Die Sonne scheint, die Temperaturen steigen und der Schweiß läuft über das Gesicht wie das schmelzende Eis über den Handrücken – es ist Sommer. Die gähnende Leere der Innenstädte lässt es erahnen: Die Urlaubszeit ist in vollem Gange. Wie etwa 37 Prozent der Deutschen (Stand 2023) habe auch ich mich in diesem Jahr für ein Ferienziel im Inland entschieden: Eine Rundreise durch Württemberg sollte es sein. Und wo könnte man so eine Reise besser beginnen als in der Landeshauptstadt? Ich packte also meinen Koffer und begab mich von Heidelberg, wo ich Kunstgeschichte und Geschichte studiere, nach Stuttgart. Dort wurde ich von meinen Reisebegleitern empfangen: Herrn Dr. Matthias Ohm, Kurator des Münzkabinetts des Landesmuseums Württemberg, und Frau Kathrin Stroh, Praktikantin und mir bereits bekannte Mitstudentin aus Heidelberg.
Eine Frage der Finanzierung
Da so ein mehrwöchiger Urlaub das Budget strapazieren kann, stellten wir uns sogleich die gefürchtete Geldfrage. Nach einiger Überlegung holte Herr Ohm aus dem Depot mehrere Kisten mit sorgfältig sortierten Medaillen hervor, die sich inhaltlich mit Ereignissen in württembergischen Städten vom 16. bis zum 21. Jahrhundert auseinandersetzten. Wie passend! Anhand dieser Objekte konnten wir auch gleich unsere Rundreise planen. Doch nach anfänglicher Euphorie kam die Ernüchterung: Im Gegensatz zu Münzen waren Medaillen überhaupt keine Zahlungsmittel. Zum Glück konnten wir schließlich den Numismatischen Verbund Baden-Württemberg für uns gewinnen, der unser Vorhaben großzügig finanziell unterstützte.
Der Weg ist das Ziel
Weil die Numismatik zu meinen Interessensschwerpunkten gehört, zogen die Medaillen meine Aufmerksamkeit auf sich und ich beschloss, die Planung der Reise zu übernehmen: Tettnang, Trossingen, Tübingen, Tuttlingen, Überlingen, Ulm, Unterweissach, Bad Urach, Vaihingen an der Enz, Waiblingen, Waldsee, Wangen im Allgäu, Wasseralfingen, Weil der Stadt, Weingarten, Weinsberg, Bad Wildbad, Bad Wimpfen, Winnenden, Winterbach, Winterlingen und Zuffenhausen würden wir ansteuern. Eine systematische Vorgehensweise war gefragt: Damit ich historische Stätten und Sehenswürdigkeiten unterwegs wiedererkennen konnte, musste ich die Medaillen zunächst fotografieren. Die entstandenen Bilder halfen mir in einem zweiten Schritt auch bei der Erfassung der Eckdaten, da die Stücke teilweise sehr klein und Details deshalb nur schwer mit freiem Auge sichtbar waren. Bei rund 120 Medaillen wurde es mit der Zeit immer schwieriger, mir die Einzelheiten zu merken, weshalb ich begann, sie in die IMDAS-Datenbank des Landesmuseums Württemberg einzupflegen. Die Einträge zu In- und Umschriften, Motiven, Größe und Gewicht sowie abgebildeten Personen und verknüpften Orten bildeten die Grundlage für den letzten Schritt. Es galt, so viele Hintergrundinformationen wie möglich zu sammeln und diese in kurzen Texten zu verarbeiten. Schließlich wollte ich meine Mitreisenden mit meinem Wissen zu Orten und Objekten beeindrucken – nicht langweilen!
Staugefahren und Umleitungen
Überlastete Straßen, Unfälle oder Verspätungen erfordern in der Hauptreisezeit schon mal eine spontane Änderung der geplanten Reiseroute. Als ähnlich vielfältig wie die Strecken, die man dann zurücklegen kann, haben sich auch die Recherchemethoden im Bereich der Münzkunde erwiesen – das Wälzen wissenschaftlicher Publikationen allein führte selten zu einem völlig zufriedenstellenden Ergebnis. Im Falle der Medaille auf das 1200-jährige Jubiläum der Ersterwähnung von Waiblingen konnte nur der Vergleich mit einem Siegel aus dem 9. Jahrhundert den entscheidenden Hinweis darauf liefern, auf welches Vorbild das Porträt Karls des Dicken zurückzuführen ist.
Auch Artikel in Lokalblättern können wertvolle Quellen sein, wie die Medaille zum 10. Stiftungsjubiläum des ersten Fahrradvereins in Tübingen 1898 zeigt. Tagelang suchte ich dazu einschlägige Informationen und als ich die Hoffnung schon fast aufgegeben hatte, förderten die Tiefen des Internets einen Beitrag einer regionalen Zeitung zutage, der die nötigen Angaben enthielt.
Hin und wieder trat ich auch in Fettnäpfchen in Sachen württembergischer Geschichte. So erschloss sich mir die Ikonographie auf dem Revers einer Klippe aus dem Jahr 1894 nicht sofort – sie zeigt Eberhard im Bart im Schoß eines Untertanen, wie im „Lied der Württemberger“ von Justinus Kerner (1818) beschrieben -, aber man war mit mir als Nicht-Schwäbin dann doch immer wieder nachsichtig. Ein Hinweis von Herr Ohm brachte mich auf die Spur einer Skulptur von Paul Müller (1881) im Schlossgarten von Stuttgart, die dieselbe Szene zeigt. Ein gutes Beispiel dafür, wie reger, interdisziplinärer Austausch die Geisteswissenschaften voranbringen kann.
Eine Reise im Geiste
Wenn als Kind die Selbstbeschäftigung auf langen Reisen schwerfiel und man die Eltern ständig mit der Frage behelligte, wie lange es noch bis zur Ankunft dauern würde, so hatte ich mich als Erwachsene so sehr auf das Studium dieser Medaillen konzentriert, dass die Zeit wie im Fluge vergangen war: Ehe ich mich versah, waren meine drei Wochen Ferien um. Dabei hatte unsere Rundreise noch nicht einmal begonnen! Das fand ich jedoch gar nicht so schlimm, denn ich war den Orten durch meine Recherchen so nahegekommen wie nie zuvor und hatte viel Neues über sie gelernt – als hätte ich sie wirklich besucht. Und wenn Sie auch eine kleine Rundreise durch die Württembergischen Städte machen möchten, ohne den Komfort Ihres gewohnten Umfelds zu verlassen, finden Sie die von mir bearbeiteten Medaillen ab jetzt in der Online-Sammlung des Landesmuseums Württemberg. Viel Spaß!
Abbildungsnachweis und Nutzungsbedingungen
Abb. 1: Aufnahmevorrichtung zur Fotografie von Münzen und Medaillen, Landesmuseum Württemberg (CC BY-SA 4.0)
Abb. 2: Medaille auf die Ersterwähnung von Waiblingen, Avers, 1985, Landesmuseum Württemberg (CC BY-SA 4.0)
Abb. 3: Medaille auf die Ersterwähnung von Waiblingen, Revers, 1985, Landesmuseum Württemberg (CC BY-SA 4.0)
Abb. 4: Aufbewahrungsschublade mit Tübinger Medaillen, Landesmuseum Württemberg (CC BY-SA 4.0)