Als Restauratorin für Gemälde und gefasste Holzskulpturen beschäftige ich mich mit Kunstwerken verschiedenster Jahrhunderte. Der Erhalt der Objekte durch konservatorische und restauratorische Maßnahmen, wie beispielsweise Reinigung, Konsolidierung oder Retusche, stellt dabei nur einen Teil meiner Arbeit dar. Elementar ist auch die naturwissenschaftliche Erforschung der Werke in Bezug auf Materialien und Techniken, für die ich mich besonders interessiere. Durch die inhaltliche Beschäftigung mit dem Bildprogramm können in Zusammenarbeit mit Kunsthistorikern stilistische Vergleiche zu anderen, ähnlich gestalteten Objekten gezogen werden. So können wir neue Erkenntnisse über die Entstehung der Werke gewinnen. Doch was heißt das genau?
Gold, Leim und Gips
Um spätmittelalterliche Altäre (Retabel) für die Gläubigen möglichst prächtig wirken zu lassen, wurden sie üppig mit Gold ausgeschmückt. Zur Gestaltung der prachtvollen Gewänder kamen beispielsweise abwechslungsreiche Techniken zum Einsatz – sowohl auf den Skulpturen als auch auf den bemalten Tafeln. Das prächtige Retabel aus Talheim in der Schausammlung LegendäreMeisterWerke im Alten Schloss demonstriert diese Vielfalt besonders anschaulich. Wie bei vielen anderen Retabeln auch, wurden die Innenwände des zentralen Schreins, in dem sich die Skulpturen befinden, mit gravierten Mustern geschmückt. Bei dieser Technik wurden noch vor der eigentlichen Vergoldung kunstvoll geschwungene Linien in die dicke Grundierung aus Leim und Kreide oder Gips gekratzt. Dabei wurde eine Vielzahl an Motiven eingesetzt: Rauten, Ranken, Blumen, Tiere oder auch exotische Granatäpfel. Letztere können als ein Symbol für das Paradies gedeutet werden, wobei die Idee gerade diese Frucht als Ornament zu verwenden, ursprünglich aus der Webkunst kommt.
Obwohl diese Muster manchmal auch von den davor stehenden Skulpturen verdeckt werden, können sie doch wichtige Hinweise zur Entstehungsgeschichte der Kunstwerke sein. Dies ist auch beim Retabel aus Lichtenstern der Fall, den wir im Zuge eines umfassenden Forschungsprojektes zurzeit technologisch untersuchen. Aber wie wird ein Muster untersucht? Und was kann man daraus überhaupt ableiten?
Vom Retabel auf die Folie
In einem ersten Schritt wird zunächst das Muster der Schreininnenseiten im Maßstab 1:1 abgenommen. Die genaue Größe ist für die späteren Vergleiche wichtig. Um die einzelnen Linien exakt übertragen zu können, wird dabei eine spezielle Folie aus Polyester direkt auf die Oberfläche gelegt und das Muster Stück für Stück abgepaust.
Im nächsten Schritt können Vergleiche mit Ornamenten auf anderen Retabeln und Kunstwerken vorgenommen werden. Findet man ein ähnliches oder sogar genau das gleiche Muster auf einem anderen Werk, ist das besonders hilfreich: Denn an der Herstellung eines Retabels waren ganze Werkstätten und nicht nur eine einzelne Person beteiligt. Innerhalb dieser Betriebe gab es auch verschiedene Vorlagen für die Gestaltung eines Musters, die gesammelt und weiter gegeben wurden. Wenn wir nun ähnliche oder gleiche Motive nachweisen können, so lassen sich daraus auch Rückschlüsse auf die ausführende Werkstatt ableiten. Im Fall des Lichtenstern Retabels ist dies besonders interessant, denn auch hier wurden das gleiche Muster mit Granatapfeldekor beziehungsweise Teile davon auf mehreren anderen Kunstwerken gefunden, unter anderem auf den Flügeln zweier Altäre: Das eine befindet sich in der Staatsgalerie Stuttgart auf einem Fragment, das andere auf einem Flügel eines Retabels aus Churwalden in der Schweiz. Beide Beispiele datieren etwa in dieselbe Zeit wie auch das Retabel aus Lichtenstern und sind im schwäbischen Raum entstanden. Welche Ergebnisse können wir nun daraus gewinnen?
Der (Granat-) Apfel fällt nicht weit vom Stamm…
Durch die Verwendung des gleichen Musters können Schlüsse auf eine gemeinsame Vorlage gezogen werden.
Ob bei der Übertragung des Granatapfeldekors vielleicht sogar dieselbe Schablone zum Einsatz kam, kann nun im nächsten Schritt durch die angefertigte Folie im Maßstab 1:1 überprüft werden. Stimmen die Größen beider Muster jeweils exakt überein, ist dies wahrscheinlich. Natürlich kann es immer wieder zu kleineren Abweichungen kommen – ein vergessenes Detail, eine abweichende Rundung oder eine Linie zu viel – aber das kann bei Handarbeiten ja schon mal passieren.
Ein direkter Größenvergleich des Musters des Lichtenstern Retabels mit den anderen beiden Beispielen steht momentan noch aus, ist aber fest geplant. Wir dürfen also gespannt sein, was sich bei der weiteren Forschung ergeben wird.
Die umfassenden Forschungs- und Restaurierungsmaßnahmen des Lichtenstern Retabels werden von der Ernst von Siemens Kunststiftung im Rahmen des Bündnisses Kunst auf Lager gefördert.
Literaturhinweis: Württembergisches Landesmuseum Stuttgart (Hrsg.): Graviert, gemalt, gepresst: spätgotische Retabelverzierungen in Schwaben, Ulm 1996, ISBN 3-88294-227-4
Erhältlich im Museums-Shop.
Sehr geehrte Frau Kunz,
ich finde da unheimlich spannend, was Sie von Ihrer Arbeit berichten. Gibt e denn die Möglichkeit, Ihnen bei der Arbeit „über die Schulter zu schauen „?
Freundlicher Gruß
D.Eisele
Sehr geehrter Herr Eisele,
es freut mich, dass Ihnen dieser kleine Einblick in die Arbeit der Restauratoren gefallen hat. Ende des Jahres ist eine Kunstpause zum Forschungsprojekt Lichtenstern geplant, bei der es auch möglich sein soll, unsere Werkstatt zu besichtigen. Möglicherweise ergibt sich die Gelegenheit auch an einem Tag der offenen Tür oder der Langen Nacht der Museen, wobei ich Ihnen hierzu leider noch keine konkreten Informationen geben kann.
Mit vielen Grüßen aus der Gemälderestaurierung
Sabrina Kunz
Liebe Frau Kunz,
Danke für Ihre Antwort. Können Sie mir einen Tip geben, wie und wo ich die Termine für Sonderaktionen verfolgen kann? Eventuell im Newsletter?
Gute Woche,
Dieter Eisele
Lieber Herr Eisele,
unsere Termine finden Sie immer in unserem aktuellen Quartalsprogramm auf der Website des Landesmuseums Württemberg und auch im Newsletter.
Herzliche Grüße aus dem Marketing
Mirjam Müller
Über unsere Facebook-Seite verlosen wir aktuell 4 Plätze in einer exklusiven Führung durch unsere Restaurierungswerkstätten: http://www.facebook.com/LMWStuttgart