meist unmöglich.

Auch das Pressbrokat der Heiligen Magdalena ist stark beschädigt, so dass an vielen Partien nur die Grundierung oder das verbräunte Klebemittel des Pressbrokatblatts erhalten ist. In anderen Bereichen sind Ornament und Vergoldung abgerieben, man sieht nur die teilweise verschwärzte Zinnfolie. In geschützteren Vertiefungen der Gewandfalten sind intakte Reste zu erkennen: Die Heilige Magdalena trug ein vergoldetes Gewand mit rotem Blütenmuster.

Die Wirkung war sicherlich beeindruckend, vor allem wenn das Gold im Schein der Altarkerzen reflektierte. Durch ihr kostbares Gewand sticht die Heilige Magdalena aus der Gruppe der Schreinfiguren des Lichtensterner Altars hervor, was vielleicht auf eine besondere Bedeutung dieser Heiligen für die Nonnen des Klosters hinweist.

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