Als eines der letzten seiner Art hatte es sich gut versteckt, unser „Einhorn“ aus der Kunstkammer der Herzöge von Württemberg. Ganz unten, ganz hinten im Schrank für Elfenbein in unserem Depot. Es wollte sich nicht zeigen, mied die Öffentlichkeit, machte keinen Mucks als man nach ihm rief und träumte weiter von alten Zeiten, als es mit anderen Spielgefährten durch die mythischen Wälder Württembergs tollte.
Das letzte Einhorn?
Aber unseren Kolleg*innen im Depot, die in den letzen Jahren unsere digitale Standortverwaltung voranbrachten, entkommt man nicht so einfach. So wurde auch das „letzte Einhorn“, von dem wir wussten, dass es sich irgendwo versteckt haben musste, aufgespürt. Es wurde aus seiner kuschligen Ruheecke herausgezogen, aufgeweckt und für den ersten Auftritt nach langer, langer Zeit in unserer Präsentation „Wahre Schätze“ vorbereitet. Was klingt wie ein Fantasyroman hat also doch auch etwas mit der Wirklichkeit zu tun.
Es war einmal…
so beginnen viele Märchen, aber auch historische Beschreibungen wie der Bericht des Augsburger Kunstagenten Philipp Hainhofer klingen märchenhaft und künden von sagenhaften Objekten in der Kunstkammer. 1616 durfte er sie besuchen und berichtet in einem Brief dem Herzog Philipp II. von Pommern-Stettin
„…Hat mich also… der Kunstkammerer in den Turm [Turm des Alten Schlosses zur Planie hin] geführt und zwei Zimmer geöffnet, darinnen 2 indianische Harnisch,… Trinkgeschirr, Schne[c]ken, Muschlen, Riesenbeiner [Dinosaurierknochen], eine ganze Menschenhaut, ein Hirschgeweih… allerlei gedrehte (h)elfenbeinene Sachen, …ein ganzer Kopf von einem Einhorn mit dem Rohr ob der Nasen…ein hi[ö]lzene Orgel, welche ein Blinder gemacht,… ein Ei von Straussen…In der Hö(c)he hangen Schildkroten, Crokodil, Fisch und unterschiedliche Tiere… und liegt und hangt in summa so viel schönes Ding über einander, dass es wohl ein lang Zeit erfordert, alles zu sehen…“
Den Plünderungen des Dreißigjährigen Krieges entkommen?
Das Einhorn samt seinem Schädel das Hainhofer gesehen hat, ist nicht mehr in den Sammlungen der Kunstkammer erhalten geblieben. Im 17. Jahrhundert während des Dreißigjährigen Krieges wurde sie fast vollständig geplündert. Ob auch das Einhorn zur Beute zählte, wissen wir nicht. Einzelne Stücke aus Württemberg bereichern heute die Kunstkammern in Wien und München. Nach dieser Katastrophe richteten die Herzöge von Württemberg ihre Kunstkammer mit neuen Objekten und in neuer Ordnung im ersten Geschoß des heute nicht mehr erhaltenen „Alten Lusthauses“ ein. Der erste bedeutende Zuwachs war die Sammlung „Guth von Sulz“.
Im Jahre 1653 erbte Herzog Eberhard III. die reiche Sammlung an Gemmen, Münzen und Naturalien des württembergischen Kammermeisters Johann Jakob Guth von Sulz, die dieser um 1600 zusammengetragen hatte. Bereits 1624 war man in Kaufverhandlungen für die über 20. 000 Objekte umfassende Sammlung, hierfür wurde wohl das abgebildete Inventar erstellt. Unter der Überschrift „Von Helfenbein“ wird auch „Ein Einhorn und ein Hündtlein von Helfenbein…“ aufgeführt. Eventuell ist dieses Einhorn das, welches nun im Depot aufgespürt wurde.
Ein Einhorn? FAKE NEWS- Alarm im LMW?
Schon im 16. und 17. Jahrhundert wurde „gefaked“ denn unser gut getarntes Einhorn besteht aus vielen Knochen- oder Geweihsegmenten, deren Stückelung durch eine elegante und edle silbervergoldete Montierung, mit der es aufgestellt werden konnte, verborgen wird. Nur wenn man ganz genau hinsieht erkennt man, dass es Einzelteile sind.
Vielleicht ist das der Grund warum es sich versteckt hat, vielleicht war es ihm peinlich, dass es nicht ganz echt ist. Persönlich finde ich das nicht peinlich, sondern es zeigt, dass immer schon getrickst wurde, wenn es darum geht, etwas WUNDERbares zu erschaffen. Wir haben zum Beispiel auch noch einen gehörnten Hasen – allerdings auch nicht ganz echt. Kommt in die Kunstkammer und seht selbst, was ihr davon haltet und was ihr glauben wollt. Auch 2020 bei freiem Eintritt!