Aktuell ist im Ständesaal des Landesmuseums Württemberg die von AktArcha konzipierte Wanderausstellung „Ein gut Theil Eigenheit – Lebenswege früher Archäologinnen“ zu sehen. Anhand ausgewählter Biographien erzählt sie von den (Pionier-)Leistungen der ersten Frauen im Fach Archäologie. Neun Archäologinnen sind vom August-Kestner Museum Hannover nach Stuttgart ins Landesmuseum Württemberg gereist und hier wurde die Ausstellung um drei Frauen ergänzt, die in Baden-Württemberg studiert, gelebt und gearbeitet haben. Zwei davon – beide Absolventinnen der Universität Tübingen – sollen in diesem Blog-Beitrag näher vorgestellt werden.
Tübingen (siehe Abb. 1), die schöne und beschauliche Universitätsstadt, geprägt durch Fachwerkbauten und junge Menschen, liegt knapp 30 km neckaraufwärts von Stuttgart. Seit 1477 ist die Stadt Universitätsstadt, ab 1904 wurde dort auch Frauen das Studium ermöglicht, nachdem in Stuttgart eines der ersten Mädchengymnasien errichtet wurde. 1904 war Württemberg – neben Baden und Bayern – damit Vorreiter für das Frauenstudium in Deutschland.
1921 wurde in Tübingen das Urgeschichtliche Forschungsinstitut gegründet, Studierenden war es nun formal möglich, Archäologie zu studieren; unter ihnen auch einige Frauen. Doch wer waren diese ersten Archäologinnen?
Im Folgenden werfen wir einen Blick auf zwei dieser ersten Absolventinnen.
Gerta Blaschka, geb. Schneider
Die erste (offizielle) Absolventin war Gerta Blaschka (geb. Schneider), geboren 1908 in Mannheim. Bereits als Zwölfjährige war sie auf archäologischen Ausgrabungen des Urgeschichtlichen Instituts Tübingen in den Federseegebieten aktiv. Bestimmt war dabei nicht unerheblich, dass sie die Nichte des damaligen Tübinger Professors und Institutsleiters R. R. Schmidt (1882-1950) war. Sie studierte eine bunte Mischung an verschiedenen Studiengängen, von Sprachen über Volkswirtschaftslehre (VWL) und Geologie, hinzu Vorgeschichte und Klassische Archäologie von Lausanne über Wien, München und Heidelberg. Ab 1929 schließlich widmete sie sich in Tübingen der Vor- und Frühgeschichte sowie der Urgeschichte.
1933 promovierte sie dann bei dem Privatdozenten Hans Reinerth (1900-1990) über das Thema „Der vorgeschichtliche Wagen in Deutschland“. Schon früh (nämlich 1932) trat sie der NSDAP bei und profitierte auf ihrem weiteren Lebensweg stark von der politischen Zugehörigkeit, unter anderem bei ihrer Tätigkeit im Amt Rosenberg. Als enge Mitarbeiterin und Assistentin von Hans Reinerth war sie bei zahlreichen Ausgrabungen, insbesondere im süddeutschen Raum aktiv. Abbildung 2 zeigt Gerta Schneider exemplarisch auf einer Ausgrabung in Bad Buchau. Sie übernahm Grabungsleitungen in Deutschland aber auch außerhalb (namentlich Kriegsgrabungen bspw. in den besetzten Gebieten in Thessalien und in der Bretagne) und organisierte verschiedene Ausstellungen. Dabei traf sie unter anderem auf Liebetraut Rothert, die ebenfalls in der Ausstellung vertreten ist.
Von 1944 – 1946 leitete sie die Ausweichstelle des Berliner Instituts für Vor- und Frühgeschichte in Schloss Salem am Bodensee. Sie organisierte federführend die Aufbauarbeiten im Freilichtbereich des Pfahlbaumuseums und übernahm stellvertretend dessen Leitung während Reinerths Internierung nach dem Zweiten Weltkrieg. Entgegen vieler ihrer männlichen Kollegen konnte sie danach keinen Fuß in der Archäologie mehr fassen und arbeitete als Bibliothekarin und Verfasserin eines geologischen Wörterbuchs am Institut für Geodäsie in Frankfurt am Main.
Senta Rafalski-Giering
Kommen wir zu Senta Rafalski-Giering.
Sie wurde am 13. April 1911 in Berlin geboren. Senta Rafalski begann ihr Studium 1931 in Tübingen. Sie wollte zunächst Lehrerin werden, entschied aber nach nur einem Semester, dass die Archäologie sie mehr interessierte und wechselte zum Hauptfach Vorgeschichte. Mit einer mündlichen Prüfung bei Prof. Reinerth schloss sie 1935 ihre Promotion zum Thema „Nordische Feuersteindolche“ ab. Für ihre Abschlussarbeit radelte sie mit dem Fahrrad durch Norddeutschland, Dänemark, Schweden und Norwegen zu Museen und Sammlungen auf der Suche nach Vergleichsmaterial. Auf der Abbildung 3 ist sie kurz nach ihrer mündlichen Prüfung zu sehen. Senta Rafalski berichtete in einem Interview, dass Hans Reinerth sie zwingen wollte, nach ihrem Abschluss zu ihm nach Berlin zu kommen. Er argumentierte mit seiner hohen Position im NS-Regime und drohte damit, dass er entscheiden würde, wer archäologische Stellen in Deutschland bekommen würde. Sie aber gab diesem Zwang nicht nach.
1936 ging sie nach Tansania in Ostafrika. Erst arbeitete sie als Hausmädchen und Hauslehrerin, dann war sie auf Ausgrabungen des Geologischen Instituts Tübingen tätig u.a. bei Ausgrabungen des Ehepaares Kohl-Larsen. Senta Rafalskis Ziel war es, Geld für die Publikation ihrer Promotion zu verdienen, welche sie 1952 auch einreichen konnte. In Tansania lernte sie ihren Mann kennen, mit welchem und ihren mittlerweile zwei Kindern sie 1952 nach Italien zog.
Was die Archäologie betrifft, verschwand sie die nächsten 34 Jahre vollkommen von der Bildfläche.
Mit über 60 Jahren kehrte sie 1972, nach dem Tod ihres Mannes, an das archäologische Institut in Tübingen zurück, um die Funde aus den Grabungen der 1930er Jahre in Tansania aufzuarbeiten. Sie forschte, entwickelte Methoden und publizierte noch für einige Jahre. In einem Interview vor etwa 30 Jahren sprach sie davon, dass weibliche Archäologiestudierende heute viel selbstbewusster sind und genauer wissen, wo ihre Ziele liegen. 1996 starb sie in Tübingen.
Auswahl der Archäologinnen
Warum haben wir uns dafür entschieden, diesen beiden Frauen einen Platz in der Ausstellung zu geben? Die Auswahl ist uns nicht leichtgefallen, viele Archäologinnen hätten es mit ihrem Lebensweg verdient, gezeigt zu werden. Ein Wirken im südwestdeutschen Raum, zumindest überwiegend, war uns wichtig und wir wollten Frauen zeigen, deren Geschichten bislang weniger in der Öffentlichkeit bekannt sind. Zudem haben wir geschaut, welche Lebenswege die bereits vorhandenen Biographien in der Ausstellung ergänzen und neue Ansätze bringen können. Wir haben uns daher für die beiden bereits vorgestellten Frauen entschieden. Aber warum diese beiden?
Gerta Blaschka (Abb. 4) war Archäologin im Dritten Reich. Sie ist bereits früh aus eigenem Antrieb der NSDAP beigetreten und hat in ihrer wissenschaftlichen Laufbahn stark von der NS-Politik profitiert. Es ist durchaus nicht leicht, einer Person mit einem derartigen politischen Hintergrund einen Raum zu bieten. Aber gleichzeitig ist es auch eine kritische und klare Auseinandersetzung mit der Geschichte des Faches „Archäologie“. Bekannt ist, dass die Archäologie in der NS-Zeit einen Aufschwung erlebte und viele Forschungsgelder erhielt. Auch viele Frauen, wenn sie nicht aufgrund ihrer Herkunft oder Religionszugehörigkeit diskriminiert und verfolgt wurden, hatten die Möglichkeit, feste Stellen zu bekleiden. Im „Amt Rosenberg“ waren neben Gerta Blaschka viele promovierte Akademikerinnen fest angestellt. Und auch diese Biographien müssen wir mitdenken, wenn wir uns mit den frühen Frauen in der Archäologie auseinandersetzen wollen.
Mit Senta Rafalski-Giering haben wir eine Kommilitonin Gerta Blaschkas ausgewählt, die sich für einen anderen Weg entschieden hat. Ihren eigenen Worten nach weigerte sie sich, Hans Reinerth nach Berlin zu folgen, obwohl dieser ihr mit seiner hohen politischen Position und Arbeitslosigkeit drohte. Bei ihr war uns außerdem wichtig, dass sie nach langer Abwesenheit zurück in die Wissenschaft gekehrt ist und somit einen Fuß in die Tür bekommen hat. Das Thema ist aktueller denn je. Über die Diskussionen betreffend das Wissenschaftszeitgesetz (in den sozialen Medien unter dem Hashtag #ichbinhanna), gibt es inzwischen viele Erfahrungsberichte von Frauen und Müttern in der Wissenschaft. Viele junge Frauen in der Archäologie, aber auch in anderen universitären Disziplinen, setzen sich mit den Fragen der Vereinbarkeit von Familie und Beruf auseinander. Tatsächlich kann es auch heute noch sehr schwierig sein, nach der Elternzeit in eine wissenschaftliche Position zurückzukehren. Senta Rafalski kann hier ein sehr gutes Vorbild sein.
Unser nächster Blogbeitrag zu den frühen Frauen in der Archäologie beschäftigt sich mit den ersten Archäologinnen hier am Landesmuseum Württemberg.
Wer mehr über die ersten Archäologinnen erfahren möchte, sollte einen Blick in unser spannendes Führungsprogramm werfen.
Abbildungsnachweis und Nutzungsbedingungen
Abb. 1: Alleenbrücke und Hohentübingen (AK 22065 H. Sting 1911) [Public Domain].
Abb. 2: Archiv Pfahlbaumuseum [InC].
Abb. 3: Universität Tübingen, Institut für Ur- und Frühgeschichte [InC].
Abb. 4: Archiv Pfahlbaumuseum [InC].